Zwangsvollstreckungsrecht. Bettina Heiderhoff
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S könnte in Beispiel 21 Vollstreckungsabwehrklage mit dem Einwand erheben, dass der Kaufvertrag sich durch den Rücktritt nach § 349 BGB in ein Rückgewährschuldverhältnis nach §§ 346 ff BGB umgewandelt hat und damit der Anspruch des Verkäufers auf Zahlung des Kaufpreises erloschen sei.
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Da S nach den §§ 444, 437 Nr. 2, 323 II Nr. 3 BGB wirklich ein Rücktrittsrecht hatte, steht ihm eine Einwendung zu. Problematisch ist allein, ob S mit diesem Einwand nicht bereits präkludiert ist, da die Möglichkeit des Rücktritts bereits vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung des Erkenntnisverfahrens bestanden hatte. Man könnte es also so sehen, dass „die Einwendung“ schon damals bestand.
Man könnte es aber auch anders sehen: Die nachträgliche Umwandlung des Kaufvertrags in ein Rückgewährschuldverhältnis wurde ja erst durch die Ausübung des Gestaltungsrechts (Rücktrittserklärung) – also nach Schluss der letzten mündlichen Verhandlung – bewirkt. Die eigentliche Einwendung (Erlöschen des Zahlungsanspruchs) ist also erst nach dem entscheidenden Zeitpunkt entstanden.
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Damit ist eine der wichtigsten und bekanntesten Streitfragen des Zwangsvollstreckungsrechts angesprochen: Für die Präklusion nach § 767 II ZPO ist streitig, ob es bei Gestaltungsrechten (Rücktritt, Widerruf, Aufrechnung usw.) auf die objektive Möglichkeit der Ausübung oder die tatsächliche Ausübung des Rechts ankommt.
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Die Rechtsprechung und ein großer Teil der Literatur gehen davon aus, dass es für die Präklusion nur darauf ankomme, ob das Gestaltungsrecht objektiv vor Schluss der letzten mündlichen Verhandlung ausgeübt werden konnte. Kenntnis davon und die eigentliche Ausübung seien unerheblich[27]. Begründet wird dies zumeist mit dem Schutz der Rechtskraft und einem Vergleich zwischen § 767 I und II ZPO. Wenn das Gesetz in § 767 I ZPO von „Einwendungen“ und in § 767 II ZPO von „Gründen der Einwendungen“ spreche, so sei bewusst etwas Unterschiedliches gemeint. Demnach sei „Einwendung“ die Erklärung des Gestaltungsrechts selbst, „Grund“ hingegen die objektive Möglichkeit der Ausübung.
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Die (wohl) herrschende Ansicht in der Literatur hingegen geht davon aus, dass es nur darauf ankomme, wann das Gestaltungsrecht ausgeübt worden sei[28]. Denn zum Entstehungstatbestand des Gestaltungsrechts gehöre die jeweilige Erklärung als dessen Ausübung. Es sei auch nicht einzusehen, warum der Beklagte im Prozess gezwungen sein soll, das Gestaltungsrecht zu erklären, obwohl es ihm nach materiellem Recht freistehe, wann er von seinem Recht Gebrauch machen will. Schließlich bestehe nicht die Gefahr einer „Bevorzugung“ des Schuldners. Denn jeder Schuldner werde ein Gestaltungsrecht so früh ausüben, wie er nur könne. Das überzeugt. Kein Schuldner ist bereit, zunächst einen Prozess absichtlich zu verlieren (Kosten!), um dann erst hinterher (quasi querulatorisch) noch ein Gestaltungsrecht auszuüben, was ihn von der Schuld befreit. Betroffen sind von der Streitfrage daher immer nur Schuldner, denen ihr Gestaltungsrecht im Ausgangsrechtsstreit unbekannt war. Diese sind im Regelfall schutzwürdig.
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Vereinzelt wurde früher darauf abgestellt, wann der Kläger Kenntnis von der Möglichkeit der Ausübung des Gestaltungsrechts erhalten hat. Diese Meinung ist entschieden abzulehnen und wird soweit ersichtlich nicht mehr vertreten. Sie würde dazu führen, dass im Prozess Beweis darüber geführt werden müsste, wann der Schuldner „Kenntnis“ von bestimmten Tatsachen erhalten hat. Das ist teuer, zeitaufwendig und kaum Erfolg versprechend. Zudem ist das taktische oder querulatorische Zurückhalten von Einwendungen, dem diese Ansicht entgegenwirken möchte, praktisch irrelevant.
bb) Sonderfall Aufrechnung
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Beispiel 22 (Pflicht zur frühzeitigen Aufrechnung?):
Gläubiger G und Schuldner S sind Bauunternehmer, die viel zusammenarbeiten. Nun kam es zu Schwierigkeiten. G hat den S erfolgreich auf Zahlung von Werklohn für Bauleistungen verklagt. Nach Ende des Prozesses erklärt nun S die Aufrechnung und legt Vollstreckungsabwehrklage ein. Er hatte nämlich inzwischen Mängel angezeigt, die an Bauwerken aufgetreten waren, die G vor vielen Monaten für den S errichtet hatte. Da G diese Mängel nicht fristgerecht beseitigte und dem S in der Folge ein Schaden entstand, machte S nun nach §§ 634 Nr. 4, 281 BGB Schadensersatz geltend und rechnete auf.
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In Beispiel 22 ist klar, dass die Aufrechnung sowie die Aufrechnungslage erst nach Verfahrensende entstanden sind, so dass an sich nach keiner Ansicht Präklusion eingetreten sein kann. Jedoch ist vertreten worden, dass es bei der Aufrechnung nicht auf die Aufrechnungslage ankommen solle, sondern darauf, wann der Schuldner diese Aufrechnungslage habe herbeiführen können[29]. Zu Recht folgt der BGH dem nicht[30].
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Beispiel 23 (Ausschluss der Aufrechnung im Erkenntnisverfahren):
Schuldner S hat im Ausgangsrechtsstreit in der Berufungsinstanz hilfsweise die Aufrechnung mit einer Gegenforderung erklärt. Das Berufungsgericht hat diese nach § 533 ZPO zurückgewiesen, weil Gläubiger G das Bestehen der Gegenforderung bestritten hat. S legt nun unter Berufung auf die Aufrechnung mit genau dieser Gegenforderung Vollstreckungsabwehrklage ein. Wird er Erfolg haben?
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Der BGH meint, dass die Aufrechnung auch in Fällen, in denen sie im Rechtsstreit aus prozessualen Gründen nicht geltend gemacht werden durfte, nach § 767 II ZPO ausgeschlossen sei. Anders ausgedrückt besteht also für solche Fälle keine Ausnahme. Das überzeugt vollkommen, denn die Präklusionsvorschriften des Erkenntnisverfahrens sollen der Prozessbeschleunigung dienen und würden ihren Sinn verlieren, wenn der Schuldner die zunächst ausgeschlossenen Tatsachen oder Verteidigungsmittel dann in der Zwangsvollstreckung doch noch geltend machen dürfte[31]. In Beispiel 23 wird S also mit der Vollstreckungsabwehrklage keinen Erfolg haben.
Hinweis:
Wissen sollte man auch, wie sich die Aufrechnung in einem solchen Fall materiell-rechtlich auswirkt. Immerhin hat S sie materiell-rechtlich wirksam erklärt[32]. Jedoch wird allgemein angenommen, dass die fehlgeschlagene Prozessaufrechnung dazu führt, dass auch die Wirkung des § 389 BGB nicht eintritt und die Gegenforderung somit bestehen bleibt.
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Wenn die Vollstreckungsabwehrklage damit begründet wird, dass der Anspruch durch Aufrechnung mit einer rechtswegfremden Gegenforderung erfolgt ist, kommt es auch im Rahmen des § 767 ZPO zu dem bekannten Streit, wie in solchen Verfahren vorzugehen ist, und ob das Gericht nach § 17 II 1 GVG auch über die Gegenforderung entscheiden darf[33].