Beweisantragsrecht. Winfried Hassemer

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Beweisantragsrecht - Winfried Hassemer Praxis der Strafverteidigung

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Die Unverzichtbarkeit des Beweisantragsrechts › 7. Justizförmigkeit der Wahrheitssuche

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      Die weiterführende Frage lautet: Stört das Beweisantragsrecht die Suche nach der „materiellen Wahrheit“, oder befördert es sie? Oder: Passen Beweisantragsrecht und „materielle Wahrheit“ zusammen?

      Zwei Überlegungen scheinen zu begründen, dass das Beweisantragsrecht insoweit nichts als ein Störfaktor ist (den man wegen der verfassungsrechtlich gebotenen Subjektstellung des Beschuldigten missbilligend in Kauf nehmen muss). Zum einen ist die Pflicht des Gerichts zur Sachaufklärung in § 244 Abs. 2 StPO so umfangreich und umsichtig ausgestattet, dass alles, was darüber hinausgeht, als bloße Störung erscheinen muss. Zum anderen ist schwer einzusehen, wie man über die „materielle Wahrheit“ verhandeln und abstimmen kann; schließlich stimmen ja auch Mathematiker nicht ab, sondern rechnen und finden ein Ergebnis.

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      Wenn man, wie gerade skizziert, ein Beweisantragsrecht (insbesondere mit Blick auf seine Wahrnehmung durch den Angeklagten) als Störfaktor im Rahmen der Suche nach materieller Wahrheit versteht – und dies war in der Tat das Verständnis des reinen Inquisitionsprozesses, in dem auch gleich die Verteidigung als überflüssig galt –, dann kommt man schon in Schwierigkeiten, wenn man sich bemüht, überhaupt den Sinn von Strafverteidigung zu verstehen oder gar zu begründen. Wenn schon das Gericht alle Tatsachen und Beweismittel aufzuklären hat, die für die Entscheidung von Bedeutung sind (§ 244 Abs. 2 StPO), wenn darüber hinaus die Staatsanwaltschaft auch zugunsten des Beschuldigten zu ermitteln hat (§ 160 Abs. 2 StPO), so wäre eigentlich nicht einzusehen, was in einer solchen Verfahrenskonstruktion noch eine Verteidigung soll – gar die notwendige (§§ 140 ff. StPO). So verstanden, kann eine Verteidigung im Rahmen der umfassenden und auch die Interessen des Beschuldigten berücksichtigenden Aufklärung des Falles durch Staatsanwaltschaft und Gericht nur stören.

      Schwierigkeiten hätte ein solches Verständnis auch mit dem Akkusationsprinzip in unserem Strafverfahren. Warum soll man die Einleitung und Durchführung eines Verfahrens auf mehrere institutionelle Rollen verteilen, wenn jede dieser Rollen schon ausreichend ausgestattet ist, die Wahrheit umfassend (und überdies auch beschuldigtenfreundlich) herauszufinden? Hinter einer solchen Frage steht nichts anderes als die Ideologie des Inquisitionsprozesses: Der Inquirent weiß alles und macht alles richtig, wenn man ihn nur mit allen notwendigen Befugnissen der Wahrheitserforschung ausstattet und Störmanöver anderer Verfahrensbeteiligter unterbindet.

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      Anmerkungen

       [1]

      Darstellung und Nachweise bei Arthur Kaufmann Gedanken zur Überwindung des rechtsphilosophischen Relativismus, in: ders. Rechtsphilosophie im Wandel. Stationen eines Weges, 1984, S. 51 ff., 57 ff.; sowie Kaufmann/von der Pfordten in: Hassemer/Neumann/Saliger Einführung in Rechtsphilosophie und Rechtstheorie der Gegenwart, S. 132.

       [2]

      Klassischer Text: Habermas Wahrheitstheorien, in: Wirklichkeit und Reflexion, FS für Walter Schulz, 1974, S. 211 ff.; s.a. Habermas Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaates, 1992; zur Anwendung auf das Strafverfahren: Hassemer Einführung in die Grundlagen des Strafrechts, S. 118 ff.

       [3]

      Luhmann Rechtssoziologie, 1980; zu Komplexität und Reduktion von Komplexität u.a. S. 31 ff.

       [4]

      Überblick und Nachweise bei Hassemer Juristische Hermeneutik, in: Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie 1986, S. 195, wieder abgedruckt in Hassemer Freiheitliches Strafrecht, 2001, S. 15 ff.; Erwin Fromm Zeitschrift für Tarifrecht 2002,

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