Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus
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In Ossietzkys Urteil kommt der Novemberrevolution als einem konfliktträchtigen Orientierungspunkt für politisch-gesellschaftliche Normvorstellungen eine Schlüsselrolle in der deutschen Geschichte des 20. Jahrhunderts zu. Dieser Band setzt daher mit einer Bilanz der Novemberrevolution ein, die zunächst dem Verlauf und den Schritten des politischen Systemwechsels von der Monarchie zur Demokratie große Aufmerksamkeit schenkt, um ihn sodann mit der zeitgenössischen Wahrnehmung und Würdigung des Umbruchs zu konfrontieren. Erfahrungen und Erwartungen von Träumern und Gestaltern, Pragmatikern und Fanatikern, von – frei nach Erich Mühsam5 – Revoluzzern und manchmal auch nur Lampenputzern kommen zur Sprache. Hieran lässt sich bereits erkennen, eine wie kontroverse, je nach Interpretationsrichtung unterschiedliche Identität stiftende Deutungsgeschichte der Revolution sich anschließen sollte, die gerade rund um das Hundertjahresjubiläum 2018/19 wieder aufgeflammt ist und in zwei einander gegenüberstehenden historischen Webmustern zum Ausdruck gelangt: einem demokratiegeschichtlichen Paradigma hier, einem gewalt- und diktaturgeschichtlichen dort.
Wäre die Revolution eine geglückte und geliebte gewesen statt eine vertrackte und verschmähte, hätte sie nicht so viel Potenzial für widerstreitende Auffassungen bereitgehalten und womöglich alljährlich in routinierten Festveranstaltungen nur begrenzt Leidenschaften entfacht. Gerade weil sie umstritten blieb und sich gegen eindeutige historisch-politische Narrative sträubte, bot sie Anlass für geschichtspolitische Auseinandersetzungen, an denen sich intellektuelle Sehnsüchte und Deutungskämpfe entzündeten. Davon ist auch in der frühen Bundesrepublik noch einiges zu spüren: Auf der einen Seite diente die Novemberrevolution nicht der Traditionsstiftung, jedenfalls nicht im Sinne eines hell strahlenden Erinnerungsortes. Sie war überwiegend Teil der Fixierung auf Weimar als Negativfolie, von der es sich abzugrenzen galt. Bonn ist nicht Weimar lautete Fritz René Allemanns Buchtitel von 1956, der schnell zu einem Motto der jungen Bundesrepublik avancierte. Auf der anderen Seite stand eine Phalanx intellektueller Kritiker, die zumal während der Ära Adenauer ihre Restaurationskritik mit Revolutionssehnsucht verbanden. Daran zeigte sich, wie sehr die Bonner Intellektuellenszene in den frühen Nachkriegsjahrzehnten an Weimarer Traditionen anknüpfte und den Nonkonformismus gegenüber neu formulierten Zwängen zur Parteinahme während des Kalten Krieges verteidigte, um eine wahrhaft demokratische Lebensform mit intellektuellem Aufbruch zu verbinden.6
Um die Weimar-Bonn-Dramaturgie einzufangen, sind die meisten Beiträge in dieser Zusammenstellung zäsurübergreifend angelegt. Sie untersuchen, an konkreten intellektuellen Akteuren orientiert, den Zusammenhang von Lebens- und Zeitenwenden, von Erfahrungs- und Intellektuellengeschichte. Die daraus sich ergebenden Dynamiken und Transformationen stehen im Mittelpunkt einer kontextorientierten Intellectual History, die Ideen- und Zeitgeschichte miteinander kombiniert. Außerdem geraten verschiedene politische Spektren von links bis rechts in den Blick. Erneut sind es aber nicht festgefügte Lagerzugehörigkeiten, die besonders interessieren, sondern in Bewegung befindliche Areale des Übergangs und Umbaus sowie Reaktionsund Anpassungsleistungen von Intellektuellen gegenüber gewandelten Zeitläuften. Diese konnten Prozesse einer Radikalisierung verstärken, wie sie anhand der Dolchstoßthese und rechtsradikalen Verschwörungsmythen nach 1918 deutlich werden, aber auch deradikalisierende Tendenzen, wie sie am Beispiel von einstigen Protagonisten der Weimarer Weltbühne wie Axel Eggebrecht und Kurt Hiller ungeachtet mancher Ambivalenz ablesbar sind. Gerade Hiller liebte den Streit und teilte gern hart gegen intellektuelle Widersacher aus. Schon 1924 hatte ihn Carl von Ossietzky als jemanden charakterisiert, der einen „tintentriefenden Tomahawk“ schwinge.7 In der Bundesrepublik schleuderte Hiller diesen bisweilen umso heftiger, weil er darunter litt, dass der bundesdeutsche Medien- und Verlagsmarkt mit ihm, ungeachtet seines geistigen Heroen-Nimbus aus Weimars Tagen, nur noch wenig anzufangen wusste.
So unterschiedlich ihre Karriere- und Lebenswege verliefen, blieb doch die Weltbühne ein zentraler Sehnsuchtsort für heimatlose Intellektuelle wie Eggebrecht und Hiller. Auch auf William Schlamm traf dies zu. Seine Biografie war die eines hartnäckigen Nonkonformisten, der sich vom Kommunisten und Linksintellektuellen während der 1920er und 1930er Jahre zu einem Konservativen entwickelte, der seit den 1940er Jahren mit provokativen Positionen auf sich aufmerksam machte. In letztgenanntem Spektrum bezog er allerdings eine Außenseiterstellung, die Revolution weiterhin für ein geeignetes, vielleicht sogar notwendiges Mittel der Politik zu halten. In Umkehrung der Verhältnisse, wie sie sich in den Jahrzehnten nach dem Ersten Weltkrieg präsentierten, so argumentierte Schlamm, müsste die Revolution nun von rechts ausgehen angesichts einer Drift der politischen Verhältnisse, wie er sie spätestens nach „1968“ in polarisierten und zunehmend von der Linken dominierten Zeiten beobachtete.
Als wendungs- und anpassungsfähiger als die Erben der Weltbühne erwies sich im rechten Spektrum der Herausgeber der Deutschen Rundschau Rudolf Pechel. Er schloss schnell seinen Frieden mit der westdeutschen Demokratie und ließ nur noch wenig aus den konservativ-revolutionären Ideenwelten der Weimarer Tage durchschimmern. Insgesamt sollte er sich von nationalistischen und demokratieskeptischen Positionen verabschieden und zur Erneuerung eines liberalisierten Konservatismus beitragen, der sich gut in das Umfeld eines Antikommunismus während des frühen Kalten Krieges fügte. Indirekt lässt sich an Pechels Lern- und Umorientierungsleistung, die über eine instrumentelle Aneignung westlich-pluralistischer Leitmotive hinausging, der Erfolg eines Konsensliberalismus ablesen. Diesem sollte es nach 1945 gelingen, auch in konservative und sozialdemokratische Milieus einzudringen, dort einen pragmatischen Grundton zu etablieren und den Revolutionsblues in den Hintergrund zu drängen.
Nicht selten kamen die Angebote, Tradition zu bewahren und sich in den Basistrend einer Modernisierung und Liberalisierung nach 1945 einzufügen, von außen. Dies zeigte sich exemplarisch daran, wie nachhaltig der amerikanisch-englische Schriftsteller T. S. Eliot nicht nur als Lyriker, sondern auch und insbesondere als Intellektueller im deutschen politischen Feuilleton der Nachkriegszeit reüssierte. Mit ihm schien der Aufbruch zu neuen Ufern bei Bewahrung alter Werte möglich. Schon Thomas Mann hatte Eliot deshalb treffsicher als einen „erinnerungsvollen und immerfort aus der Kultur citierenden Revolutionär von konservativ traditionalistischer Haltung“ bezeichnet.8 Das Revolutionäre, je nach Würdigung als Odeur oder Odium, umwehte auch die Ideen von John Maynard Keynes. Während der Zwischenkriegszeit entfaltete der britische Ökonom und Zeitdiagnostiker eine große Ausstrahlungskraft auch und gerade in Deutschland. Insbesondere im bürgerlich-liberalen und gemäßigt-sozialdemokratischen Spektrum sorgten die mit seinem Namen verbundenen Ideentransfers dafür, abseits marxistischer Modelle einen sozialverträglichen Kapitalismus mit politischem Liberalismus in Einklang zu bringen.
Wie wenig es dabei aber um allzu lineare Adaptionsprozesse und Heldengeschichten einer Liberalisierung geht, lässt sich auch für Keynes an einem widerspruchsvollen Zusammenhang studieren: In seinem Vorwort zur deutschen Ausgabe der General Theory von 1936 demonstrierte er die Vorteile einer stärker kontrollierten Wirtschaft in einer Diktatur für die Umsetzung seiner wirtschaftspolitischen Richtlinien, ohne damit seine liberal-individualistischen Grundüberzeugungen in Frage stellen zu wollen. Diese Episode verleiht einem Spannungsreichtum Ausdruck, wie er im Wechselverhältnis zwischen liberalen und demokratischen Vorstellungen in der Zwischenkriegszeit bestand. Eine gleichsam ahistorische Theoriegeschichte lässt sich selbst für den Autor einer General Theory kaum schreiben. Auch sie ist, wie die Geschichte des Liberalismus während der Weimarer Republik überhaupt, im „Modus eines konstellationsabhängigen Denkens“ zu ergründen.9
Eine Intellectual History, die diesen Namen verdient, sieht sich zudem herausgefordert, die Eisenspäne des politischen Denkens nicht den Gesetzen eines Magnetismus