Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus

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Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte - Alexander Gallus

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Gleichwohl bleiben Fragen nach dem Anteil der Intellektuellen am Scheitern der Weimarer Republik wie später am Erfolg der demokratischen Entwicklung der Bundesrepublik legitim und wichtig. Nur dürfen die Antworten nicht im Sinne telelogisch ausgerichteter Niedergangs- oder Ankunftsgeschichten erfolgen.

      Dies gilt es im Hinterkopf zu behalten, wenn man die Intellektuellengeschichte der Bundesrepublik als die Geschichte eines ermattenden Revolutionswunsches schreibt, als eine Art schleichenden Prozess, in dem Erfahrung über Utopie obsiegte, ohne dieses Widerspiel überhaupt stets als Kampf wahrzunehmen. Der Band schließt mit diesem merkwürdigen Vorgang, der nochmals einen Bogen schlägt von Ideenformationen der Weimarer Republik hin zu Ideentransformationen einer Bundesrepublik, die Kritik an Staat und Demokratie ausdrücklich zuließ und so mehr Affirmation bewirkte als so manchem Gesellschaftskritiker recht war. In solchen Momenten des Selbstzweifels und der Entrüstung rief der eine oder andere unter ihnen eine Reminiszenz an die risikobehaftete Intellektuellenexistenz zu Weimars Zeiten wach. Es blitzten dann mindestens habituelle Beharrungskräfte, nämlich eine kämpferische und anspornende Außenseiterrolle einnehmen zu wollen, kurzzeitig auf. In diesen Augenblicken, so verklärend sie in der Rückschau sein mochten und den Zustand einer politischen Heimatlosigkeit geradezu heroisierten, rückten revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte nochmals nahe zusammen.

      Die in diesem Band versammelten Aufsätze erschienen erstmals in meist etwas kürzerer Form zwischen 2009 und 2021. Für dieses Buch wurden sie durchgesehen, korrigiert, teilweise ergänzt, modifiziert und behutsam aufeinander abgestimmt. Zudem wurden die ursprünglich ohne Anmerkungen publizierten Essays mit Verweisen versehen. Die Texte können keine vollständige oder auch nur repräsentative Zusammenschau zur Geschichte der Intellektuellen in Deutschland während des wendungsreichen 20. Jahrhunderts bieten. Es sind Probebohrungen im Übergangsbereich von Geschichts- und Politikwissenschaft auf einem gleichermaßen zeit- wie ideenhistorischen Feld, dessen Erschließung ein möglichst breites Spektrum von intellektuellen Akteuren und Herausforderungen zwischen Weimarer Republik und Bundesrepublik erkennbar werden lassen soll. Kontinuität und Wandel des politischen Denkens, insbesondere des Staats- und Demokratieverständnisses, interessieren dabei ebenso wie Fragen nach dem Status und Rollenverständnis von Gesellschaftskritikern in unruhigen Zeiten. Für die Idee und Anregung zu diesem Buch danke ich ganz herzlich meinem Freund und Kollegen Jens Hacke sowie Axel und Irmela Rütters von der Europäischen Verlagsanstalt. Christoph Claussen danke ich schließlich für seine kritische Lektüre und kundige Korrektur der Texte.

      Axel Schildt war mir in allen zeit- und intellektuellengeschichtlichen Fragen ein wichtiger Mentor, darüber hinaus ein wunderbarer Freund. Der Erinnerung an ihn möchte ich diesen Band widmen.

Revolution! Revolution?

       1.

       Systemwechsel und Subjektivierung

      Wiederentdeckung der Revolution von 1918/19 als politische Transformations- und Erfahrungsgeschichte

       I. Einleitung

      Wenn Historiker streiten, gilt nicht selten ein abgewandeltes Clausewitz-Wort: nämlich dass Geschichte dann als die Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln erscheint. Auch und gerade die deutsche Revolution von 1918/19 war ein herausgehobenes Streitthema einer zankenden Historikerzunft während des Kalten Krieges. Es kam dabei zur Vermengung von geschichtswissenschaftlichen mit geschichtspolitischen, häufig den Geist der Zeit atmenden Argumenten. Von den einst heftig ausgefochtenen Debatten über ein Entweder-oder zwischen freiheitlicher Demokratie und Bolschewismus, über verpasste Chancen und nicht ausgeschöpfte Handlungsoptionen, über Dritte Wege und ein höheres Maß an Demokratisierung ist allerdings schon seit geraumer Zeit kaum noch etwas zu spüren. Der Forschungsstand präsentierte sich ab den 1980er Jahren als festgefahren, die ausgebliebene öffentliche Würdigung bot einigen Anlass, von einer „vergessenen Revolution“ zu sprechen.1 Überhaupt hält die 1918er-Revolution gelegentlich als Beleg dafür her, dass den Deutschen Revolutionen grundsätzlich nicht liegen und sie ihnen stets misslingen würden. Fünfzig Jahre nach der Novemberrevolution diagnostizierte Joachim C. Fest im Spiegel ein entsprechendes „Unvermögen“ der Deutschen, das am Beispiel des Umbruchs von 1918/19 besonders deutlich zum Ausdruck gekommen sei. Am Ende „proklamierte die Weimarer Verfassung eine Revolution“, urteilte Fest vernichtend, „die niemals stattgefunden hatte“.2

      In jüngerer Zeit deutet sich indes ein Abschied von der erinnerungskulturellen wie historiografischen Revolutionslethargie an. Das Hundertjahres-Jubiläum 2018/19 trug dazu ebenso bei wie ein wieder gewachsenes Interesse an Krisen-, Umbruchs- und Revolutionsphasen in einer Zeit neuer Unsicherheiten.3 Hinzu kommt seit einigen Jahren ein zunehmend ergebnisoffener Blick auf die Weimarer Republik, der es ermöglicht, Interpretationen zur Novemberrevolution von normativen und quasi-teleologischen Einfärbungen zu befreien. Dies korrespondiert mit einer Sichtweise auf die gesamte Zwischenkriegszeit als Periode, die sich mithilfe der räumlichen Metapher eines „Laboratoriums“ für die Erprobung politischgesellschaftlicher Ordnungsmodelle gut einfassen lässt. Schon Tomáš Masaryk kam das Europa nach 1918 wie ein „auf dem großen Friedhof des Weltkriegs errichtetes Laboratorium“ vor.4 Ein krisengeschüttelter Liberalismus forderte ebenso wie erodierende monarchische Legitimationsmuster zum Experimentieren mit neuen Varianten politischer Repräsentation heraus, zumal vor dem Hintergrund des Spannungsfelds von Imperium und Nation am Ende des Ersten Weltkriegs.5 Dies beförderte nicht zuletzt gewaltgestützte Dynamiken von Revolution und Gegenrevolution. Fast kurios mutet dabei an, dass nicht nur die Anhänger des Kommunismus einerseits und die Verfechter westlicher Zivilisation wie Demokratie andererseits transnationale Ansprüche hegten und grenzüberschreitende Netzwerke pflegten, sondern auch radikal-nationalistische Paramilitärs.6

      Ich deute diese Perspektiven nur an, um mich doch auf die Vorgänge im Herzen des Deutschen Reiches zu konzentrieren. Wie vollzog sich dort der Wandel im Einzelnen? Welche Schritte der Transition lassen sich nachvollziehen, wie sind ereignisgeschichtliche Abläufe behutsam (ohne Übernahme des berühmt-berüchtigten Politologenjargons) mit strukturellen Überlegungen zu Ursachen und Verlaufsformen des politischen Systemwechsels zu verbinden.7 Dieser Zugang ist gleichsam als Ergänzung oder auch Begrenzung des umstrittenen, regelmäßig politisch aufgeladenen Begriffs der Revolution zu verstehen. Er konzentriert sich auf Transformationen zwischen verschiedenen Staatsformen, erörtert insbesondere die Ursachen für das Ende des alten Regimes, die Übergänge zum neuen und dessen Konsolidierung.8 Eine so zugeschnittene Analyse trägt zur Systematisierung, Entnormativierung und Versachlichung bei und verabschiedet sich von einem maximalistischen Revolutionsbegriff. Ein solcher nämlich beansprucht einen weit über die staatliche und politische Ordnung hinausgehenden, fast „totalen“ Geltungsanspruch, der Gesellschaft, Wirtschaft und Kultur umschließt und häufig mit dem Ziel eines utopisch anmutenden Endzustands verkoppelt ist.9 Neben dem Systemwechsel-Zugang will ich einen weiteren Weg zur Wiederbelebung der Revolution im Zeichen der Erfahrungsgeschichte, die den subjektiven Wahrnehmungswelten der Zeitgenossen zu ihrem Recht verhilft, aufzeigen und hier und da beispielhaft in die Darstellung einbinden. Wie im Falle des Systemwechsels ist dies kein gänzlich neuer Weg, aber seine Erkundung verdient eine Intensivierung, gerade weil durch eine konsequente Historisierung – so paradox es zunächst klingen mag – eine Aktualisierung gelingen kann, ohne bloß gegenwärtige Problemkonstellationen in die Geschichte zurückzuprojizieren.10 Die zwei Grundgedanken des Beitrags lassen sich also mit den beiden Schlagworten „Systemwechsel“ und „Subjektivierung“ knapp einfangen.

       II. Ursachen und Verlauf des langen Novembers der Revolution11

      Auch

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