Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus

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Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte - Alexander Gallus

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improvisierten Rede verdeutlichte Scheidemann zweierlei: erstens den Führungsanspruch der Mehrheitssozialdemokraten innerhalb der Revolution, zweitens die Auffassung, dass die Revolution aus Sicht seiner Partei bereits an ihr Ziel gelangt sei und es fortan um die parlamentarisch-demokratische Legitimierung und Festigung der neuen republikanischen Ordnung gehe. Spätestens war dieser Moment gekommen, als die Führer der Mehrheitssozialdemokratie „um der Wirkung auf die Massen willen“ – so ein berühmtes Wort Ernst Troeltschs – die Revolution, die sie an sich nicht wollten und die sie nicht in Gang gesetzt hatten, „adoptierten“.29 Sie hatten mit dem Vorwurf zu leben, „den Revolutionären die Revolution gestohlen“ zu haben, wie es Otto Wels später einmal aus einer Abwehrhaltung heraus während des Münchner „Dolchstoß“-Prozesses im Jahr 1925 ausdrücken sollte.30 Die Scheidemann-Rede verbreitete sich jedenfalls rasch über Mundpropaganda und entfaltete noch am Tage selbst eine deutliche Wirkung bei den demonstrierenden Arbeitern und Soldaten, die wenigstens kurzzeitig an die siegreich beendete Revolution glaubten.31 Dieses Signal wurde um so begieriger aufgegriffen, als nicht zuletzt unter den Soldaten nach vier Jahren Krieg der „Drang“ groß war, „ins normale Leben zurückzukehren“32 und „heim zu Muttern zu kommen“.33

      Wie wenig nur die Republik auf einem stabilen Konsens der Überzeugungen begründet werden konnte, belegt schon – erneut vorrangig in symbolischer Weise – die Tatsache, dass rund zwei Stunden nach Scheidemann der bekennende Revolutionär und „Spartakist“ Karl Liebknecht im Lustgarten vor dem Schloss die „freie sozialistische Republik Deutschland“ verkündete.34 Er kürte sie zur Zwischenetappe auf dem Weg zur kommunistischen Weltrevolution. Selbst angesichts dieses weit ausgreifenden Machtanspruchs formierte sich im übrigen kein royalistischer Widerstand zum Erhalt der Monarchie. Es floss kaum Blut, der Revolution wohnte insofern – wie schon der Politikwissenschaftler Thomas Ellwein vor vielen Jahrzehnten bemerkte – eine „gewisse Liebenswürdigkeit“ inne: „In den meisten deutschen Ländern“, hieß es mit leicht süffisantem Unterton, „bemühte man sich sehr, die Gebote der Höflichkeit zu achten, Fürsten und Revolutionäre verkehrten in einer gewissen Resignation miteinander und in manchen Fällen sprachen die neuen Machthaber den abgedankten Monarchen ihren Dank aus.“35 Manch einem Beobachter unter den revolutionären Arbeitern behagte diese Gutmütigkeit nicht, einem erschienen die Novemberereignisse im Rückblick als „fast unblutig, vielleicht zu unblutig“.36 Der Kommentator der unabhängigsozialdemokratischen Chemnitzer Volkszeitung begrüßte dagegen am 16. November 1918 den unblutigen Charakter, der vielen älteren Revolutionen auch gut angestanden hätte: „Die gewaltigste soll zugleich auch die friedlichste und ordnungsgemäßeste Revolution sein.“37

      Allgemein entbrannte gerade innerhalb des linken politischen Spektrums ein Streit über die künftige Gestaltung der neuen Ordnung. Ebert an der Spitze der Regierung wie der Mehrheitssozialdemokratie versprach die baldige Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung. Es galt, wie immer geartete Räte-Experimente und erst recht eine Revolution bolschewistischen Typs in Deutschland zu vereiteln.38 „Bolschewismus“ war eine vielfach vernehmbare Leitvokabel in zeitgenössischen Texten 1918/19. So wenig damals eine tatsächliche Bolschewisierung drohte, ist der Begriff als Erfahrungs- und Wahrnehmungskategorie doch von großer Bedeutung.39 Selbst der „rote Graf“ Kessler hielt am 5. Januar 1919 in seinem Tagebuch fest: „Die Welle des Bolschewismus, die von Osten kommt, hat etwas von der Überflutung durch Mohammed im siebenten Jahrhundert. Fanatismus und Waffen im Dienste einer unklaren neuen Hoffnung, der weithin nur Trümmer alter Weltanschauungen entgegenstehen. Die Fahne des Propheten weht auch vor Lenins Heeren.“40 Der deutsche Lenin hieß Liebknecht, und um ihn rankte sich bald der Mythos eines mächtigen Hohepriesters der Revolution, der in keinem Verhältnis zu seiner realen Machtposition stand.41

      Die Spaltung der sozialdemokratischen Partei im Verlauf des Ersten Weltkriegs hat in unumkehrbarer Weise den Boden für die Auseinandersetzungen während der Revolutionstage bereitet. Heinrich August Winkler nannte die Spaltung der Arbeiterbewegung, so paradox dies anmutete, sowohl eine gravierende „Vorbelastung“ als auch eine entscheidende „Vorbedingung“ der ersten deutschen Demokratie42; letzteres deswegen, weil das innerlinke Schisma erst die Voraussetzung für eine Übereinkunft zwischen gemäßigt sozialdemokratischen und liberal-bürgerlichen Kräften geschaffen habe. Dabei ist zu ergänzen, dass es zu einfach wäre, das Lager der Linken nach einem binären Schema zu scheiden. In den Blick geraten müssten mindestens vier unterschiedlich starke, sich teilweise überschneidende Kraftzentren, nämlich MSPD und USPD, die beide wiederum ein breites Spektrum in den eigenen Reihen aufwiesen, „Spartakus“ und diverse linksradikale Gruppierungen, die an der Jahreswende 1918/19 die KPD begründeten,43 sowie die Revolutionären Obleute.44

      Es fiel schon den Zeitgenossen nicht leicht, zu einem gerechten Urteil über diese verschiedenen Aktivisten-Gruppen zu gelangen. Für Käthe Kollwitz galt es zu bedenken, dass es neben den Matrosen und Soldaten (deren politische Positionierung kaum auf einen Nenner zu bringen war) die links der Mehrheitssozialdemokratie stehenden Aufständischen waren – ob innerhalb der Gruppe der Unabhängigen, der Revolutionären Obleute oder im Spartakusbund –, die den Umbruch und das unwiederbringliche Ende des Kaiserreichs forciert hatten. Für manchen Beobachter war es deshalb schwer, sich eindeutig auf eine Seite zu stellen. Die allgemein mit pazifistischen und sozialistischen Positionen liebäugelnde Künstlerin fühlte sich bei dem Versuch einer gerechten Würdigung hin- und hergerissen. Letztlich findet sich am 8. Dezember 1918 in ihrem Tagebuch ein versöhnliches Urteil notiert:

      „Eben sage ich mir noch, wenn Wahl zwischen Diktatur Ebert und Diktatur Liebknecht, ich bestimmt Ebert wählen würde. Auf einmal aber fällt mir ein, was die eigentlich Revolutionären doch geleistet haben. Ohne diesen steten Druck von links hätten wir auch keine Revolution gehabt, hätten wir den ganzen Militarismus nicht abgeworfen. Die Mehrheitspartei hätte uns davon nicht erlöst. Sie wollte immer nur evolutionieren. Und die Konsequenten, die Unabhängigen, die Spartakusleute sind auch jetzt wieder die Pioniere. Sie drängen immer vorwärts, wie es auch liegt. Auch wenn es Blödsinn ist, auch wenn Deutschland darüber kaputt geht. Man wird sie jetzt knebeln müssen um aus dem Chaos herauszukommen und es besteht ein gewisses Recht dazu. Sieger werden voraussichtlich die Gemäßigten bleiben. Ich selbst würde es wünschen. Nur darf man nicht vergessen, daß die zu Knebelnden das eigentlich revolutionäre Ferment sind, ohne die wir überhaupt keine Umwälzung gehabt hätten. Daß es tapfere Menschen sind, die ohne weiteres sich Maschinengewehren aussetzen, daß es hungernde entrechtete Leute sind, die immer zu kurz gekommen sind. Daß es vor allem Leute sind, die, hätten sie damals schon die Macht von heute gehabt, den Krieg verhindert hätten. Kurz und gut, es sind die Leute des revolutionären Prinzips, dem sie mit Unentwegtheit anhängen. Natürlich haben sie faktisch Unrecht. Faktisch muß man mit den Mehrheitssozialisten gehen. Es sei denn, daß einem der gänzliche Zusammenbruch Deutschlands ganz schnuppe ist.“45

      Die Mehrheitssozialdemokratie pochte auf Kontinuität im Wandel und geordnete, parlamentarisch-demokratisch legitimierte Transformationswege. Die erfolgreiche Einberufung einer verfassunggebenden Nationalversammlung blieb daher zunächst das vorrangige Ziel. Ausschließlich dort sollten die Grundentscheidungen zur künftigen Ausgestaltung von Staat und Gesellschaft erfolgen. Der erste Reichskongress der Arbeiter- und Soldatenräte Deutschlands, der vom 16. bis 21. Dezember 1918 zusammentrat, stimmte schließlich mit großer Mehrheit der Forderung nach Wahlen zur Nationalversammlung am 19. Januar 1919 zu. Aus staatsrechtlicher und demokratietheoretischer Perspektive spricht einiges dafür, die Sozialdemokratie für ihr Verantwortungsbewusstsein und ihr unbeirrtes Festhalten am Ziel der parlamentarischen Demokratie zu loben. Darin sind Weichenstellungen ganz grundsätzlicher Natur zu erkennen, die durch Eberts eigenes Wort von der Konkursverwaltung in keiner Weise angemessen eingefangen werden.46

      Und doch erscheint das Vorgehen der Sozialdemokratie in mancher Hinsicht als allzu vorsichtig. So haben die Furcht vor dem Chaos und ihr Beharren auf Verwaltungskontinuität, überhaupt ein „starres, institutionenfixiertes Denken“47 insbesondere den alten Verwaltungs-

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