Revolutionäre Aufbrüche und intellektuelle Sehnsüchte. Alexander Gallus

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Revolutionäre Aufbrüche  und intellektuelle Sehnsüchte - Alexander Gallus

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greift diese Sicht eines spontanen Umbruchs als Produkt der Kriegsniederlage doch zu kurz.12 Vielmehr reifte die Umwälzung schon „lange im Schoße der wilhelminischen Gesellschaft“ heran, wie es Volker Ullrich einmal formulierte, und blieb ihr verhaftet.13

      Ein schleichender Legitimitätsverfall der monarchischen Ordnung zeigte sich an verschiedenen Symptomen, so an der Verlagerung der Entscheidungsgewalt vom Monarchen auf die Militärspitze im Verlauf des Weltkriegs und in Form einer Systemkrise angesichts der gesteigerten Kriegsmüdigkeit, der Hungerrevolten und Massenproteste im Januar 1918. Arthur Rosenberg erkannte darin bereits eine Generalprobe für die Novemberrevolution.14 Ungeachtet solcher Vorboten wirkte das Eingeständnis der Niederlage durch die Oberste Heeresleitung Ende September 1918 wie ein Schock auf Öffentlichkeit und Politik. Schließlich hatte nicht zuletzt der Friedensschluss von Brest-Litowsk mit Sowjetrussland im Frühjahr 1918 nochmals Hoffnungen auf einen deutschen Sieg genährt.

      Eine erste, von „oben“ gelenkte Transformationsphase begann im Spätsommer 1918, als die Oberste Heeresleitung einen Waffenstillstand gemäß den „Vierzehn Punkten“ des amerikanischen Präsidenten Woodrow Wilson forderte, wie dieser sie im Januar 1918 formuliert hatte.15 Die Entente-Mächte waren zu diesem Zeitpunkt allerdings zu einem solchen Entgegenkommen nicht mehr bereit und boten einen Waffenstillstand an, der einer umfassenden Kapitulation gleichkommen sollte. Außerdem wollten sie nicht länger mit Vertretern des deutschen Militärs verhandeln, verlangten vielmehr die Schaffung einer demokratisch legitimierten Regierung. Insofern wirkte Wilsons Notenoffensive auf die Parlamentarisierung des Reiches ein, ohne dass diese Initiative sogleich zu einer „Revolution von außen“ zu stilisieren ist. Weitere Aspekte sind in Betracht zu ziehen.

      So befürwortete erstens die militärische Führung des Reiches, wenn auch nicht ohne den Hintergedanken der bald ins Leben gerufenen „Dolchstoßthese“16, eine Verfassungsrevision in Richtung Parlamentarismus; zweitens plädierten insbesondere die Mehrheitsfraktionen im Interfraktionellen Ausschuss des Reichstags – Sozialdemokraten, die liberale Fortschrittliche Volkspartei und das katholische Zentrum – für eine solche Entwicklung, auch um das „Chaos“ einer revolutionären Massenbewegung von unten zu verhindern. Die neu gebildete Regierung unter Reichskanzler Prinz Max von Baden, der auch Vertreter der Sozialdemokratie, des Zentrums und der Liberalen angehörten, brachte vor dem Hintergrund des durch den Notenwechsel Wilsons ständig gesteigerten Drucks die Verfassungsreform auf den Weg.17 Am 28. Oktober traten die sogenannten Oktoberreformen in Kraft, die den Übergang von der konstitutionellen zur parlamentarischen Monarchie markierten.

      Wenngleich die Novemberrevolution im Lichte der Oktoberreformen in verfassungsformaler Hinsicht gleichsam als überflüssig erscheint, so war sie dies politisch keinesfalls. Dem Staatsformen-Wechsel vom Oktober fehlte in der öffentlichen Wahrnehmung durch die Zeitgenossen der Zäsurcharakter – und im juristischen Sinne war dies auch noch keine Revolution, weil sich der Wandel bis hierhin legal im Rahmen der Bismarck’schen Reichsverfassung vollzogen hatte. Vor allem aber war angesichts der materiellen Nöte, einer grassierenden Grippe-Epidemie18 und der Verarbeitung der Niederlage wenig Raum für eine theoretisch anmutende Diskussion über politische Ordnungsvorstellungen. Die öffentliche Stimmung war nicht dazu angetan, sich mit einer papiernen Verfassungsreform zufrieden zu geben. Ihr fehlte der Eros des Auf- und Durchbruchs. Oder anders ausgedrückt: Diesem Anfang wohnte noch kein Zauber inne. Auch deshalb mag man hinter Arthur Rosenbergs These von der „wunderlichsten aller Revolutionen“, bei der die Massen – im Angesicht der Oktoberreformen – wenig später „eigentlich gegen sich selbst“ rebelliert hätten, ein Fragezeichen setzen.19

      Die ebenfalls Ende Oktober einsetzende „Revolution von unten“ drängte auf die Abdankung des Kaisers als stärkstes Symbol für das Ende der alten Ordnung. So diffus die „Programmatik“ der neu ins Leben gerufenen Arbeiter- und Soldatenräte, die in jener Zeit übrigens in ihrer Mehrheit überaus friedfertig, diszipliniert und in engem Verbund mit der Sozialdemokratie agierten, auch war, so zielten sie doch auf die dauerhafte Überwindung des Ancien Régimes. Die Bildung von „Räten“ war der äußeren Form nach durch die Revolution in Russland motiviert. Diese Nachahmung war in den meisten Fällen jedoch lediglich ein von spontaner Euphorie getragener Wunsch, der keineswegs auf die Übernahme des Bolschewismus zielte.20 Räte zu gründen schien einer allgemeinen Mode zu entsprechen. Mit spöttischem Unterton notierte der Heidelberger Mediävist Karl Hampe am 14. November 1918 in seinem Tagebuch: „Man überbietet sich allenthalben in Gründungen von allen möglichen Räten: Bauernräte, Bürgerräte, geistige Räte, Kunsträte, Theaterräte. Die deutsche Vereinsmeierei ist in die Arme der Revolution geflüchtet!“21

      Der Vorwurf, „russische Verhältnisse“ schaffen zu wollen, stand gleichwohl im Raum. Auch deshalb hob beispielsweise der Vorsitzende des Hamburger Arbeiter- und Soldatenrates Heinrich Laufenberg mehrfach hervor, wie sehr sich die deutsche von der russischen Situation unterschied. Er verband ein vages Rätewollen – dabei selbst in klarer Distanzierung zur Mehrheitssozialdemokratie – ausdrücklich mit der Ablehnung der „politischen Methode der Bolschewisten“, die in seinen Augen bisweilen terroristische Züge annehmen konnte. Solche „extremste Gruppen“, von denen er sprach und wie sie sich zum Teil innerhalb der deutschen sozialistischen Arbeiterschaft fanden, suchte er auf Distanz zu halten.22

      Begonnen hatte die Aufstandsbewegung in den ersten Novembertagen als Militärstreik und Matrosenrevolte in Wilhelmshaven, dann bald verstärkt und durchdringend in Kiel. Harry Graf Kessler notierte am 7. November über die „Physiognomie der Revolution“ in seinem Tagebuch: „allmähliche Inbesitznahme, Ölfleck, durch die meuternden Matrosen von der Küste aus“.23 Das Bild, das diese oder eine ähnliche Metaphernsprache zeichnet, trifft es ganz gut. Und doch verweist es auf eine Frage, die von der Forschung weiter zu bearbeiten ist, nämlich wie sich von einem lokalen Aufstand ausgehend innerhalb kurzer Zeit eine weit ausgreifende, überwiegend friedlich sich darbietende Revolutionsdynamik entfalten konnte. Das betrifft Fragen nach der noch wenig ausgeschöpften Kommunikations- und Mediengeschichte der Revolution ebenso wie nach dem Akteur „der Massen“ an sich. Die Mobilisierung der Massen und die damit verbundenen Partizipationsansprüche harren noch der weiteren Untersuchung.24

      Angeregt von den Ereignissen der Münchner Räteherrschaft veröffentlichte Ernst Toller sein Dramenwerk Masse Mensch über den Charakter der „sozialen Revolution des 20. Jahrhunderts“ und gab diesem Akteur damit bereits einen zeitgenössischen, ebenso politischen wie kunstvollen Ausdruck.25 Am 7. November 1918 wurden in Bayern Regierung wie Monarchie gestürzt, zugleich rief Kurt Eisner die Republik („Freistaat“) aus.26 Am 9. November schließlich erfasste die Revolution Berlin: Prinz Max machte an jenem Tag komprimierter Geschichte – ohne offizielle Autorisierung und wenige Stunden vor dem Entschluss Wilhelms II. – die Abdankungserklärung des Kaisers sowie des Kronprinzen öffentlich. Das Amt des Reichskanzlers übertrug er dem Führer der Mehrheitssozialdemokraten Friedrich Ebert. Von den Sozialdemokraten war im Vorfeld der Druck auf Kanzler und Kaiser, die Abdankung zu vollziehen, in ultimativer Weise erhöht worden. Auf Anraten der Obersten Heeresleitung flüchtete Wilhelm am 10. November nach Holland, unterzeichnete die Thronentsagung aber erst am 28. November.

      Diesem formalen Vorgang kam keine entscheidende Bedeutung mehr zu, da die Durchbrechung der Normenkette in staatsrechtlicher Sicht bis dahin schon längst im Gange war. Spätestens die unmittelbare Übertragung der Reichskanzlerschaft von Prinz Max auf Friedrich Ebert stellte einen eklatanten Bruch mit der Reichsverfassung von 1871 dar. Diese „Diskontinuität der Rechtsordnung“, das betonte der Rechtshistoriker Horst Dreier, war in staatsrechtlicher Hinsicht nichts anderes als Revolution. Schließlich bedürfen „Revolutionen im juristischen Sinne“, das ergänzte er, „nicht unbedingt des Blutvergießens und des Schlachtenlärms, der Barrikadenkämpfe und der Volksstürme“.27 Vergleichbares gilt für den Systemwechsel-Ansatz.

      Systemwechsel benötigen Symbole, gerade um längerfristig ihre Wirksamkeit zu entfalten. Philipp Scheidemann

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