Europarecht. Bernhard Kempen

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Europarecht - Bernhard  Kempen Grundbegriffe des Rechts

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ein Handeln ultra vires („über ihre Befugnisse hinaus“). Das BVerfG behält sich die Prüfung der Kompetenzmäßigkeit von Unionsrechtsakten vor, da die Übertragung von Hoheitsrechten nach Maßgabe des gem. Art. 23 GG vom Bundestag verabschiedeten Zustimmungsgesetzes nur in Bezug auf ein klar festgelegtes und abgegrenztes „Integrationsprogramm“ erfolgen dürfe (BVerfGE 123, 267 [353 f.] – Lissabon). Eine Überschreitung der diesem Integrationsprogramm entsprechenden Kompetenzgrenzen seitens der Unionsorgane sei nicht mehr vom Zustimmungsgesetz gedeckt, weshalb ihnen insoweit die demokratische Legitimation fehle.

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      Allerdings setzt die Feststellung eines Handelns ultra vires voraus, dass der Verstoß hinreichend qualifiziert ist, d.h. dass das kompetenzwidrige Handeln offensichtlich ist und der angegriffene Akt im Kompetenzgefüge zu einer strukturell bedeutsamen Verschiebung zu Lasten der Mitgliedstaaten führt (BVerfGE 126, 286 [303 ff.] – Honeywell). Die Ultra-vires-Kontrolle dient auch der Gewährleistung des Rechtsstaatsprinzips, da sie die Notwendigkeit des Bestehens einer wirksamen Ermächtigung sicherstellt. Da es insoweit auf die Auslegung der Zuständigkeitsnormen der Verträge ankommt, aktiviert das BVerfG seit dem OMT-Verfahren die im Grundsatz auch für Verfassungsgerichte geltende Verpflichtung, diese Frage dem EuGH im Wege des → Vorabentscheidungsverfahrens gem. Art. 267 AEUV vorzulegen (BVerfGE 134, 366 [323] – OMT-Vorlage).

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      Insofern Geltung und Anwendungsvorrang des Unionsrechts im deutschen Rechtsraum auf dem im Zustimmungsgesetz enthaltenen Rechtsanwendungsbefehl beruhen, unterliegen sie auch den grundgesetzlichen Grenzen für die Öffnung der nationalen Staatsgewalt, wie sie sich aus der unverfügbaren Verfassungsidentität des Grundgesetzes ergeben. Im Rahmen der Identitätskontrolle prüft das BVerfG, ob die durch Art. 79 Abs. 3 GG für unantastbar erklärten Grundsätze durch eine Maßnahme der Union berührt werden. Während nach Maßgabe der Ultra-vires-Kontrolle jede entsprechend qualifizierte Kompetenzüberschreitung den Prüfungsvorbehalt des BVerfG auslöst, wird i.R.d. Identitätskontrolle eine Kompetenzüberschreitung nur am Maßstab der absoluten Grenze des änderungs- und damit integrationsfesten Kernbestands des Grundgesetzes geprüft. In eng begrenzten Einzelfällen kann sich auch insoweit und trotz Anwendungsvorranges die Unanwendbarkeit des Unionsrechts ergeben, wobei eine entsprechende Feststellung u.a. als Folge der Europarechtsfreundlichkeit des Grundgesetzes nur vom BVerfG selbst getroffen werden kann (BVerfGE 140, 317 [337] – Europäischer Haftbefehl).

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      Prüfungsmaßstab sind die von der Ewigkeitsgarantie in Art. 79 Abs. 3 GG erfassten Garantien, namentlich also die in Art. 20 GG verankerten Staatsstrukturprinzipien, und davon in erster Linie das Rechtsstaats-, das Demokratie- und das Sozialstaatsprinzip, und die durch Art. 1 GG geschützte Menschenwürde einschließlich des daraus ableitbaren unabdingbar gebotenen Grundrechtsschutzes im Einzelfall. Aus dem Demokratieprinzip, dem darin verankerten Grundsatz der Volkssouveränität und einem diesem korrelierenden „Anspruch auf Demokratie“ folgt insbesondere ein Schutz vor einer Erosion der Gestaltungsmacht des Bundestages und seiner haushaltspolitischen Gesamtverantwortung, den das BVerfG i.R.d. Identitätskontrolle und neben der Ultra-vires-Kontrolle vornimmt; zu den wesentlichen Bereichen demokratischer Selbstgestaltung zählen zudem die Staatsbürgerschaft, das zivile und militärische Gewaltmonopol, das Strafrecht und andere Formen des Freiheitsentzugs sowie kulturelle Fragen wie die Regelung von Sprache, Bildung, Familienordnung, Meinungs-, Presse- und Versammlungsfreiheit und Bekenntnisfragen (vgl. BVerfGE 123, 267 [358, Rn. 249] – Lissabon).

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      Die Grenzen des Anwendungsvorranges finden ihre Grundlage nicht im Unionsrecht, weshalb sie aus dessen Perspektive nicht bestehen könnten; aus mitgliedstaatlicher Perspektive folgen sie aus der Übertragung der Zuständigkeiten auf die Union. Allerdings finden sämtliche vom BVerfG herangezogenen Ansatzpunkte für eine Kontrolle ihre Entsprechung im Unionsrecht – in Gestalt von Art. 6 EUV und der → Grundrechtecharta bezüglich der Grundrechte, in Gestalt des → Grundsatzes der begrenzten Einzelermächtigung in Art. 5 EUV bezüglich des Ultra-vires-Vorbehalts und unter dem Aspekt der Wahrung der nationalen Identität der Mitgliedstaaten in Art. 4 Abs. 2 EUV bezüglich der Identitätskontrolle. Das BVerfG ist sich seinerseits des Loyalitätsgebots aus Art. 4 Abs. 3 EUV bewusst und hat das bereits in der Maastricht-Entscheidung konzipierte Kooperationsgebot durch wiederholte Vorlagen und judizielle Zurückhaltung ins Werk gesetzt, insbesondere indem es betont, dass beide Kontrollvorbehalte zurückhaltend und europarechtsfreundlich auszuüben sind (BVerfGE 142, 123 [202] – OMT). Die prinzipielle und insofern auch vom BVerfG als notwendig erachtete Geltung des Anwendungsvorranges wird damit nicht in Frage gestellt, sondern – im Einklang mit den materiell-rechtlichen Vorgaben des Unionsrechts – an einen nur ausnahmsweise und unter sehr engen Voraussetzungen zu aktivierenden Kontrollvorbehalt geknüpft.

      A › Arbeitnehmerfreizügigkeit (Michael Rafii)

      I.Allgemeines75 – 78

      II.Berechtigte und Verpflichtete79, 80

      III.Voraussetzungen für die Anwendbarkeit der Arbeitnehmerfreizügigkeit81 – 103

       1.Keine abschließende Regelung des Sachverhaltes durch Sekundärrecht82, 83

       2.Eröffnung des Schutzbereiches der Arbeitnehmerfreizügigkeit84 – 100

       a)Persönlicher Schutzbereich85 – 88

       b)Sachlicher Schutzbereich89 – 98

       c)Grenzüberschreitender Sachverhalt99, 100

       3.Keine Bereichsausnahme, Art. 45 Abs.

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