Europarecht. Bernhard Kempen
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Die Grenzen des Beschränkungsverbotes sind nicht abschließend geklärt. In der Bosman-Entscheidung hat der EuGH unter Bezugnahme auf die zur Warenverkehrsfreiheit ergangene Rechtsprechung in der Rs. Keck jedenfalls solche Maßnahmen als Beschränkungen bezeichnet, die spezifisch den Zugang des Arbeitnehmers zum Arbeitsmarkt behindern (EuGH, Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 – Bosman –, Rn. 102 f.; Urt. v. 24.11.1993, C-267/91 – Keck –, Rn. 17). In der Rs. Graf hat der EuGH weiterhin entschieden, dass eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch eine unterschiedslos wirkende Maßnahme nur bestehe, wenn diese den Zugang der Arbeitnehmer zum Markt beeinflusse (EuGH, Urt. v. 27.1.2000, C-190/98 – Graf –, Rn. 23). Zu ungewiss und zu indirekt wirkende Ereignisse seien insoweit nicht geeignet, den Arbeitnehmer daran zu hindern oder davon abzuhalten, sein Arbeitsverhältnis von sich aus zu beenden, um eine unselbständige Tätigkeit bei einem anderen Arbeitgeber auszuüben (EuGH, Urt. v. 27.1.2000, C-190/98 – Graf –, Rn. 24 f.). Ob und ggf. in welchem Umfang in Übertragung der Grundsätze der Keck-Rechtsprechung zur fehlenden Beeinträchtigung der Warenverkehrsfreiheit durch Verkaufsmodalitäten bloße Berufsausübungsregeln nicht als Behinderungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit zu qualifizieren sind, ist bislang nicht abschließend geklärt.
3. Beeinträchtigungen durch Private
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Speziell im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit können Beeinträchtigungen auch durch Private entstehen. Der EuGH hat die Ausdehnung des Anwendungsbereiches der Arbeitnehmerfreizügigkeit auf die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten mit dem Argument begründet, dass die Arbeitsbedingungen in vielen Mitgliedstaaten teilweise durch Gesetze oder Verordnungen und teilweise durch von Privatpersonen geschlossene oder vorgenommene Verträge oder sonstige Akte geregelt würden. Eine Beseitigung der Hindernisse für die Arbeitnehmerfreizügigkeit sowie deren einheitliche Anwendung wären gefährdet, wenn die Anwendung auf behördliche Maßnahmen beschränkt bliebe (EuGH, Urt. v. 6.6.2000, C-281/98 – Angonese –, Rn. 33 ff.). Insofern wirkt die Arbeitnehmerfreizügigkeit unmittelbar auf die Rechtsverhältnisse zwischen Privaten ein (sog. unmittelbare Drittwirkung).
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Die Arbeitnehmerfreizügigkeit findet insbesondere auf Kollektivregelungen im Arbeits- und Dienstleistungsbereich Anwendung, etwa auf Verbandssatzungen von Sportverbänden oder Tarifverträge (EuGH, Urt. v. 12.12.1974, 36/74 – Walrave –, Rn. 16, 19; Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 – Bosman –, Rn. 82). Die Kollektivregelungen sind dabei nicht nur am Diskriminierungs-, sondern auch am Beschränkungsverbot zu messen (EuGH, Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 – Bosman –, Rn. 96). Darüber hinaus hat der EuGH private Arbeitgeber an das Diskriminierungsverbot gebunden. Die Arbeitnehmerfreizügigkeit solle eine nichtdiskriminierende Behandlung auf dem Arbeitsmarkt gewährleisten und gelte insoweit „für alle die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regelnden Tarifverträge und alle Verträge zwischen Privatpersonen“ (EuGH, Urt. v. 6.6.2000, C-281/98 – Angonese –, Rn. 34; Urt. v. 17.7.2008, C-94/07 – Raccanelli –, Rn. 45). Eine Erstreckung des Beschränkungsverbotes auf private Arbeitgeber ist dagegen bislang nicht erfolgt.
A › Arbeitnehmerfreizügigkeit (Michael Rafii) › V. Rechtfertigung
V. Rechtfertigung
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Wie bei den anderen Grundfreiheiten (→ Grundfreiheiten: Allgemeine Lehren) kann eine Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit gerechtfertigt sein. Dafür muss ein Rechtfertigungsgrund vorliegen und die Maßnahme geeignet sowie erforderlich und angemessen sein (EuGH, Urt. v. 13.12.2012, C-379/11 – Caves Krier –, Rn. 48).
1. Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes
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Zunächst ist zu prüfen, ob für die Beeinträchtigung der Arbeitnehmerfreizügigkeit ein Rechtfertigungsgrund vorliegt.
a) Ordre-Public-Klausel
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Gem. Art. 45 Abs. 3 AEUV stehen die Gewährleistungen der Arbeitnehmerfreizügigkeit unter dem Vorbehalt der aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit gerechtfertigten Beschränkungen. Mit dem Rechtfertigungsgrund können sowohl unmittelbar und mittelbar diskriminierend wirkende Maßnahmen als auch Beschränkungen gerechtfertigt werden.
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Aufgrund der systematischen Stellung ist umstritten, ob der Rechtfertigungsgrund lediglich auf die in Art. 45 Abs. 3 AEUV genannten Mobilitätsrechte Anwendung findet oder auch auf die in Art. 45 Abs. 2 AEUV erwähnten Arbeitsbedingungen. Für eine Anwendung des Rechtfertigungsgrundes auf sämtliche Absätze des Art. 45 AEUV sprechen die einheitliche Schutzbereichsgewährleistung für die Arbeitnehmerfreizügigkeit in Art. 45 AEUV sowie die Konvergenz der Grundfreiheiten, da der identische Rechtfertigungsgrund in Art. 52 AEUV einheitlich für alle Gewährleistungen der → Niederlassungsfreiheit gilt.
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Die Begriffe öffentliche Ordnung, öffentliche Sicherheit und öffentliche Gesundheit sind unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des EuGH in der Freizügigkeitsrichtlinie (RL 2004/38/EG) näher definiert. Die Gründe der öffentlichen Ordnung und Sicherheit müssen nach Art. 27 Abs. 2 UAbs. 1 S. 1 Freizügigkeitsrichtlinie direkt an das Verhalten des Betroffenen anknüpfen. Das persönliche Verhalten muss gem. Art. 27 Abs. 2 UAbs. 2 S. 1 Freizügigkeitsrichtlinie zudem eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr darstellen, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Ein nationales Gesetz, das eine Ausweisung von strafrechtlich verurteilten Ausländern ohne nähere Prüfung der vorgenannten Einschränkungen vorsieht, ist mit dem Unionsrecht unvereinbar (EuGH, Urt. v. 29.4.2004, C-493/01 – Oliveri –, Rn. 100). Eine Rechtfertigung von Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Gesundheit setzt gem. Art. 29 Freizügigkeitsrichtlinie voraus, dass die Maßnahme zur Abwehr von Krankheiten mit epidemischem Potenzial i.S.d. einschlägigen Rechtsinstrumente der Weltgesundheitsorganisation bzw. sonstige übertragbare, durch Infektionserreger oder Parasiten verursachte Krankheiten erfolgt.
b) Zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls
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Eine Maßnahme, die die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beschränkt, kann auch im Bereich der Arbeitnehmerfreizügigkeit zulässig sein, wenn mit ihr ein berechtigter, mit dem Vertrag vereinbarer Zweck verfolgt wird und sie aus zwingenden Gründen des Allgemeininteresses gerechtfertigt ist (EuGH, Urt. v. 15.12.1995, C-415/93 – Bosman –, Rn. 104; Urt. v. 28.2.2013, C-544/11 – Petersen –, Rn. 47). Noch nicht abschließend geklärt ist, ob unter Berufung auf zwingende Erfordernisse des Gemeinwohls mittelbare Diskriminierungen gerechtfertigt werden können (→ Grundfreiheiten: Allgemeine