Hausaufgaben ? Nein Danke!. Armin Himmelrath
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Ganz selbstverständlich gingen die Verfasser dabei vom Konzept einer Ganztagsschule aus, nur die Nachmittage am Mittwoch und Samstag waren unterrichtsfrei. Dazu kamen obendrein noch die Hausaufgaben – im Schulordnungsentwurf als „Privatarbeit“ bezeichnet und genau nach Schuljahren und Alter der Kinder aufgeschlüsselt:
„Die Privatarbeit beträgt …“
1. Schuljahr (6–7 Jahre) | „am vollen Schultag“ | 0 Stunden |
„am Mittwoch“ | 0 Stunden | |
„über den Sonnabend und Sonntag“ | 0 Stunden | |
2.–4. Schuljahr (7–10 Jahre) | „am vollen Schultag“ | 1 Stunde |
2. Schuljahr | „am Mittwoch“ | 1 Stunde |
2. Schuljahr | „über den Sonnabend und Sonntag“ | 1 Stunde |
3.–4. Schuljahr (8–10 Jahre) | „am Mittwoch“ | 1,5 Stunden |
3.–4. Schuljahr | „über den Sonnabend und Sonntag“ | 2-3 Stunden |
5.–6. Schuljahr (10–12 Jahre) | „am vollen Schultag“ | 1,5 Stunden |
„am Mittwoch“ | 2 Stunden | |
„über den Sonnabend und Sonntag“ | 3-4 Stunden | |
7.–8. Schuljahr (12–14 Jahre) | „am vollen Schultag“ | 2 Stunden |
„am Mittwoch“ | 2,5 Stunden | |
„über den Sonnabend und Sonntag“ | 4-5 Stunden |
Zwar machten die Verfasser des Entwurfs eine einschränkende Bemerkung: „Die Privatarbeiten sind auf das den Kräften jeder Altersstufe entsprechende Maß zu beschränken, über welches sich die Lehrer oder Lehrercollegien mit den Vorständen, beziehungsweise mit den Lokalschulbehörden, zu einigen haben.“ Doch rein rechnerisch konnten 14-jährige Schülerinnen und Schüler demnach auf ein erhebliches Arbeitspensum kommen: 34 Schulstunden und drei angenommene Stunden in „Singen, Zeichnen und Turnen“ ergeben 37 Schulstunden oder 27 (Zeit-)Stunden und 45 Minuten; mit weiteren 15 Stunden Hausaufgaben kamen sie damit auf knapp 43 Stunden Schulzeit pro Woche. Vielen Eltern heutiger Ganztagsschüler dürften solche Rechnungen zur wöchentlichen Arbeitsbelastung ziemlich bekannt vorkommen.
Ein weiteres Beispiel findet sich in der Schulordnung der Lateinschule zu Bayreuth, erlassen im Jahr 1446: „Alle nacht sollen die Kinder scripturas schreiben, iren latein den elttern anheim sagen. vnd an dem morgen die schriefft in der schule weisen und ire latein wider aufsagen“7. Die Schülerinnen und Schüler sollten also während ihrer Zeit außerhalb der regulierten Schulstunden keinesfalls Freizeit haben oder gar auf dumme Gedanken kommen, sondern fleißig weiter die lateinische Sprache lernen, und zwar so gut, dass die Ergebnisse am nächsten Tag in der Schule überprüfbar waren. Mit solchen Regelungen wurde jedenfalls die Basis gelegt für ein schulpolitisches und pädagogisches Dogma, das bis heute scheinbar kaum hinterfragt wird: dass Hausaufgaben gut und sinnvoll sind. Und dass sie letztlich pädagogischen Zielen dienen.
Nur: Stimmt das tatsächlich? Die Schulforscherin Ilse Nilshon hat sich bereits mehrfach mit dem Thema Hausaufgaben beschäftigt, unter anderem als Verfasserin des 1999 veröffentlichten Gutachtens „Hausaufgaben und selbständiges Lernen“8. Und in dieser Studie zeichnet sie eine faszinierende historische Entwicklung nach. Im Laufe der Zeit wurden die Hausaufgaben sehr wohl immer mal wieder als pädagogisches Instrument in Frage gestellt – und immer wieder wurden diese zum Teil sehr fundierten Einwände abgebügelt, übergangen oder totgeschwiegen. Beispiele dafür, vor allem aus den 1960er und 1970er Jahren, finden sich unter anderem in den oben schon zitierten Spiegel-Artikeln. Den im Rückblick schärfsten Angriff auf die Institution Hausaufgaben jedoch gab es nach Nilsohns Recherchen bereits vor mehr als 100 Jahren. 1889 nämlich erschien die deutsche Ausgabe des Buches „Schulhygienische Untersuchungen“, verfasst von Axel Key.
Der schwedische Professor, ein Zeitgenosse Alfred Nobels, war Rektor der Pathologischen Anatomie am Karolinska-Institut in Stockholm und ab 1882 fünf Jahre lang auch Mitglied des Schwedischen Parlaments, wo er sich unter anderem im Ausschuss für Hochschulfragen engagierte. Einen thematischen Schwerpunkt seiner Veröffentlichungen bildete ab Mitte der 1880er Jahre die Gesundheit von Schulkindern. So argumentierte er beispielsweise in dem Artikel „School Life in Relation to Growth and Health“9, dass die Belastung „durch moderne Unterrichtsmethoden zu Hause und in der Schule“ hochgradig gefährlich für die kindliche Gesundheit sei: „In jedem entwickelten Land Europas wird immer schärfer die Frage des Einflusses des bestehenden Schulsystems auf die heranwachsende Jugend diskutiert“, schreibt Key. Es sei klar, „dass die Belastungen durch Arbeit, die die Kinder unter den bestehenden Schulregularien zu tragen haben, weit über das erträgliche Maß hinausgehen, und dass diese Belastungen zu einem großen Teil verantwortlich sind für die Krankheitsneigung von Schulkindern.“ Zu Hause zu erledigende Arbeiten schloss er in seine auch heute noch lesenswerten Betrachtungen ausdrücklich mit ein.
In seinem Buch hatte Key auch die Forderung aufgestellt, dass Kindern ausreichend Schlaf zugestanden werden müsse: 14-jährige brauchten nach seinen Erkenntnissen neun Stunden pro Nacht, 15-jährige achteinhalb und 16-jährige acht Stunden Schlaf. Das Buch lieferte „der Gruppe der Hausaufgabengegner weitere Argumente, da die Realität diesen Schlafenszeiten nicht gerecht wurde und die Hausaufgaben diesen unhaltbaren Zustand mit verursachten“, rekapituliert Ilse Nilshon. Und so meldeten sich um 1890 die Kritiker der Hausaufgabenpraxis flächendeckend zu Wort: In Leipzig und Kassel, Hamburg und auch in Österreich gingen sie mit wissenschaftlichen Publikationen und (schul-)politischen Forderungen an die Öffentlichkeit. Schon damals musste man sich gegen eine reformverweigernde Das-war-schon-immer-so-Haltung etablierter Pädagogen, Eltern und Politiker behaupten – und die Auseinandersetzung um Sinn und Unsinn der Aufgaben dauerte damals gleich mehrere Jahrzehnte. So forderte etwa Friedrich Dittes, früherer Leiter des Wiener Pädagogiums, dass die tägliche Hausaufgabenzeit von zwei bis drei Stunden reduziert werden müsse. Dittes‘ Worte hatten durchaus Gewicht. Der 1829 in Sachsen geborene Pädagoge studierte und arbeitete in Plauen, Leipzig und Chemnitz, bevor er zunächst als Schulrat nach Gotha und 1868 in die Schulverwaltung nach Wien kam. Zu diesem Zeitpunkt hatte sich Friedrich Dittes bereits einen Namen als Schulreformer gemacht, und so legte er sich auch in Österreich schnell mit den bestehenden Strukturen, vor allem aber mit dem Klerus an, dessen Einfluss auf die Schule und die Pädagogik er beschränken wollte. Obwohl er mit seinem Ansinnen Erfolge hatte, zog sich der Pädagoge 1881 aus der Schul- und Bildungsverwaltung zurück und konzentrierte sich bis zu seinem Tod 15 Jahre später auf die Herausgabe pädagogisch-wissenschaftlicher Artikel und Zeitschriften. Dittes verstand sich dabei bis zum Schluss als kritischer Begleiter der bestehenden Schulpraxis, wie unter anderem seine Positionierung in der Hausaufgabendebatte zeigt.
Auch in Deutschland waren die Thesen von den gesundheitsschädigenden Auswirkungen der Hausaufgabenpraxis um 1900 auf fruchtbaren Boden gefallen. „Die in den Erlassen für das preußische Schulwesen geforderten Zeitspannen, die für unterschiedliche Klassenstufen differieren, stellten selbst schon eine Kritik der gängigen Hausaufgabenpraxis dar“, schreibt Ilse Nilshon. Doch der gesetzliche Anspruch auf weniger Hausaufgaben ließ sich in der täglichen Schulpraxis nicht durchsetzen: Die Lehrer ignorierten die Vorschriften zur Begrenzung der Aufgaben einfach und hebelten sie damit erfolgreich aus. 1904 schreibt Hugo Gaudig in seinem Buch „Didaktische Ketzereien“ bereits süffisant vom „Kampflärm, der sich um die Überbürdung erhoben