Hausaufgaben ? Nein Danke!. Armin Himmelrath

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Hausaufgaben ? Nein Danke! - Armin Himmelrath

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durch kritische Medienberichte, Leserbriefe, Wortmeldungen in Gremien und Eingaben von Eltern so groß wurde, dass die Verantwortlichen 1997, also nach nur vier Jahren, eine Kehrtwende hinlegten und die Hausaufgaben im Kanton wieder einführten. Allerdings gibt es seither klare Vorgaben: Die kantonalen Bestimmungen für die Volksschule sehen vor, dass die Hausaufgaben individuell dem Lern- und Leistungsvermögen der Kinder angepasst werden müssen. Auch dürfen sie kein Ersatz für Übungsphasen während der Unterrichtszeit sein und, ganz wichtig: Es gibt nun zeitliche Obergrenzen. So sollen Schülerinnen und Schüler der ersten beiden Klassen nicht mehr als eine bis eineinhalb Stunden pro Woche Hausaufgaben machen müssen; die Belastung steigert sich mit zunehmendem Alter bis zu den Schülern der 7. bis 9. Klasse, für die maximal vier Stunden Hausaufgaben pro Woche vorgesehen sind.16

      Die Debatte war damit freilich nicht erledigt, denn die ausführlichen Untersuchungen zur Abschaffung der Hausaufgaben wurden erst publiziert, nachdem sie bereits wieder eingeführt worden waren. So erschien im Jahr 2000 eine Auswertung von Tina Hascher und Franziska Bischof17, in der die Forscherinnen die Leistungsentwicklung im Fach Mathematik von Viert- und Sechstklässlern in Schwyz und Zug vergleichen. Sie finden mit Blick auf die Kompetenz keine Unterschiede zwischen Kindern mit und ohne Hausaufgaben – wohl aber im Hinblick auf deren Befindlichkeit: Die aufgabenfreien Schwyzer Kinder fühlten sich geringer belastet und höher motiviert als ihre Altersgenossen im Kanton Zug.

      Obwohl die hausaufgabenfreie Zeit in Schwyz mittlerweile rund zwei Jahrzehnte zurückliegt, flackert die Debatte immer mal wieder auf. So ging im Herbst 2009 die Stadtzürcher Sozialdemokratische Partei mit einer Petition an die Öffentlichkeit, Titel: „Aufgabenstunden statt Hausaufgaben“. Die SP argumentierte mit mangelnder Chancengleichheit bei den Hausaufgaben und plädierte dafür, „Aufgabenstunden“ an den Schulen einzuführen – ganz so, wie das bereits vier Jahre lang in den 1990er Jahren gehandhabt worden war. Erneut erhob sich daraufhin ein öffentlicher Sturm der Entrüstung: Von „Zwang“ für die Schülerinnen und Schüler und „Bevormundung der Eltern“ war die Rede und davon, dass die Partei „die Kinder den Familien wegnehmen“ wolle. „Das Gegenteil ist der Fall! Ihre Kinder werden von der Schule heimkommen und einfach nur Kind sein und keine Mini-Studentinnen und -Studenten“, wehrte sich Lina Bär von der SP, „nicht alle Eltern haben studiert. Viele können dem Schulstoff ihrer Kinder nur schlecht oder gar nicht folgen. Dieser ungleichen Verteilung von Ressourcen wollen wir ein gerechtes Modell entgegensetzten.“18 Doch die Petition scheiterte. Wieder war das Beharrungsvermögen der Reformverweigerer zu groß – und das, obwohl mittlerweile auch einflussreiche Medien wie die „Neue Zürcher Zeitung“ behutsam ins Lager der Reformer gewechselt waren. „Hausaufgaben: Ein ‚pädagogisches Ritual‘ überlebt“, titelte die NZZ etwa im September 201319. Autor Peter Krebs zitiert darin unter anderem den Kinderheilkundler und Autor von Erziehungsratgebern Remo Largo mit der klaren Hausaufgabenschelte „Sie bringen gar nichts. Schüler und Eltern werden damit nur schikaniert“. Aber auch Gabriel Romano vom Institut Vorschulstufe und Primarstufe der Pädagogischen Hochschule Bern, für den Hausaufgaben nur ein „pädagogisches Ritual“ ohne tieferen unterrichtlichen Sinn sind.

      Krebs verweist zwar auf die Zusammenfassung Tausender weltweit erstellter Studien durch den neuseeländischen Bildungsempiriker John Hattie20, der in seiner Metastudie den Hausaufgaben einen moderaten Lerneffekt zuschreibt. Auch lässt er in einem Interview den entschiedenen Hausaufgaben-Befürworter Alois Niggli zu Wort kommen. Der Freiburger Pädagogikprofessor stellt darin fest, dass Hausaufgaben „nicht generell wirkungslos“ sind, „mit zunehmendem Alter können sie einen positiven Einfluss auf die Schulleistung haben, falls sie sorgfältig erledigt werden.“ Und „aus erzieherischen Gründen kann man sagen, dass die Kinder dank den Hausaufgaben mit der Zeit eine gewisse Selbständigkeit entwickeln können.“21 Doch Peter Krebs’ Skepsis gegenüber einem unsinnigen Ritual ohne echten pädagogischen Wirkungsnachweis obsiegt letztlich. Er verweist auf Belastungen für das Familienleben, wenn Kinder die Hausaufgaben manchmal bis morgens vor dem Unterricht vor sich her-schieben, und auf Eltern, die ihren Nachwuchs lieber auf teure – und hausaufgabenfreie – Privatschulen schicken, „um den Familienfrieden zu retten“. Jürg Brühlmann vom Dachverband Schweizer Lehrerinnen und Lehrer empfiehlt deshalb genau das, was vor 20 Jahren im Kanton Schwyz bereits realisiert wurde: die Verlegung der Arbeit in die Schulen, den Wechsel von Hausaufgaben zu Schulaufgaben. Allerdings gibt er auch zu bedenken, dass damit über eine neue zeitliche Struktur des Schulunterrichts nachgedacht werden müsse: „Wir würden bis zu einem Achtel der Lernzeit verlieren.“

      Doch obwohl fachlich alles eindeutig in eine Richtung zu weisen scheint, gilt auch für die Schweiz, ebenso wie für Deutschland und Österreich: Die flächendeckende Abschaffung der Hausaufgaben und ihr Ersatz durch zusätzliche schulische Angebote liegen derzeit in weiter Ferne – nicht zuletzt wegen der finanziell schwierigen Lage vieler Kommunen, die zusätzliche Lehrkräfte für eine schulisch betreute Aufgabenhilfe bezahlen müssten, dafür aber kein Geld investieren können oder wollen. Die Befürworter einer Abschaffung der Hausaufgaben stehen damit vor einem kaum zu knackenden, doppelten Verteidigungsbollwerk der Pro-Hausaufgaben-Fraktion, das flapsig formuliert in etwa so klingt: „Erstens haben wir das schon immer so gemacht. Und selbst wenn wir uns durch sämtliche Studien, die den Hausaufgaben Nutzlosigkeit bescheinigen, beeindrucken ließen – was wir nicht tun! –, dann gäbe es doch kein Geld, um irgendetwas zu ändern.“ Veränderung kann also allenfalls, so scheint es, von unten nach oben passieren, mit engagierten Einzelakteuren, die den jahrhundertealten Unsinn mit den Hausaufgaben nicht mehr mitmachen wollen. Beispiele dafür gibt es – etwa in der Gemeinde Neuheim im Kanton Zug. Dort wurde vor einigen Jahren eine Eltern-Lehrer-Gruppe (ELG)22 gegründet, die unter anderem zwei Mal pro Woche eine kostenlose Hausaufgabenbetreuung für Primarschulkinder anbietet. Die Vereinzelung der Hausaufgabensituation wird damit durchbrochen, qualifizierte Betreuer begleiten die Schülerinnen und Schüler bei ihren Aufgaben. Und dennoch ist das nur die zweitbeste Lösung, denn die Hausaufgaben an sich existieren ja weiter. Einen anderen Weg ist das Gymnasium Bäumlihof in Basel gegangen, dass die zu Hause zu bearbeitenden Aufgaben abgeschafft und durch Schulaufgaben ersetzt hat, die in der sogenannten individuellen Lernzeit erledigt werden23, häufig zu Beginn des Tages. Ein innovatives Konzept, das vielleicht kein Wunder ist an einer Schule, die 2010 auch damit begonnen hat, ganze Klassen ohne einen traditionellen Stundenplan zu unterrichten. Es scheint, als könnte es in der Hausaufgabendebatte lohnend sein, öfter einmal in Richtung Schweiz zu blicken.

      Doch begeben wir uns zuvor noch einmal ein paar Jahrzehnte zurück, ins Jahr 1982, als der „Spiegel“ die Hausaufgaben erstmals zum Titelthema machte24. Die Autoren – wie es damals bei dem Hamburger Nachrichtenmagazin üblich war, erschien auch dieser Text ohne Angabe der Verfasser – zeichneten nicht nur die historische Debatte um die Hausaufgaben nach, sondern nutzten gleich mehrfach die Gelegenheit, auch den Lehrerinnen und Lehrern eine deutliche Mitschuld am Aufgabendilemma zuzuweisen. So heißt es in dem Text unter anderem:

      →„Die Schulpraxis läßt ein voll entwickeltes System fein abgestufter Eskalation erkennen, wenn die Hausarbeiten nicht so ausfallen, wie es der Lehrer wünscht: Wiederholung der Hausaufgabe, Verdoppelung der Hausaufgabe, Aufsatz über Sinn der Hausaufgaben, Klassenprotokoll führen, zu den Hausaufgaben drei Seiten aus einem Buch abschreiben, Verdreifachung der Hausaufgaben, Nachsitzen, Eintragung ins Klassenbuch, blauer Brief an die Eltern.“

      →„Was früher Strafarbeit hieß, wird heute häufig als Übungsarbeit kaschiert, frei nach dem Lehrermotto: ‚Was wir jetzt nicht schaffen, müßt ihr zu Hause machen.‘ Wenn Schüler aufbegehren, so geschehen an einem Dortmunder Gymnasium, kann es passieren, daß das Quantum kurzerhand verdoppelt wird. Und wenn die Arbeit einiger zu wünschen übrigläßt, wird auch schon mal, so geschehen in Latein am Gymnasium in Winsen bei Hamburg, die ganze Klasse zur Neuauflage verdonnert.“

      →„Der Kölner [Professor]

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