Der Blick in den See. Mart Rutkowski

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Der Blick in den See - Mart Rutkowski Praktische Erlebnispädagogik

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innen! „Können Informationen auf Aspekte des eigenen Selbst bezogen werden, ist die Erinnerung besser, als wenn Informationen mit Aspekten anderer Personen oder Objekte in Beziehung gesetzt werden. Die Cues erweisen sich als Elemente eines dynamischen, autoreferenten und wahrnehmungsabhängigen Triggersystems. Autoreferent: Episoden triggern Episoden und lösen Assoziationskaskaden aus. Aktuell erlebte Episoden und Erlebnisse der Vergangenheit gehorchen nicht der linearen Chronologie. Ordnende Funktion hat die emotionale Hierarchie der Erlebnisse, wobei die Skala von beiläufig emotional geprägten Episoden bis hin zu biographischen Schlüsselerlebnissen reicht.“41

       … und das bedeutet für die EP

      Die Entwicklung unseres Selbst-Entwurfs hat viel mit emotional einprägsamen, bewussten Erfahrungen zu tun, die wir als bedeutsam für uns selbst einstufen. Unser Selbst wird stark geprägt von unserem episodischen bzw. autobiographischen Gedächtnis. Dabei muss immer wieder hervorgehoben werden, dass darin sehr unterschiedliche Arten von Informationen integriert werden und sowohl der prozedurale als auch der semantische Speicher hieran ihren Anteil haben. Anders gesagt: Ganze Ketten von bedeutsamen Ereignissen und Erlebnissen werden bildhaft und mehrdimensional abgespeichert und nehmen Einfluss darauf, wie wir uns selbst sehen, verhalten und entwerfen. Auch wenn es jetzt eigentlich nicht mehr erwähnt werden müsste: Erlebnispädagogische Settings sind natürlich prädestiniert für Situationen, die auf eine solche Weise verarbeitet werden. Der Reflexion kommt hierbei eine wichtige Rolle zu, da sie die Bedeutungsgebung/Interpretation und den damit einhergehenden Selbst- und Sinnbezug unterstützt. Hierdurch steigt die Chance der Überführung von Inhalten in die für uns besonders interessanten Areale der Großhirnrinde. Ähnliches gilt für die Sensibilisierung im Vorfeld, da hierdurch die Erwartung von Relevanz entsteht – was Stoffe im Gehirn freisetzt, welche eine aufmerksame Fokussierung und damit das Lernen unterstützen. Denn: „Die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Ausschnitt dessen, was gerade unsere Sinne erregt, bewirkt die Aktivierung genau derjenigen neuronalen Strukturen, die für die Verarbeitung eben dieses Ausschnitts notwendig sind.“42 Damit in Bezug auf die o.g. Hinweisreize der Selbstbezug unterstützt wird, bedarf es des (vielleicht nur emotionalen) Erfassens von Bedeutung und irgendeiner Form der Verankerung. Hier ist die Arbeit mit Metaphern zur Dekontextualisierung kein schlechtes Prinzip – und auch das Setzen von Körperankern oder das bewusste Fokussieren auf ein bedeutsames Bild können hilfreich

      sein.43

       These Nr. 3: Lernen bedeutet Umgang mit Irritation – Das Komfortzonenmodell bildet neurodidaktisch relevante Erkenntnisse ab.

       Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften:

      Ein der Entwicklung aller lebenden Systeme zugrundeliegendes Prinzip besteht darin, dass „neue Interaktionen (…) nur im Rahmen und auf der Grundlage bereits etablierter Interaktionsmuster ausgebildet und stabilisiert werden.“44 Dies mag an das Bild des hermeneutischen Zirkels erinnern. Entwicklung selbst kann jedoch nur dann stattfinden, wenn der Mensch auf neuartige Bedingungen trifft, welche die Stabilität der bereits etablierten Interaktionen in Frage stellen. Sinneseindrücke, die besonders neu sind oder in einer unbekannten Kombination mit anderen Sinneseindrücken auftauchen, sorgen für eine gewisse Unruhe im Gehirn. „Jedes Mal, wenn das passiert, wird ein bereits vorhandenes, früher entstandenes Erregungsmuster vorübergehend durcheinander gebracht.“45 Noradrenergene Zellen (Recherchiere dazu ➔ Noradrenalin) werden durch die Neuigkeit einer Situation aktiviert und fördern durch eine Reihe von Aktionspotentialen eine fokussierte Aufmerksamkeit. „Jetzt ist das Gehirn wach und kann das neue Aktivierungsmuster zu einem neuen inneren Bild zusammenfügen.“46

      Eine gewisse Erregung und Unruhe ist also förderlich, da hierdurch der Abgleichprozess unterstützt wird. Dies umso mehr, wenn im Gehirn parallel auch noch Dopamin ausgeschüttet wird – ein Stoff, der äußeren Reizen eine anspornende Bedeutung zuschreibt und eine Belohnungserwartung im Sinne eines erhofften Mehrwerts hervorruft. Dies alles geschieht aber nur, wenn der optimale Grad nicht überschritten wird – denn wenn durch Angst oder Stress die Aktivierung über den Grad der optimalen Stimulation hinaus gesteigert wird, hat dies zur Folge, dass weniger komplexe, ältere und bewährte Verhaltensmuster stabilisiert werden, um die Situation zu bewältigen, und der präfrontale Cortex gehemmt wird.47 Starker Stress oder Angst blockieren also genau den erwünschten Effekt. Eine Neubildung von Synapsen findet in einem solchen Moment nicht mehr statt.

       … und das bedeutet für die EP

      Lernen bedeutet also automatisch Umgang mit Irritation, welche in der Erlebnispädagogik gezielt und beabsichtigt als Schlüsselelement eingesetzt wird. Das Gehirn greift in einem ersten Abgleichprozess auf altbewährte Muster zurück, um diese dann in einem zweiten Schritt zu modifizieren, zu ergänzen oder zu erweitern – dazu muss aber die Irritation stark/bedeutsam genug sein. Dessen ungeachtet braucht es zum Erlernen neuer Inhalte und Verhaltensweisen aber auch eine gewisse Überlappung mit vorhandenem Wissen. Das Schlüsselwort hier lautet „Anschlussfähigkeit“ – man erahnt schon, wie wichtig darum eine

      Im Grunde ist uns Erlebnispädagogen das alles schon lange bekannt – denn dies ist unter dem Strich das Gleiche, was uns das Lern- oder Komfortzonenmodell sagt. Wir dürfen uns aber daran erfreuen, dass die Neurowissenschaften diesem Modell sozusagen ein naturwissenschaftliches Fundament geben.

       These Nr. 4: Soziales Lernen gelingt am besten durch das Tun im sozialen Kontext

       Erkenntnisse aus den Neurowissenschaften:

      Zunächst ist interessant zu wissen, dass unser Gehirn zum Erlernen eines Inhalts oder einer Kompetenz häufig nicht darauf angewiesen ist, die dahinterstehenden abstrakten Regeln zu verstehen. Oftmals stehen diese „logischen“ Aspekte einem Lernerfolg eher hinderlich im Weg – oder sind nur begrenzt anwendungs-unterstützend. Diesen Effekt erlebt jeder, der eine neue Sprache lernt: Beim Sprechen denkt man nicht darüber nach, wie der Satz grammatikalisch richtig strukturiert sein müsste – tut man es, ist zeitgleich das Sprachzentrum nur noch eingeschränkt nutzbar.48 Viele Dinge, die wir ganz natürlich beherrschen, können wir nicht gut mit Worten erklären: z.B. wie wir unsere Muttersprache sprechen, laufen, Fahrrad fahren u.v.m.49 Dieser Effekt trifft aber auch und gerade auf alle Aspekte des zwischenmenschlichen Bereichs zu. Vieles, was wir wahrnehmen, nehmen wir unter-/vor- aber auch unbewusst wahr (etwa ➔ Mikroexpressionen oder Körpersprache bei anderen Menschen). Hinzu kommt das Prinzip der sog. ➔ Spiegelneuronen: Bei der Beobachtung von Handlungen und Verhaltensweisen anderer Menschen werden in uns die gleichen relevanten Gehirnareale aktiviert wie bei dem tatsächlich Handelnden – so als würden wir selbst auf diese Weise handeln oder uns verhalten. Das erklärt, warum Emotionen und Stimmungen häufig „ansteckend“ wirken oder wir intuitiv ein Gefühl davon haben, wie es einem anderen Menschen geht. Das Wissen um die Existenz von Spiegelneuronen ist – wenn auch sicher nicht der Weisheit letzter Schluss – so doch ein wichtiger Schlüssel zum Verständnis von Intuition, Empathie und sozialem Lernen.

       … und das bedeutet für die EP

      Spiegelneuronen werden im Zusammensein mit anderen Menschen aktiviert. Dies bedeutet für soziales Lernen, dass jeder Mensch ein Modell für den anderen darstellt und wir uns ziemlich viel gegenseitig beeinflussen, wenn auch nicht bewusst. Für systemisch denkende Trainer ist das natürlich nichts Neues. Diese Modell-Rolle betrifft Teilnehmer wie Trainer in gleichem Maße. Wir erahnen somit, welchen Einfluss das Geschehen in der Gruppe und dessen Bewertung auf den Einzelnen nimmt. Für soziales Lernen in der Gruppe heißt das natürlich, dass jegliche Form von sozialer Veränderung in kleinen Schritten und langsam erfolgt – es muss vorsichtig erprobt, positiv bewertet und (unterbewusst) als reproduktionswürdig d.h. lohnenswert empfunden werden. Erst dann etabliert sich ein neues Verhalten oder eine neue Kultur. Als Trainer können

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