Zwischen Expertise und Führung (E-Book). Группа авторов
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Gespräch mit Felix Beuschlein, Klinikdirektor und Chefarzt Universitätsspital Zürich
Felix Beuschlein leitet seit einigen Jahren am Universitätsspital Zürich die Klinik für Endokrinologie, Diabetologie und Klinische Ernährung. Die Vermutung, dass gerade jetzt – mitten in der Corona-Pandemie – medizinische Entscheidungen für ihn als Chefarzt schwierig und emotional belastend sind, bestätigt sich nicht. Natürlich gab es in der Spitalleitung zu Beginn der Pandemie schwierige Diskussionen und es gab immer wieder Entscheidungen, die nicht leichten Herzens getroffen wurden. «Was machen wir, wenn wir nicht alle Patient*innen im Spital aufnehmen können?» «Welche Personen erhalten einen Platz auf der Intensivstation und welche nicht?» Es waren ethische Fragen, bei denen es nicht einfach ist, richtig und falsch zu unterscheiden. Die Vermutung, dass dies gerade Mediziner*innen mit einem naturwissenschaftlichen Hintergrund schwerfällt, teilt Felix Beuschlein nur bedingt. Auch in der Medizin geht es bei Entscheidungen nicht einfach um richtig oder falsch. Natürlich müssen Ärzt*innen bei einem Notfall in kürzester Zeit reagieren und damit entscheiden. Aber gerade im Fachgebiet Endokrinologie geht es häufig um ein Abwägen von verschiedenen Möglichkeiten und Behandlungsarten. Dabei geht es aber selten um Leben oder Tod, sondern meistens um die Frage, was mit einer Therapie erreicht werden kann.
Wie hätte nun Felix Beuschlein bei einer allfälligen Triage von Patient*innen entschieden? Ganz Wissenschaftler, hat er für diese Fragen auch wissenschaftliche Kriterien einbezogen, die eine nüchterne und objektivere Sicht über die Szenarien erlauben. Er gibt aber zu bedenken, dass dies Entscheidungen waren, die auf einer abstrakten Ebene gefällt wurden. Es ging nicht um reale Menschen, sondern um mögliche Szenarien, die zum Glück nie zur Anwendung kamen. Bis heute konnten in der Schweiz alle Patient*innen in Spitälern untergebracht werden. Die Frage, wer einen Platz bekommt und wer nicht, stellte sich zum Glück nicht. Wäre eine prominente Person, die den Kriterien nicht entsprochen hätte, tatsächlich abgewiesen worden? Und wie wären die Mitarbeitenden des Spitals damit umgegangen, wenn sie nicht allen Patient*innen hätten helfen können? Schliesslich hat man – wenn auch nicht formell – den Eid des Hippokrates geleistet. Im Folgenden soll nun aber die Frage von Entscheidungen in der schwierigen Corona-Situation etwas zur Seite gelegt werden und das Augenmerk auf allgemeine Entscheidungssituationen gelegt werden.
Meist entscheidet nicht der Chefarzt, sondern das Team
Entscheidungen zu medizinischen Fragen sind in der Klinik von Felix Beuschlein fast immer Teamarbeit. Verschiedene Spezialist*innen tauschen ihre unterschiedlichen Perspektiven im Entscheidungsprozess aus. Erst dann wird festgelegt, was sinnvollerweise unternommen werden soll. Im Zentrum steht die Frage, was überhaupt erreicht werden kann. Die Dualität «krank oder gesund» greift zu kurz. Beispielsweise kann es sinnvoll sein, eine Krankheit nicht zu bekämpfen, sondern eine hohe Qualität im Leben mit der Krankheit anzustreben. Eingriffe – auch medikamentöse – bergen immer ein Risiko, und das muss in eine Entscheidung miteinbezogen werden. Beispielsweise kann ein Diabetesmedikament nicht nur dazu führen, dass der Blutzucker gesenkt wird, es kann unter Umständen auch bewirken, dass er plötzlich zu tief ist.
Um gute Entscheidungen zu fällen, muss die Ärztin den Patienten in seiner Gesamtheit wahrnehmen. Dabei geht es nicht nur um medizinische Aspekte, sondern auch um das soziale und kulturelle Umfeld der Betroffenen, also um die Familie und die Kultur, in der der Patient lebt, um die Religionszugehörigkeit und um vieles mehr. Wenn ein Arzt einen Entscheid über einen Eingriff oder eine Therapie fällt, dann ist es immer eine Entscheidung, die zu Konsequenzen für das Leben und das Umfeld einer Patientin führt.
Die Entscheidung für die richtige Massnahme ist im Fachgebiet von Felix Beuschlein immer ein Abwägen, das sich auf eine Diagnose stützt, gleichzeitig aber die Ziele und Wünsche des Patienten berücksichtigt. Dabei können sich die Ziele der Ärztin von denjenigen des Patienten unterscheiden. Das Verhältnis zwischen dem Arzt und der Patientin ist zwar eine asymmetrische Beziehung, gleichwohl kann der Arzt heute nicht mehr patriarchalisch auftreten und über die Patientin entscheiden. Das Verhältnis ist sehr viel partizipativer. Dazu kommt: Patient*innen sind häufig gut informiert. Es ist deshalb wesentlich, dass zu Beginn eine Arbeitsbeziehung zwischen der Ärztin und dem Patienten hergestellt wird.
Aus den Entscheidungsprozessen im Arbeitsbereich von Felix Beuschlein resultieren meistens verschiedene Lösungsmöglichkeiten, die dann im Team besprochen werden. Da man sich gut kennt und häufig zusammenarbeitet wird schnell klar, welcher Weg beschritten werden soll. Innerhalb des Teams besteht ein grosses Vertrauensverhältnis und ein Wissen, wer wann warum wie argumentiert und wie dies einzuordnen ist. Dies führt dazu, dass man sich als Gruppe meist problemlos einigt und gemeinsam eine Lösung priorisiert und umsetzt. Selten und nur im Zweifelsfall muss der Chefarzt eingreifen und entscheiden.
In der Champions League mitspielen
Felix Beuschlein überrascht ein zweites Mal, als er erzählt, dass ihn Personalentscheide meist mehr herausfordern als medizinische Fragen. Gute Entscheide in medizinischen Fragen sind ein wesentliches Element der Qualität seiner Arbeit und für die Patient*innen direkt spürbar. Sie gehören zu seinem Alltag und es ist sehr entlastend und für die Entscheide gewinnbringend, dass sie in der Gruppe gefällt werden.
Personalentscheide muss er jedoch als Klinikdirektor allein fällen. Ein Universitätsspital ist nicht nur ein Spital, sondern auch eine Ausbildungsinstitution. Als Direktor muss er sich immer wieder die Frage stellen, wie er die einzelnen Mitarbeiter*innen fördern kann. Es geht aber auch um Fragen der Selektion. Nicht alle können Chefarzt oder Chefärztin werden und viele der Assistenzärzt*innen müssen die Klinik nach zwei bis drei Jahren wieder verlassen. Nur wenige werden Oberarzt beziehungsweise Oberärztin. Hier stehen immer wieder Entscheidungen an, die Felix Beuschlein nicht leichtfallen.
Die Klinik muss sowohl auf medizinischer als auch auf wissenschaftlicher Ebene hohe Leistungen erbringen, an denen Felix Beuschlein als Direktor, Chefarzt und Professor gemessen wird. Das Universitätsspital Zürich spielt nicht in der zweiten Liga, sondern in der Champions League. Da herrscht ein hoher Leistungsdruck, den er als Direktor der Klinik aushalten muss. Deshalb wechselte er nach Zürich und deshalb hat er diese Aufgabe übernommen. Um Erfolg zu haben, muss er – ähnlich wie ein Fussballtrainer – die richtigen Personen im Team haben. So wie nicht alle Fussballer*innen in der Champions League spielen können, so können auch nicht alle Ärzt*innen in der obersten Liga mitwirken. Manche haben das Können und den Biss dazu, andere nicht. Während man die einen fördern muss, trennt man sich von den anderen. Dies ist häufig nicht einfach und meist unangenehm. Umso mehr als man intensiv im Team arbeitet und Vertrauen eine wesentliche Grundlage der Zusammenarbeit ist. Gleichzeitig besteht aber immer auch eine Konkurrenzsituation zwischen den Assistenzärzt*innen.
Früher lösten solche Entscheidungen bei Felix Beuschlein Stress aus. Immer wieder fragte er sich, wie die betreffenden Mitarbeiter*innen mit seiner Entscheidung fertig würden. Unterdessen gelingt es ihm, mit solchen Situationen besser umzugehen. Ihm ist wichtig, den betreffenden Mitarbeiter*innen möglichst früh seine Einschätzung mitzuteilen, Defizite anzusprechen und damit transparent zu sein. Wenn er auf solche Entscheide zurückblickt, merkt er, dass das Schwierigste dabei nicht der Entscheid war, sondern die Kommunikation des Entscheids und die Reaktionen der Betroffenen.
Bereit sein, alles zu geben
Als dritten Entscheidungsbereich erwähnt Felix Beuschlein Entscheidungen, die sein eigenes Leben als Mensch, als Wissenschaftler, als Arzt und als Führungsperson betreffen. Früh stand fest, dass er in seinem Beruf Karriere machen will. Er war bereits als Jugendlicher sehr leistungsbezogen. Etwas zu leisten, nicht nur im Beruf, sondern auch im Sport und anderen Bereichen, war für Felix Beuschlein schon immer wichtig. Sein beruflicher Werdegang folgte dabei nicht