Bürgergesellschaft heute. Группа авторов

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COVID-19-Pandemie zeigt zum einen, wie fragil moderne Gesellschaften in weiten Teilen der Welt heute tatsächlich sind. Auch hierfür ist Ulrich Beck ein interessanter Bezugspunkt, der bereits im Jahr 1986 von Risikogesellschaften in Anbetracht globaler Entwicklungen gesprochen hat. Kennzeichnend für diese Risikogesellschaften sei es, aufgrund von Modernisierung, Technisierung, kurz: Forschung und Entwicklung, leicht von einem Extrem in das andere Extrem kippen zu können. Darüber hinaus zeigt sich zum anderen, dass die modernen Gesellschaften nach wie vor zwingend auf ein Grundausmaß an politischer Partizipation der Bürgerinnen und Bürger angewiesen sind. Sei es in dieser aktuellen wie akuten Krise das Mitverfolgen der gesundheitlichen Entwicklungen im eigenen Land und vielleicht auch, darüber hinaus, das Mittragen etwaiger Maßnahmen zur Eindämmung der Pandemie oder das Zurückfahren individueller – und zumeist durch ein gewisses Grundmaß an Mündigkeit entwickelter und liebgewonnener – Lebensgewohnheiten für einen gewissen Zeitraum. Das alles führt vor Augen, dass die Bürgergesellschaft, trotz aller Entwicklungen, in ihrem Kern auch Bürgergemeinschaft bedeutet, zumal einige wenige Menschen in ihrem Handeln dazu ausreichen würden, die genannten Maßnahmen und deren erhofften gesundheitlichen, ökonomischen wie politischen Nutzen nicht nur zu irritieren, sondern darüber hinaus zu konterkarieren.

      Demnach lässt sich schließen, dass die Entwicklungen von der antiken Bürgergemeinschaft hin zur modernen Bürgergesellschaft auf der einen Seite zwar durch Individualisierung, Mündigkeit und durch den Weg hin zur offenen Gesellschaft in modernen Demokratien zweifelsfrei vielfach vollzogen worden ist, dabei jedoch, zum anderen, die Bürgergemeinschaft nach wie vor vorhanden ist bzw. vorhanden sein muss. Eine Einsicht, die in Krisenzeiten deutlicher zu erkennen ist als in anderen Zeiten. Bezeichnend hierfür ist die Ansprache des österreichischen Bundespräsidenten Alexander Van der Bellen an die österreichische Bevölkerung im Zuge der Verordnungen zum zweiten Corona-Lockdown in Österreich Anfang des Novembers im Jahr 2020. Er appellierte in seiner Sechs-Minuten-Rede drei Mal an „die Gemeinschaft“ und sprach kein einziges Mal zur oder über „die Gesellschaft“.25

      5. Gemeinschaftspolitische Empathie als Bürgerrecht und Bürgerpflicht

      Abschließend gilt es nun in einem letzten Schritt, in fünf Punkten die Antike der Gegenwart gegenüberzustellen, dabei allerdings unter Berücksichtigung aller bereits genannten notwendigen Einschränkungen des Vergleichs.

      (i) Bereits die antike politische Theorie sowie weite Teile der politischen Praxis der Klassik haben um die unmittelbare Notwendigkeit der politischen Partizipation des Bürgers am Gemeinwesen im Sinne und zum Wohle der ganzen politischen Gemeinschaft (aller Teile der Polis) gewusst und diese auch eingefordert. Doch diese Partizipation wurde nicht nur als politische, sondern ebenso als moralische Pflicht betrachtet. Allerdings wurde das Wohl der politischen Gemeinschaft der Polisbürger vielfach über das Wohl des Einzelnen gestellt. Individualität wie Mündigkeit im neuzeitlichen Verständnis waren in der griechischen Antike der klassischen Zeit nicht in diesem Ausmaß gefragt.

      (ii) Die Entwicklungen von der antiken Bürgergemeinschaft hin zur modernen Bürgergesellschaft sind mit vielen bedeutenden wie konstitutiven Errungenschaften, insbesondere in Europa, verbunden, die an dieser Stelle weder hinterfragt noch kritisiert werden sollen – dabei, wie genannt, allen voran Individualität und Mündigkeit des einzelnen Menschen in seinem Leben in der Gesellschaft. Das hat dazu beigetragen, Gemeinschaft und Gesellschaft in einem nächsten Schritt deutlicher als zuvor auseinanderzuhalten. Die politische Partizipation wurde dabei zumeist – zweifelsfrei nicht überall – in den gesellschaftlichen Raum übertragen und von der unmittelbaren individuellen wie mündigen Lebensführung weiter entfernt.

      (iii) Doch diese beiden zuletzt genannten Aspekte dürfen nicht dazu anleiten anzunehmen, dass die moderne Bürgergesellschaft nicht auch zugleich eine Form der Bürgergemeinschaft in ihrem Kern beinhalte. Denn, wie gerade vorab gezeigt, insbesondere in Krisenzeiten wird deutlich sichtbar, wie sehr der Mensch Gemeinschaftslebewesen ist und nicht bloß ein gesellschaftlich individualisiertes Individuum in einem (im weiteren Verständnis) zur Gänze politikfreiem Lebensraum. Denn, wie mit Aristoteles festgehalten: Der Mensch ist, zum einen für das bloße (Über-)Leben, zum anderen für das gute und gelingende Leben, auf den Mitmenschen unmittelbar angewiesen. Ein Grundbaustein des Verständnisses von menschlicher (politischer) Gemeinschaft. Und diese Perspektive hat nach wie vor ihre Gültigkeit.

      (iv) Aus dieser politisch-anthropologischen Einsicht heraus, dass der Mensch ein individuelles, mündiges Gemeinschaftslebewesen ist, lässt sich weiters ableiten, dass dem einen das Leben des anderen, insbesondere innerhalb des eigenen Staats, nicht vollends gleichgültig sein kann. Die Grundlage dieser Nichtgleichgültigkeit lässt sich mit der Notwendigkeit eines Grundmaßes an gemeinschaftspolitischer Empathie zum Ausdruck bringen. Denn Ethik und Politik stehen auch im modernen Verständnis des Politischen nicht so weit auseinander wie es vielleicht in der aktuellen politischen Praxis auf einen ersten Blick wirken mag. (Abermals: Die Antike hat um diese unauflösliche Symbiose von Ethik und Politik gewusst.)

      (v) Im modernen Verständnis lässt sich diese gemeinschaftspolitische Empathie als Bürgerrecht und Bürgerpflicht aus ethisch-politischer Perspektive bezeichnen. Zum einen haben die Bürgerinnen und Bürger ein Anrecht darauf, dass sie von der Politik auf der einen Seite und den Mitbürgerinnen und Mitbürgern auf der anderen Seite nicht zurückgelassen werden, innerhalb gesellschaftspolitischer Diskurse und Entwicklungen. Zum anderen zeigt sich auch die ethisch-politische Herausforderung an den Einzelnen, den individuellen wie mündigen Menschen innerhalb von politischer Gemeinschaft wie Gesellschaft, Rücksicht auf andere zu nehmen und den anderen letztendlich auch in seiner Individualität wie Mündigkeit anzuerkennen.

       Literatur

      Aischylos: Die Perser. Übersetzt von Emil Staiger, Stuttgart 2015.

      Aristoteles: Eudemische Ethik. Übersetzt von Franz Dirlmeier, Berlin 1984.

      Aristoteles: Nikomachische Ethik. Übersetzt von Ursula Wolf, Hamburg 2006.

      Aristoteles: Politik. Übersetzt von Franz Susemihl, Hamburg 2003.

      Beck, Ulrich: Der kosmopolitische Blick – oder: Krieg ist Frieden, Frankfurt 2004.

      Bürgin, Alfred: Zur Soziogenese der politischen Ökonomie: Wirtschaftsgeschichtliche und dogmengeschichtliche Betrachtungen, Marburg 1996.

      Cancik, Hubert / Schneider, Helmuth (Hg.): Der neue Pauly: Enzyklopädie der Antike, Band 10, Stuttgart 2001.

      Funke, Peter: Die griechische Staatenwelt in klassischer Zeit. In: Gehrke, Hans-Joachim / Schneider, Helmuth (Hg.), Geschichte der Antike, Stuttgart 2006.

      Hobbes, Thomas: Leviathan – oder Stoff, Form und Gewalt eines kirchlichen und bürgerlichen Staates, Frankfurt 1966.

      Höffe, Otfried: Geschichte des politischen Denkens, München 2016.

      Kant, Immanuel: Was ist Aufklärung?, Stuttgart 2002.

      Kullmann, Wolfgang: Theoretische und politische Lebensform. In: Höffe, Otfried (Hg.), Aristoteles – Nikomachische Ethik, Berlin 2006.

      Locke, John: Versuch über den menschlichen Verstand. Übersetzt von Carl Winckler, Hamburg 2006, II. Buch.

      Lotze, Detlef: Griechische Geschichte: Von den Anfängen bis zum Hellenismus, München 2010.

      Sumner Maine, Henry: Ancient Law - Its Connection with the Early History of Society, and Its Relation to Modern Ideas, London 1861.

      Tönnies,

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