AktenEinsicht. Christina Clemm

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AktenEinsicht - Christina Clemm

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Vorleben, zu sämtlichen Sexualpartner*innen und -praktiken, zu Freund*innen, Verwandten und Bekannten, einfach allem Erdenklichen, was irgendwie geeignet sein könnte, Zweifel zu säen. Immer wieder kommt es vor, dass Zeug*innen als Lügner*innen beschimpft, verlacht und verunsichert werden, sie werden verächtlich und herablassend befragt, oder es werden einfach Behauptungen in den Raum gestellt, die vor allem dazu geeignet sind, die Zeug*innen aus der Fassung zu bringen, wie etwa: »Könnte es auch daran liegen, dass Sie häufig sexuelle Erlebnisse später bereuen?«, oder: »Wenn Sie schon lange keinen Sex mehr hatten, dann waren Sie womöglich einfach von der Situation überfordert, dass endlich mal einer ernst machte, oder?«

      Gern werden auch Fragen gestellt wie: »Trinken Sie häufig zu viel?« »Haben Sie sich oft nicht unter Kontrolle?« »Bereuen Sie häufig etwas, was Sie noch kurz vorher wollten?« Frauen wird unterstellt, sich durch das Verfahren das alleinige Sorgerecht erschleichen zu wollen oder endlich keinen Umgang mehr gewähren zu müssen, oder dass sie einfach mal ihren Vorgesetzten fertigmachen wollten, der sie nicht befördert habe. Auch welch unglaublichen finanziellen Vorteil die Verletzten aus der Falschbezichtigung zögen, wird behauptet.

      Dabei ist das Gegenteil der Fall. Die Regel ist, dass anzeigenden Frauen nicht geglaubt wird, dass sie einen Spießrutenlauf vor sich haben und die Wahrscheinlichkeit, dass sie am Ende eines Verfahrens ein weiteres Mal Missachtung erfahren haben, leider größer ist, als dass am Ende ein Vergewaltiger angemessen bestraft wird. Häufig ist die strafrechtliche Verfolgung ökonomisch eine Katastrophe für die Betroffenen, etwa wenn der Vergewaltiger oder Misshandler der Ehemann und Alleinverdiener war und ins Gefängnis kommt. Oder wenn der Täter etwa ein Arbeitgeber ist und besonderes Ansehen genießt. Dann wird, selbst wenn er verurteilt wird, die anzeigende Frau in dieser Branche kaum noch eine Anstellung finden, gilt sie doch als schwierig, belastet oder eben als die, die den anderen angezeigt hat. Auch die Schmerzensgeldsummen sind in Deutschland so gering, dass sie, wenn das Geld überhaupt eintreibbar ist, nicht annähernd für das Ausmaß der Folgen angemessen sind.

      Claudia S. macht ihre Sache gut. Sie ist bestens auf den Termin vorbereitet, weiß, dass es darum geht, sie zu verunsichern, dass versucht werden würde, sie an einen Punkt zu bringen, sei er noch so abseitig, an dem sie sich in Widersprüche verwickeln, an dem sie lügen würde. Eine altbewährte und beliebte Fragetechnik. Aber Claudia S. lügt nicht, antwortet konzentriert und offen. Sie weiß auf alles eine Antwort, manchmal überlegt sie etwas länger, manche Details erinnert sie nicht mehr genau und kann dies darstellen. Es gibt keine Widersprüche, keine Unsicherheiten. Das Thema Drogen umschiffen alle gemeinsam.

      Irgendwann verstehen die Verteidiger, dass sie mit dieser Taktik nicht weiterkommen und Claudia S. mit jeder Frage nur noch glaubwürdiger wird. Sie beantragen eine Pause zur Beratung, stellen danach die Strategie um und keine einzige Frage mehr. Jetzt will man sie nicht mehr in Widersprüche verwickeln, sondern ihr zu gutes Aussageverhalten problematisieren. Ihre Vernehmung wird abgeschlossen, und unmittelbar danach gibt einer der Verteidiger eine kurze Stellungnahme ab, wie sie jeder Verfahrensbeteiligte nach jeder Beweisaufnahme abgeben darf, und erklärt:

      »Ich bedaure es, dass ich Frau S. so lange befragen musste. Für sie war es sicherlich eine Qual, und es ist nicht schön, sein Privatleben so ausbreiten zu müssen. Wir würden dies am liebsten auch nicht tun. Aber es ist eine Qual, die man auf sich zu nehmen hat, wenn man einem anderen Menschen die noch viel größere Qual beschert, seine Freiheit einzubüßen, in Untersuchungshaft, womöglich sogar in Strafhaft zu sitzen, unschuldig inhaftiert zu sein.

      Claudia S. ist eine phantastische Zeugin. Wir wissen, was uns unser Mandant erzählt, und deshalb mussten wir versuchen, Ihnen nahezubringen, wie sie wirklich ist. Aber, das müssen wir hier einräumen, es ist uns kaum gelungen.

      Claudia S. ist, ich will das mal so flapsig sagen, anders als der Angeklagte, eine Zeugin von uns, eine, die vielleicht einen Abschluss als Juristin machen könnte oder in Philosophie, in Psychologie. Wir können uns vorstellen, wie sie Hörsäle füllt oder eine Klinik leitet, ihr steht die Welt offen. Sie ist schlau, eloquent, gewandt. Wenn man sie hier sitzen sieht, ihr zuhört, versteht man alles, was sie weshalb getan hat, und man wünscht ihr aus tiefstem Herzen, dass sie wieder auf die Beine kommt, weg von der Prostitution, hin zu dem Leben, das ihr ihre Eltern so gerne bereitet hätten.

      Nur eines versteht man nicht: Weshalb sie mit diesem Angeklagten mehr als einen One-Night-Stand hatte. Sie muss es doch nach kürzester Zeit durchschaut haben, was für ein Typ der Angeklagte ist. Sie muss seine Freunde verachtet haben, seinen Lebensstil, seine Ziele und Werte.

      Nie würde man glauben, dass sie noch andere, abgründige, hinterhältige Seiten hat.

      Unserem Mandanten ging es nicht anders. Er sah sie und verliebte sich unsterblich. Er himmelte sie an, befand sich im siebten Himmel, den wir alle so gern erreichen möchten. Auch alle seine Freunde mochten sie, bewunderten ihn dafür, sich eine solche Frau geangelt zu haben.

      Wie ist das möglich?

      Weil sie wandelbar ist, weil sie Phantasie hat, und …«

      – hier macht der Verteidiger eine Pause –

      »‰ Hohes Gericht – es ist nur meine Meinung – und ich weiß, dass sie nicht von Bedeutung ist –, aber ich bin davon überzeugt, dass diese Zeugin so überzeugend ist, weil sie sehr, sehr gut lügen kann.«

      Selbstverständlich gibt es auch falsch anzeigende Frauen, die eine Vergewaltigung zu Unrecht behaupten, so wie es falsche Anzeigen wegen Brandstiftung, Diebstahl, Raub oder Beleidigung gibt.

      Es gibt aber keinerlei belastbare Zahlen dazu, dass es höhere Falschanzeigezahlen bei sexualisierter Gewalt gibt als bei anderen Delikten. Auch die Mär, dass ein Mann, allein dadurch, dass ihm ein Sexualdelikt vorgeworfen wurde, vor dem beruflichen und sozialen Aus stehe, ist durch zahlreiche prominente Beispiele widerlegt.13

      »Weil sie jedem erzählen kann, was gerade ins Konzept passt, und sie intelligent und begabt genug ist, das Geschehen so zu drehen, wie es für sie am besten ist. Das muss man hier beachten. Die Aussagen von einfach strukturierten Menschen zu beurteilen, Hohes Gericht, mit Verlaub, das ist einfach. Aber wenn jemand über so viel Intelligenz und Eloquenz verfügt wie diese Zeugin, dann tun wir uns schwer, lassen uns gern blenden, so wie es vor dem Amtsgericht geschehen ist. Mein Mandant versteht bis heute nicht, weshalb es so gekommen ist, weshalb sie ihn plötzlich verlassen hat und weshalb sie ihn mit diesem falschen hinterhältigen Vorwurf belastet. Vielleicht reichte ihr das Leben mit ihm einfach, vielleicht bevormundete er sie zu sehr, war zu eifersüchtig, zu besitzergreifend. In der Welt meines Mandanten ist Emanzipation nicht gerade großgeschrieben, Frauen haben schön zu sein, nett zu sein, den Mund zu halten. Er trug sie auf Händen. Wollte eine Familie mit ihr gründen. Vielleicht ging es ihr zu schnell, wusste sie schon, dass sie nicht an seiner Seite alt werden wollte.

      Vielleicht war es Claudia S. auch einfach leid, sich täglich mit diesem Mann, der ihr intellektuell sagenhaft unterlegen ist, abzugeben. Wahrscheinlich spürte sie, dass ihr das Leben an seiner Seite nicht reichen würde. Aber sie kannte seine Eifersucht, sie wusste, dass sie nicht einfach so gehen könnte. Sie musste etwas gegen ihn in der Hand haben, wenn er sie finden würde. Damit wollte sie ihn erpressen, ihn fertigmachen, wenn er es wagen sollte, sie zurückzuholen. In der Nacht vor ihrem Verschwinden ist der Sex entglitten, es war einverständlich, SM, so wie sie es beide mochten. Aber es ging etwas weiter als sonst, sie hatten beide Drogen konsumiert, dass er sie würgte, gehörte dazu, auch dass er sie schlug. Diesmal aber war es vielleicht mehr als sonst. Unschön, aber nicht strafbar. Claudia S. ergriff die Gelegenheit. Nur so ist es zu erklären, weshalb sie nicht sofort nach der angeblichen Vergewaltigung die Polizei aufgesucht hatte. Das wäre doch der sicherste Weg gewesen. Die Spuren waren frisch. Stattdessen rannte sie zu ihrer unschuldigen Freundin, sammelte Beweise, aber zeigte ihn nicht an. Machte sich aus dem Staub mit dem Pelzmäntelchen und dem Hund, dem Schmuck, dem neuen

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