AktenEinsicht. Christina Clemm

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AktenEinsicht - Christina Clemm

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Ein schlauer Plan.«

      Verteidiger*innen verteidigen nie eine Tat, machen sich nicht mit einer Mandant*in und ihrem Handeln gemein. Sie verteidigen ihre Mandant*innen und sorgen als Teil der Rechtspflege dafür, dass am Ende eines Verfahrens ein rechtsstaatliches Urteil gesprochen wird. Oft wissen sie nicht, ob ihre Mandant*in die vorgeworfene Tat begangen hat, oft wissen sie es, lassen es außer Betracht. Es geht nicht um Wahrheit, nicht um Gerechtigkeit im moralischen Sinn in einem strafrechtlichen Verfahren. Richtig und gerecht ist ein Urteil, wenn es ergeht, nachdem die zur Entscheidung berufenen Richter*innen die gewonnenen Beweise und Argumente zur Kenntnis nehmen und abwägen und unvoreingenommen zu einem rechtsstaatlichen Urteil kommen. Die vorliegenden Beweise eröffnen meist einen weiten Beurteilungsraum für die Richtenden, Aufgabe der Verteidigung ist es, diesen so eng wie möglich zugunsten der Mandantschaft zu gestalten.

      Es kommt vor, dass ein Freispruch ergeht, selbst wenn bewiesen ist, dass die angeklagte Person die Täter*in der angeklagten Tat ist, etwa weil die Beweise rechtsstaatswidrig erlangt worden sind oder die Taten unterdessen verjährt sind. Häufig ergehen Freisprüche, weil das Gericht nicht ohne vernünftigen Zweifel von der Schuld der angeklagten Person überzeugt ist und in richtiger Anwendung des Zweifelsgrundsatzes dann freizusprechen hat.

      Wenn die anwaltlich gut beratenen Beschuldigten schweigen und anhand der Akteneinsicht die Ermittlungsergebnisse nachvollzogen werden können, entwickelt man gemeinsam mit den Mandant*innen eine Verteidigungsstrategie, die für sie zum besten Ergebnis führen soll. Das kann ein Geständnis sein, auch Reue, auch Wiedergutmachung, das Ziel einer möglichst milden Bestrafung.

      Es kann aber auch der Weg sein, für einen Freispruch zu kämpfen und dafür alle Mittel einzusetzen, die der Rechtsstaat erlaubt.

      In den seltensten Fällen erklären Mandant*innen ihren Verteidiger*innen sofort, dass sie die vorgeworfene Tat begangen haben, wenn sie sie begangen haben. Erfahrene Verteidiger*innen setzen nicht darauf, lassen es sich und ihren Mandant*innen offen, um möglicherweise auch während einer Beweisaufnahme umzuschwenken und doch noch ein spätes Geständnis ablegen zu können. Das ist schwer, wenn die Verteidiger*in selbst von der Unschuld überzeugt ist und womöglich das Mandat nur unter der Prämisse der Unschuld der Mandant*in übernommen hat.

      Verteidiger*innen ermitteln manchmal selbst, suchen nach Schwachstellen bei Belastungszeug*innen, Fehlern bei der Spurensicherung, der Lichtbildvorlage, dem Beschluss zur Telefonüberwachung, der Lücke in der Argumentation der Anklage. Sie suchen nach Zeug*innen, die die Wahrheit der Beschuldigten bestätigen oder auch nur eine andere Version des Anklagegeschehens möglich machen. Oft stochern sie im Nebel. Sie haben nicht die Möglichkeiten der Ermittlungsbehörden und häufig wenig Kapazitäten, um aufwendig selbst zu recherchieren. Sie versuchen, irgendeine Schwachstelle zu finden, ein Geheimnis, das sich nicht gut macht vor Gericht, ein Dilemma, das eine Zeug*in partiell zu Lügen verleitet, deren sie später überführt werden kann.

      Verteidiger*innen machen meist keine Supervision, denn sie lassen die Fälle gar nicht an sich herankommen. Sie lesen sich Obduktionsberichte durch, begutachten Fotos von Folterspuren, lesen Aussagen schwerster Misshandlungen allein mit dem Blick durch, wo Lücken sein könnten, Ungereimtheiten, Fehler. Erfolgreich abgeschlossen sind Fälle dann, wenn die Verteidigungsstrategie zumindest teilweise durchgesetzt werden konnte.

      Die Verteidiger von Kevin bringen mehrere Zeug*innen an, die aussagen, dass Claudia S. schon länger unzufrieden gewesen sei, dass es Streit unter den beiden gegeben habe, dass sie mehr wollte, als nur Kevins Schoßhund zu sein. Als Claudia S. davon hört, muss sie lachen, nie hatte es einen solchen Streit gegeben, nie hätte sie es gewagt, vor anderen Personen Unzufriedenheit mit Kevin auszudrücken, ganz abgesehen davon, dass es diese Unzufriedenheit auch nicht gab. Der Chauffeur bestätigt die Geldsumme, die Kevin angeblich nach dem Verschwinden von Claudia S. fehlte, verweigert aber die Aussage zur Herkunft des Geldes. Er kennt angeblich auch den Wert des Schmucks, den Kevin Claudia S. geschenkt hatte, und den des Pelzmäntelchens.

      Die Zeug*innen sind gut instruiert, aber nicht ausreichend, um den Fragen der Verfahrensbeteiligten schlüssig und überzeugend zu begegnen. Denn wie die Verteidigung bereiteten sich auch Staatsanwaltschaft und die Nebenklagevertreterin gut auf die Beweisaufnahme vor und bringen die Zeug*innen in Erklärungsnöte.

      In dieser Instanz wird auch Tobias, der Freund aus den Kindertagen von Claudia S., als Zeuge gehört. Erst nach einem Ordnungsgeld und der Androhung von Ordnungshaft erscheint er beim Gericht, sichtlich unwillig auszusagen. Letztlich redet er aber doch und berichtet, dass er nach der Party von einem ihm fremden Mann verfolgt worden sei, ein blaues Auge davongetragen habe und die klare Anweisung, nie wieder Kontakt zu Claudia S. aufzunehmen. So etwas will er auf keinen Fall wieder erleben. Und nein – ein Verhältnis mit Claudia S. habe er nie gehabt. Sie hätten an diesem Abend über alte Zeiten gesprochen, über ihre Eltern, über seine Freundin, die auch in ihrem Abschlussjahrgang war. Er habe sicher nicht mit Claudia S. geflirtet.

      Am Ende ist das Gericht von der Schuld Kevins überzeugt. Nach acht Monaten Verhandlungsdauer und kaum einem Lebensbereich von Claudia S., der nicht durchleuchtet worden wäre.

      Ausschlaggebend für die Kammer ist nach der mündlichen Urteilsverkündung, dass sich niemand und kein Anhaltspunkt dafür fand, dass Claudia S. Sexualpraktiken ausführte, bei denen sie sich schlagen und verletzen ließ. SM ja, aber stets als die Überlegene, nie als Geschlagene. Kevin habe die Tat auch geplant, denn er habe, nachdem Tobias gegangen sei, gegen seine Gewohnheit getrunken, wie es mehrere Zeugen bestätigt hätten. Das passe zu den Aussagen von Claudia S. gut, füge sich ins Bild, ebenso wie die Körperverletzung und Bedrohung von Tobias.

      Auch der Anlass der Anzeige spreche für die Glaubhaftigkeit von Claudia S., nicht für die von Kevin.

      Aber das Gericht befindet, dass die Schuld von Kevin nicht ganz so hoch anzusiedeln sei, wie es die erste Instanz geurteilt hatte. Besonders beachtlich sei, dass es eine schwierige Vorgeschichte zwischen den beiden gegeben habe, in der sich der Angeklagte aufgrund seiner Persönlichkeitsstruktur als minderwertig vorgekommen sei. Die Affäre der Zeugin mit dem alten Kindheitsfreund müsse zugunsten des Angeklagten unterstellt werden, auch wenn Tobias und Claudia S. dies bestritten hätten. Zumindest müsse man zugunsten Kevins unterstellen, dass er es geglaubt haben könnte. Seine Eifersucht und Wut darüber, dass die Geschädigte dies bei der von ihm organisierten und bezahlten Feier offen zur Schau getragen habe, sei deshalb nachvollziehbar, wenn sie auch die Tat nicht vollends rechtfertigen könne. Besonders zu berücksichtigen sei auch, dass die Beteiligten eine Beziehung miteinander geführt hätten und deshalb der Unwert der Tat anders, nämlich als weniger gravierend zu bewerten sei als eine Vergewaltigung durch einen Fremdtäter. Auch müsse gesehen werden, dass die Geschädigte sich gerade von der »aggressiven Männlichkeit« des Angeklagten, die ihr letztlich zum Verhängnis wurde, angezogen gefühlt habe und sie, wenn man auch nicht von einer Mitschuld sprechen könne, doch konstatieren müsse, dass die Tat unter einem anderen Vorzeichen stünde, als wenn sie sich einen anderen Partner gesucht hätte.

      Es gibt wenige Untersuchungen darüber, welche Folgen Vergewaltigungen für die Betroffenen haben. Eine wissenschaftliche Untersuchung, die vergleichend darstellt, ob eine Vergewaltigung durch einen Fremdtäter oder den aktuellen oder letzten Sexualpartner folgenschwerer ist, gibt es nicht. Dennoch wird an deutschen Gerichten der Umstand, dass die Vergewaltigung durch den Intimpartner verübt wurde, häufig strafmildernd bewertet. Dabei könnte man genau das Gegenteil annehmen. Denn es gibt Untersuchungen im Bereich der allgemeinen Gewalt, dass gerade Gewalt im sozialen Nahbereich besonders traumatisierend wirkt, weshalb in der sogenannten Istanbul-Konvention, dem Übereinkommen des Europarates zur Verhütung und Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häuslicher Gewalt, auch ausdrücklich aufgeführt ist, dass als strafschärfend berücksichtigt werden kann, wenn eine Tat gegen eine andauernde oder ehemalige Lebenspartnerin ausgeführt wird.14

      Es gibt kaum einen anderen Deliktsbereich,

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