Energiesicherheit. Sascha Müller-Kraenner
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Eine sichere Energieversorgung gehört zu den Grundvoraussetzungen einer funktionierenden Wirtschaft. Heute, in Zeiten der wirtschaftlichen Globalisierung, schaffen es nur wenige Länder, sich bei der Energieversorgung vollkommen unabhängig von Importen zu halten. Zu den wenigen Ausnahmen gehören kleine, von der Natur besonders begünstigte Länder. So kann Island seinen Energiebedarf fast vollständig aus einheimischer Wasser- und Geothermalenergie decken. Langfristig möchten die Isländer sogar ihre Erdöleinfuhren durch flüssigen Wasserstoff aus erneuerbaren Energien ersetzen. Im Gegensatz zu Island ist Deutschland weder eine Insel, noch verfügt es über die natürlichen Voraussetzungen, seine Energieversorgung autark sicherzustellen. Deutschland und die meisten anderen Länder sind darauf angewiesen, beim Thema Energie mit ihren Nachbarn und anderen, weiter entfernten Ländern zusammenzuarbeiten.
Im Zeitalter der Industrialisierung fand der Aufbau der nationalen Energieindustrie in den meisten Ländern unter staatlicher Regie statt. Heute hat sich in allen westlichen Ländern eine Mischung von Markt und Staat, von öffentlichen und privaten Versorgungsunternehmen herausgebildet. Die Mitgliedstaaten der Europäischen Union beschlossen in den neunziger Jahren, einen gemeinsamen Energiebinnenmarkt zu schaffen und ihre Energiemärkte zu liberalisieren. Seitdem wurden, beispielsweise in Deutschland und Großbritannien, zahlreiche ehemals staatliche Energieunternehmen privatisiert. Außerdem werden die nationalen Energiemärkte innerhalb der EU schrittweise für Unternehmen aus den anderen Mitgliedstaaten geöffnet. Wirtschaftliche Integration kann, wie in der Europäischen Union, zur politischen Integration führen. Gegenseitige Abhängigkeiten schaffen den Anreiz, Probleme in gemeinsamen politischen Institutionen zu lösen. Wirtschaftliche Autarkie, auch was die Energieversorgung angeht, ist in einer sich globalisierenden Weltwirtschaft ohnehin nicht mehr möglich. Ressourcennationalismus und der Versuch, aus dem Weltmarkt auszutreten, funktionieren nicht. Die politische Kontrolle über die Energiemärkte sollte deswegen über internationale Kooperation und Abkommen erfolgen und nicht dadurch, dass der eigene Öl- oder Gasreichtum zum Instrument einer autoritären Innenpolitik oder einer imperialen Außenpolitik wird.
Kritische Energieinfrastruktur
Die Energieinfrastruktur gehört zu den verletzlichsten Teilen moderner Gesellschaften. Nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 ist vielen bewusst geworden, wie schnell ein mit relativ bescheidenen technischen Mitteln durchgeführter Angriff die wirtschaftlichen Grundfesten der größten Industriemacht der Welt beschädigen kann. Der Flugverkehr in den gesamten USA kam eine Woche lang zum Stillstand. Die Verkehrsverbindungen der Millionenstadt New York waren erst zwei Jahre später wieder vollständig instand gesetzt. Die Börse in der neben dem World Trade Center gelegenen Wall Street wurde mehrere Tage geschlossen – nicht zuletzt deshalb, weil Zugangswege und Datenleitungen schwer beschädigt worden waren. Die Energieinfrastruktur moderner Industriegesellschaften ist mindestens genauso verletzlich wie Verkehrswege und Datenleitungen. Was würde passieren, wenn sich der nächste Anschlag gegen eine der großen internationalen Öl- und Gaspipelines richtet?
Besonders gefährdet durch terroristische Anschläge und militärische Auseinandersetzungen sind atomare Anlagen und Atomtransporte, ob auf dem Wasser, zu Lande oder in der Luft. Nach dem 11. September 2001 gab es konkrete Hinweise darauf, dass Terroristen auch Anschläge auf westliche Atomanlagen geplant hatten. Die AKWs in den USA und einigen westeuropäischen Ländern wurden daraufhin für mehrere Tage bis Wochen heruntergefahren.
Der Neujahrstag 2006 lieferte ein anschauliches Beispiel dafür, wie es zu einer Unterbrechung unserer scheinbar sicheren Öl- und Gasversorgung kommen könnte. Für zwei ehemalige Sowjetrepubliken, das Kaukasusland Georgien und die Ukraine, begann das Jahr 2006 mit einer Gasversorgungskrise. Während die russische Lieferfirma Gazprom der Ukraine den Gashahn zudrehte, weil diese den sprunghaft erhöhten Preis für russisches Erdgas nicht zahlen wollte, beschädigten oder zerstörten fast zeitgleich drei Sprengstoffexplosionen die wichtigsten Versorgungsleitungen, die von Russland aus Richtung südlicher Kaukasus liefen. Die russische Gasversorgung für Armenien und Georgien wurde damit vollständig unterbrochen. Hinzu kamen Sabotageakte an einigen wichtigen Überlandleitungen in Georgien selbst, sodass die Hauptstadt Tiflis und weite Landesteile während der kältesten Wintertage nicht beheizt werden konnten. Universitäten und Schulen blieben geschlossen. Das wirtschaftliche Leben kam weitgehend zum Stillstand, da Produktionsanlagen nicht betrieben werden konnten. Während das mit Russland politisch verbündete Armenien den Engpass mit eigenen Gasvorräten überbrücken konnte, gelang es Georgien nur dank eilig abgeschlossener Lieferverträge mit Aserbaidschan und dem Iran, die Versorgung der eigenen Bevölkerung nach mehreren Wochen wiederherzustellen. Bis heute bleibt unklar, ob islamische Separatisten, kriminelle Organisationen oder der russische Geheimdienst hinter der Anschlagserie standen. Die georgische Regierung beschuldigte den russischen Geheimdienst der Sabotage mit dem Zweck, das Land im Streit um die Separatistenrepublik Südossetien unter Druck zu setzen. Gut ins Bild passt außerdem, dass die russische Energiewirtschaft plant, sich massiv in Georgien einzukaufen. Georgien geriete so dauerhaft in die Abhängigkeit russischer Staatsbetriebe und damit des Kreml.
Der Konflikt zwischen Russland und Georgien hat auch eine überregionale Dimension. Um sich gegen Russlands regionale Dominanz zu wehren, möchte Georgien, so schnell es geht, der NATO beitreten. Die USA unterstützen die Regierung Saakaschwili in diesem Anliegen. Schließlich wurde in den vergangenen Jahren mit amerikanischer Unterstützung eine wichtige Ölpipeline vom Kaspischen Meer durch Georgien – und an Russland vorbei – in die Türkei gebaut. Die europäischen NATO-Partner sind skeptischer, wollen in die regionalen Konflikte im Kaukasus nicht hineingezogen werden und sind an einem Konfrontationskurs mit Russland, ihrem Hauptgaslieferanten, keinesfalls interessiert.
Öl- und Gaspipelines verlaufen oft über lange Strecken durch kaum besiedeltes und deswegen nur mangelhaft überwachtes Gebiet. Viele der wichtigsten Pipelines, ob im russischen Osten, den chinesischen Provinzen Tibet und Xinjiang, im südlichen Tschad oder im Norden des Irak, verlaufen durch Krisen- und Kriegsregionen. Die Gefahr von Terroranschlägen durch Rebellengruppen und separatistische Bewegungen ist also nicht von der Hand zu weisen, und die Wiederherstellung zerstörter Pipelines und Energieversorgungseinrichtungen ist nicht nur langwierig, sondern auch teuer. Ist der Schaden erst einmal angerichtet, so dauert es auch nach Beendigung der Kampfhandlungen oftmals erhebliche Zeit, bis der vorherige Zustand wieder hergestellt ist. Die iranische Ölindustrie leidet immer noch an den Folgen des Krieges gegen den Irak in den achtziger Jahren. Im Irak selbst brach die Ölproduktion nach dem Sturz Saddam Husseins zusammen und kommt erst mühsam wieder auf die Beine. Während des Kosovokrieges versuchte die NATO, bei ihren Luftangriffen die Energieinfrastruktur Serbiens intakt zu lassen. Trotzdem führte die Zerstörung mehrerer Brücken durch Luftangriffe dazu, dass der Schiffsverkehr entlang der Donau über einen längeren Zeitraum lahmgelegt wurde. Der Treibstofftransport per Schiff wurde dadurch auch für benachbarte Staaten wie Ungarn unterbrochen.
Auch der Transport von Öl und zukünftig Flüssiggas per Schiff über See birgt Gefahren. Während des iranisch-irakischen Krieges in den achtziger Jahren beschossen beide Seiten regelmäßig auf dem Persischen Golf verkehrende Tankschiffe, auch wenn sie unter neutraler Flagge fuhren.
Im unmittelbaren Radius des Krisenherdes Nahost befinden sich die Seefahrtsstraße von Hormuz, über die Öltanker aus dem Irak, Saudi-Arabien, Iran und Kuwait den Persischen Golf verlassen, sowie die wichtigste Schifffahrtsroute der Welt, der Suez-Kanal. Über 80 Prozent der japanischen und koreanischen sowie die Hälfte der chinesischen Ölversorgung gehen über die Straße von Malakka, eine Meerenge zwischen Indonesien und Malaysia. Alle diese Schifffahrtsrouten werden von der US-Flotte überwacht. Die USA haben nach dem Zweiten Weltkrieg faktisch das britische Empire als Polizist der Weltmeere abgelöst. Andere Länder, die ebenfalls von Ölimporten aus dem Nahen Osten abhängig sind, beispielsweise China, sehen diese dominante maritime Rolle der USA mit Unbehagen.
Die Europäische Kommission stellte – in einer nicht veröffentlichten