Zufrieden alt werden. Volker Fintelmann
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Das beginnt im 1. Jahrsiebt mit der physisch-leiblichen Struktur, die wir Stoffleib nannten, auch Körper im engeren Sinne. Alles von der Genetik der Eltern geprägte Stoffliche muss zu etwas Eigenem, Individuellem werden. Der elterliche Anteil wird entweder abgebaut und ausgeschieden und durch eigene Zellen bzw. Gewebe ersetzt, oder das Elterliche wird umgeschmolzen und in Eigenes verwandelt. Dabei schult sich das Immunsystem, von dem dargestellt wurde, dass das Überwinden alles Fremden eine seiner Hauptaufgaben ist. Hierbei haben – heute muss ich fast sagen hatten – die sogenannten Kinderkrankheiten und besonders die hochfieberhaften eine wichtige Funktion. Das Abstoßen und Umschmelzen war wie ein Verbrennen durch das Fieber, wie eindrucksvoll am Beispiel der Abschuppung der gesamten Haut im Ablauf einer Scharlacherkrankung zu sehen ist. Wie oft erlebten die Eltern an ihrem Kind einen damit verbundenen Entwicklungsschritt oder auch eine starke äußere Veränderung, wie sie Goethe so köstlich in Dichtung und Wahrheit beschreibt, nachdem er die Pocken durchgemacht hatte. Eine Tante, die ihn bis dahin immer so entzückend fand, nennt ihn nun nur noch »garstig«.17 Am Ende der ersten sieben Jahre ist im Idealfall alles ursprüngliche Gewebe als Stoffliches zumindest einmal vollständig ausgetauscht. Und auch der härteste Stoff, den der Leib in den Zähnen bildet, wird dann im sogenannten Zahnwechsel ausgetauscht.
Individualisierung der Lebensorganisation
Im 2. Jahrsiebt wird die ebenfalls von den Eltern und Vorfahren mitgegebene Lebensorganisation individualisiert. Hier ist es weniger Elimination wie beim Stoffleib, sondern Verwandlung. Die ureigene Lebensorganisation, die bereits im Vorgeburtlichen mithilfe hierarchischer Wesen aus dem großen Lebenskosmos herausgesondert wurde, durchdringt nun die elterliche, verbindet sich mit ihr und verwandelt sie zu Eigenem. In dieser Zeit der Schulreife hat jeder Mensch einen Überschuss an Lebenskräften, weil die eigenen und die der Eltern sich potenzieren. Es ist daher auch die Phase mit den größten Gesundheitskräften während des ganzen Lebens.
Etwa in der Mitte dieser Zeit wird ein Teil von den Lebenskräften abgesondert und stellt sich dem Denken zur Verfügung, wird zu Denkkräften. Erst von dieser Zeit an sollte pädagogisch das Lernen mehr und mehr über das Denken erfolgen, der Intellekt erzogen werden. Vorher ist ein mehr spielerisches, bildhaftes Lernen angemessen. Das findet sich in der Waldorfpädagogik wieder.
Die Lebenskräfte sind in sich gegliedert, Rudolf Steiner sprach von sieben Lebensstufen, die das eigentliche Leben ausmachen.18 Die siebte und letzte beschreibt das Reproduktionsleben, die Fähigkeit, selber neues Leben hervorzurufen. Das zeigt sich zum Abschluss des 2. Jahrsiebts in der Geschlechtsreife.
Individualisierung des Empfindungsleibes
Im 3. Jahrsiebt individualisiert sich dann der Empfindungsleib, der zum Seelenträger wird. Und wieder durchdringt die eigene Empfindungsorganisation die elterlich vorgegebene. Dabei geht es weniger »freundschaftlich« zu als bei der Begegnung der beiden Lebensorganisationen. Jetzt kommt es zu oft recht heftigen Auseinandersetzungen. Das wird Pubertät genannt. Der Empfindungsleib birgt ja alles schon Genannte wie Leidenschaften, Begierden, Triebe und Instinkte in sich, Lust und Unlust, auch Hunger und Durst, alle Quellorte, die wir heute Emotionen nennen. Und da ist das »Fremde«, von den Eltern Gegebene, nicht mehr akzeptabel, da will man selbst die Quelle des emotionalen Lebens werden.
Egoismus
Nun bekommt auch der Egoismus eine ganz andere Intensität. Jedes Kind ist egoistisch, muss es auch sein, es sucht ja – durchaus mit Hilfe – seinen Weg ins Leben, will seinen Leib, will entdecken, welchen Lebensplan es in langen vorgeburtlichen Zeitläufen zusammen mit dem begleitenden Engel erarbeitet hat, den es mit der Geburt »vergessen« hat. Vergessen aber nur insoweit, als der Plan vollständig in uns existiert, doch in tiefe Schichten des Bewusstseins hinabgesunken ist, aus denen er nur allmählich und durch Übung wieder bewusst gemacht werden kann.
Die Intensivierung des Egoismus im 3. Jahrsiebt hängt mit der Intendierung aller nun erfolgenden Veränderungen unmittelbar aus dem Ich zusammen. Steiner hat diese Gesetzmäßigkeit der Leibentwicklung so formuliert: Immer das nächsthöhere Wesens- oder Leibesglied übernimmt die Führung und Verantwortung für die Individuation des nächstniedrigeren, die Lebensorganisation die des Stoffleibs, die Empfindungsorganisation (die eben noch nicht Leib ist und aus dem Vorgeburtlichen stammt) die des Lebensleibs (Ätherleibs) und schließlich die Ich-Organisation die des Empfindungsleibs.19
Leibesentwicklung der ersten vier Jahrsiebte
Ich-Leib
Wir werden darauf aufmerksam, dass es noch ein viertes Glied des Leiblichen gibt, ganz im Verborgenen, von Beginn an wirksam, alles überblickend, letztlich auch steuernd. Wir können vom Ich-Leib oder einer Ich-Organisation sprechen, die sich überhaupt nicht mehr stofflich manifestiert, auch nicht feinststofflich wie der Empfindungsleib. Sie ist rein geistiger Natur und wählt sich als ihr Trägerelement, durch das sie ihre Wirkungen in die Leiber vermittelt, ausschließlich die Wärme. Das tiefe Geheimnis unserer Leibeswärme ist hiermit verbunden.
das 28. Lebensjahr
Die Ich-Organisation befreit sich vom Gebundensein an den Leib im 4. Lebensjahrsiebt und wendet sich damit der Seelenentwicklung zu. Und doch ist ein Teil der Ich-Organisation auch der Individuation dieser Wärmeorganisation als Ich-Träger gewidmet, die erst mit dem 28. Lebensjahr ganz abgeschlossen ist. Bis zu diesem Zeitpunkt wirkt der ganze Kosmos mit seiner Wesensfülle an der Menschenentwicklung mit. Dann gibt er den Menschen frei, er soll ja unabhängig werden. Viele erleben diese Zeit auch als ein Alleingelassenwerden.
Aus all dem lässt sich vielleicht eine weitere Aussage Steiners an gleicher Stelle verstehen: dass erst jetzt der Mensch in die eigene Verantwortlichkeit eintritt.20 In vergangenen Zeiten war das der Zeitpunkt, zu dem man frühestens Parlamentarier werden konnte. Doch ich bin vorausgeeilt. Zur Beschreibung des 3. Jahrsiebts und der Individuation des Empfindungsleibs lässt sich noch hinzufügen, dass diese einen Abschluss in der Mündigkeit findet, die früher mit dem 21. Lebensjahr verbunden wurde. Dass diese heute in Deutschland auf das 18. Lebensjahr vorverlegt wurde, hat mit Kräften der Verfrühung zu tun, die schon erwähnt wurden (siehe Seite 27).
Die Entwicklung der Seele (4. bis 6. Jahrsiebt)
drei Seelenglieder
Auch die menschliche Seele ist eine gegliederte Einheit. So wie wir berechtigt von dem Leib sprechen können, obwohl es drei »Leiber« oder Leibesglieder mit durchaus eigenen Gesetzmäßigkeiten gibt und wir auch ein viertes Glied (Ich-Leib) ansprachen, so ist die Seele eine Einheit von drei Seelengliedern: der Empfindungsseele, der Verstandes- oder Gemütsseele und der Bewusstseinsseele. Sie wurden menschheitlich in großen Zeitepochen ausgebildet, die Empfindungsseele in der ägyptisch-babylonischen Kulturepoche und die Verstandes-oder Gemütsseele in der griechisch-römischen, die bis in das 15. Jahrhundert n.Chr. andauerte. Seither entwickelt die Menschheit das höchste und geistnächste Seelenglied, die Bewusstseinsseele. Ihre Entwicklung dauert bis weit in das 4. Jahrtausend. Wir stehen menschheitlich also noch ziemlich am Anfang ihrer Bildung.
Diese menschheitlich vorgebildeten Seelenglieder bzw. ihre Anlagen werden jedem Menschen von der Empfängnis bzw. Geburt an aus dem Strom seiner Vorfahren mitgegeben. Wir haben alle eine gemeinsame seelische Anlage, allerdings schon familien- oder stammmäßig vorgeprägt, am unmittelbarsten von Eltern und Großeltern.