So sind wir. Christian Hafenecker
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу So sind wir - Christian Hafenecker страница 4
Genau dasselbe Phänomen beobachtet man im Zusammenhang mit Freitag, dem 17. Mai 2019. Jenem Tag, an dem zur besten Sendezeit das auf sieben Minuten zusammengeschnittene „Ibiza-Video“ erstmals im ORF gezeigt wird. Kai Jan Krainer, SPÖ-Fraktionsführer im parlamentarischen „Ibiza“-Untersuchungsausschuss, erinnert sich sofort, dass er zuhause gewesen ist. Auf die Frage, was sein erster Gedanke war, als er dieses Video sah, antwortet er geheimnisvoll:
„Ich hatte so ein Déjà-vu. Das kam ja auch. Nicht ganz so, aber so ähnlich.“ (Anm. Schlussendlich hat der ÖVP-nahe Unternehmer René Benko sich über ein ihm zurechenbares Firmennetzwerk an der Kronen Zeitung beteiligt)
Auch die NEOS-Fraktionsführerin im U-Ausschuss, Stephanie Krisper, weiß sofort, wo sie sich aufhielt:
„Ich war im Zug von Wien nach Bleiburg. Das Video konnte ich wegen schlechten WLANs im Zug aber erst im Hotel in Bleiburg in Ruhe ansehen. Es war dann mehr als beunruhigend“.
Dass mit den versteckten Aufnahmen der Gespräche des damaligen FPÖ-Obmanns Heinz-Christian Strache und des damaligen FPÖ-Wien-Chefs Johann Gudenus mit einer vermeintlichen Oligarchen-Nichte auf einer Finca in Spanien eine „Bombe platzt“, wie einen Tag zuvor in einem Kalendereintrag von Bundespräsident Alexander Van der Bellen zu lesen war, kann im Nachhinein nur bestätigt werden. Strache und Gudenus öffneten die Büchse der Pandora, die viel Unheil in die politische Landschaft Österreichs brachte.1
Die Video-Falle von Ibiza war aber nicht nur der Anfang vom Ende der türkis-blauen Bundesregierung unter ÖVP-Kanzler Sebastian Kurz, sie war vielmehr der Endpunkt einer Verschwörung, die vermutlich seit dem Jahr 2014 zum Ziel hatte, die FPÖ und ihren damaligen Obmann Strache zu Fall zu bringen. Der kriminellen Energie der Protagonisten spielten dabei die verwundbaren Stellen von Strache und Gudenus in die Hand. Und bald sollte sich herausstellen, dass die ÖVP zumindest streckenweise in die Vorkommnisse involviert war.
Es muss im Jahr 2011 oder 2012 gewesen sein, als der ehemalige „Sicherheitsmann“ von Heinz-Christian Strache, Oliver R., mit seinem Job offenbar nicht mehr ganz zufrieden war, vielleicht sogar eine persönliche Kränkung erlebte und dies dem Rechtsanwalt Ramin M., der den Bodyguard in mehreren Fällen vertreten hatte, kundtat. M. hörte dem gesprächigen Mann, einem der engsten Mitarbeiter des FPÖ-Chefs, aufmerksam zu. Ob damals schon der Plan geschmiedet wurde, Heinz-Christian Strache zu vernichten, kann anhand der mittlerweile vorliegenden Dokumente nicht gesichert angenommen werden.
Feststeht allerdings, dass sich Oliver R. in der zweiten Hälfte des Jahres 2014 nochmals an M. gewandt hat. Diesmal scheinbar mit belastendem Material gegen Strache. Dem Vernehmen nach sollen Fotos von einer mit Bargeld gefüllten Sporttasche gezeigt worden sein. Weiters soll auch über angeblichen Suchtgiftmissbrauch des damaligen FPÖ Chefs gesprochen worden sein. Ramin M. soll dafür Beweise verlangt haben.2
Wurden bei Straches Friseurbesuch Haare abgezweigt?
Die Jagd auf Heinz-Christian Strache nimmt erst jetzt so richtig Fahrt auf. Denn Oliver R. nützt einen Friseurbesuch seines Chefs, um Haare abzuzweigen, die im Fall einer forensischen Analyse als Beweis für den behaupteten Drogenkonsum herangezogen werden könnten. Mit dem nun erlangten Zugriff auf die vermeintlichen Beweise, berät sich Ramin M. mit seinem bei den NEOS in führender Rolle tätigen Jugendfreund Christoph J. über die weitere Vorgehensweise. Bei einem Treffen der beiden mit „Sicherheitsmann“ Oliver R. verständigen sie sich darauf, den ehemaligen ÖVP-Politiker Fritz Kaltenegger hinzuzuziehen. Kaltenegger war von 2008 bis 2011 Generalsekretär der Volkspartei und ist nach wie vor gut in der Partei vernetzt. Er stellt den Kontakt zum Direktor der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper und zu VP-Parteianwalt Werner Suppan her. In weiterer Folge gesellt sich auch der ehemalige Pressemann von ÖVP-Vizekanzler Josef Pröll, Daniel Kapp, zu dieser illustren Runde.3
Im September 2014 wird erstmals konkret über Geld gesprochen. Und zwar bei einem Treffen zwischen Halper, Suppan und M. in dessen Anwaltskanzlei. Die Herren besprechen eine „finanzielle Absicherung“ für Oliver R., der – nach der geplanten „Aktion gegen seinen Chef“ – ohne Job dastehen würde. Laut Aussage von M. sei damals ein Betrag von 40.000 bis 70.000 Euro in Aussicht gestellt worden.4
Diese Summe waren die hochrangigen Vertreter der ÖVP offenbar bereit aufzutreiben, um den damaligen FPÖ-Obmann zur Strecke zu bringen, wobei man vor allem am mutmaßlichen Suchgiftmissbrauch von Strache interessiert war.
Der ehemalige Chef der ÖVP-Parteiakademie, Dietmar Halper, bestätigte in seiner Einvernahme im „Ibiza“-Untersuchungsausschuss zwar, dass es dieses Treffen in der Anwaltskanzlei gab, bestritt aber gleichzeitig, dass ein Betrag genannt wurde. Warum M. von 40.000 bis 70.000 Euro gesprochen habe, wisse er nicht.5 Pikantes Detail am Rande ist allerdings, dass er über dieses Treffen mit niemanden gesprochen haben will, „denn das war ja nur -- (sic)“, so Halper.6
Demnach hat er also alles für sich behalten. Ob man es für lebensnah hält, dass der Chef der ÖVP-Parteiakademie eine derartige politische Bombe weder dem damaligen Präsidenten der Akademie, Sebastian Kurz, noch dem damaligen Parteiobmann Reinhold Mitterlehner mitteilte, kann jeder selbst beurteilen.
Parallel dazu vermittelt Fritz Kaltenegger einen weiteren Gesprächskanal in dieser Causa, nämlich in das Bundeskriminalamt zu Andreas Holzer. Dieser wird nach der Veröffentlichung des Videos skurrilerweise Chef der „Soko-Tape“, also jener Einheit, die mit den Ermittlungen zur Causa „Ibiza“ betraut wurde.7
Am 27. März 2015 kommt es im Bundeskriminalamt zu einem Treffen zwischen Holzer und Rechtsanwalt M., dem auch der Nachfolger Holzers als Soko-Chef, Dieter Csefan beiwohnt. Der Anwalt erzählt dort von angeblichem Suchtgiftkonsum und der mutmaßlichen Finanzierung des Privatlebens Straches aus Parteigeldern.8
Holzer gab später im Untersuchungsausschuss an, dass er die Anschuldigungen über einen mutmaßlichen Drogenkonsum Straches damals bereits gekannt habe, schien aber in erster Linie an den Hintermännern, den Lieferanten interessiert gewesen zu sein.9
Wie aus einem später ergänzten Aktenvermerk hervorgeht, versuchten die Kriminalpolizisten in den Wochen nach diesem Treffen mehrmals, Rechtsanwalt M. zu erreichen, jedoch vergeblich. Es wurden keine Ermittlungen eingeleitet, da der Mandant von M., Oliver R., nicht in Erscheinung treten wollte und somit keine konkreten Hinweise vorlagen.10
„Der Typ hat eine Menge Geld gefordert“
Über den Grund, weshalb Oliver R. beim Bundeskriminalamt nicht in Erscheinung treten wollte, kann nur gemutmaßt werden.
Über die finanziellen und politischen Absichten von M. und Oliver R. sagte Holzer in einem Interview vom 27.5.2020 gegenüber „oe24“:
„Der Anwalt ist damals bei mir aufgetaucht und hat gesagt: Vor den Landtagswahlen 2015 müsst ihr mit euren Ermittlungen gegen Strache fertig sein.‘ Der Typ hat dann eine Menge Geld vom Innenministerium gefordert – aber er hat uns nicht sagen wollen, von wem er das angebliche Belastungsmaterial hatte.“11
Nachdem sich Oliver R. dem Vernehmen nach nicht mit den in Aussicht gestellten 70.000 Euro zufrieden