DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband. Ina Kramer
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Читать онлайн книгу DSA: Die Löwin von Neetha Sammelband - Ina Kramer страница 12
Kusmine ritt auf der Straße, die in nordwestlicher Richtung zur Reichsstraße führte. Es war kaum mehr als ein vielbenutzter und gut ausgefahrener Karrenweg, und als sie nach einer knappen Stunde den Wald erreicht hatte, konnte man kaum noch von Straße sprechen. Man sollte endlich den Ausbau des Weges in Angriff nehmen, ging es ihr durch den Kopf, als der Zweig eines dicht am Wege stehenden Baumes ihre Schulter streifte, das wäre sicherer und würde es dem Gesindel schwerer machen. Aber solange die anderen Gutsherren und -damen auf diesem Ohr taub sind und auch der Graf kein Interesse zeigt, wird es damit wohl nichts werden. Sie folgte weiter der schmalen Straße, genoß die kühle Luft, den Gesang der Vögel und das anmutige Spiel von Licht und Schatten, das Sonne und Blätter auf den Weg zauberten. Durenald wird mich schelten, daß ich niemanden mitgenommen habe, dachte sie und mußte lachen. Wenn es um ihre Sicherheit ging, vergaß der Gute allzuleicht, daß sie eine erfahrene Kämpin war und kein Vinsalter Zierpüppchen. Und seit sie vor knapp zehn Jahren damit begonnen hatte, eine Bürgerwehr zu errichten, zu rüsten und zu schulen, war es hier im ›Wilden Süden‹ viel ruhiger geworden – rings um Brelak zumindest. Ja, die Übergriffe durch Wegelagerer und Strauchdiebe hatten in den letzten Jahren merklich abgenommen.
Gutgelaunt und voller Rondravertrauen setzte Kusmine ihren Weg fort. Wie überrascht würde Durenald sein und wie sehr würde er sich freuen, nicht nur sie, sondern auch sein süßes Töchterlein zu sehen. Just in diesem Augenblick begann das Kind zu greinen. »Was gibt’s, kleine Kriegerin, schon wieder hungrig?«
Sie wandte sich lachend zu dem Säugling um, dessen Weinen nun lauter und fordernder wurde. »Aber ein klein wenig gedulden mußt du dich noch – erst müssen wir ein passendes Plätzchen zum Rasten finden. Und sieh einmal, auch ich muß mich gedulden«, fuhr sie fort, »oder denkst du, ich wollte die Milch nicht bald loswerden, die mir in die Brüste schießt, daß es zieht und spannt.« Wieder war es, als habe das Kind sie verstanden, denn nach ein paar letzten heftigen Schluchzern verebbte der Tränenstrom. »So ist es tapfer, kleine Kriegerin«, lobte Kusmine, »den Hunger überwinden und den Kummer niederkämpfen. Und nun sollst du auch bald belohnt werden – Frau Peraine, die Nährerin, ist dir hold. Siehst du die kleine Lichtung dort drüben? Da wollen wir rasten.«
In wenigen Augenblicken war die Lichtung erreicht. Kusmine saß ab, breitete eine Decke auf dem Boden aus und befreite das Kind vorsichtig aus dem Körbchen. Obwohl die Praiosscheibe noch nicht den höchsten Stand erreicht hatte, verspürte auch sie ein wenig Hunger, und so nahm sie, nachdem sie die Zügel des Pferdes um einen Ast geschlungen hatte, Brot und Wein aus der Satteltasche, um sich nach dem Stillen selbst zu laben. »Vielleicht sollten wir hier auf deinen Vater warten, was meinst du?« wandte sie sich an den Säugling, während sie ihr Mieder öffnete, aber Thalionmel ruderte nur ungeduldig mit den Ärmchen, und ihr Interesse galt ganz offensichtlich allein der weichen mütterlichen Brust. Als sie die feste Knospe am Gaumen spürte, begann sie gierig zu saugen.
Kusmine genoß das Stillen; sie liebte es jedesmal, aber heute, hier im Wald, umhüllt von den Düften der Erde und der Pflanzen, der lebendigen Ruhe rings umher und dem kühlwarmen Halbschatten, war es ihr eine ganz besondere Freude. Halb schloß sie die Augen, lehnte sich an den Baumstamm, bei dem sie das Lager aufgeschlagen hatte, und ließ ihre Gedanken ziellos treiben. Während Bilder der letzten Liebesnacht, der mit jedem Tag schöner und kräftiger werdenden Tochter, der Fechtstunde am Morgen, der gepanzerten Handschuhe, die sie jüngst beim Harnischmacher in Neetha in Auftrag gegeben hatte, bunt und ungeordnet in ihrem Geist vorüberzogen, reichte sie dem Säugling die rechte Brust, nachdem er sich an der linken halb gesättigt hatte.
Plötzlich wurde die Brust kräftig zurückgestoßen; blitzschnell war Kusmine aus ihrem halben Schlummer erwacht und in die Wirklichkeit zurückgekehrt. »Was ist dir, Kind?« Überrascht sah sie den Säugling an. Thalionmel hatte die zarten Brauen gehoben und wandte wie lauschend das Köpfchen in Richtung der Straße. Kusmine folgte ihrem Blick, doch bevor sie etwas sah, hörte sie es schon: ein kurzes Wiehern und dann das Geräusch von galoppierenden Hufen auf weichem Boden. »Ob das dein Vater ist?« sagte sie mehr zu sich selbst, aber der Ausdruck der kindlichen Züge zeigte Überraschung, fast Bestürzung, und kein freudiges Strahlen erhellte sie wie sonst stets bei der Erwähnung des Vaters. Angestrengt spähte Kusmine durch die Zweige, und dann sah sie das Pferd, einen reiterlosen Apfelschimmel – kein Tier aus dem gutsherrlichen Stall und keines, das sie je in Brelak gesehen hatte. »Es muß ein Unglück geschehen sein«, murmelte sie, und schon war sie auf den Beinen, hatte das Kind auf die Decke gelegt, ihr Mieder geschlossen und in wenigen Wimpernschlägen die Zügel vom Ast gewunden und sich selbst in den Sattel geschwungen. »Rondra, Herrin, hab acht auf meine Kleine!« stieß sie hervor, während sie zur Straße sprengte. Und wenn du zuläßt, daß auch diese mir genommen wird, dann sollst du in deinen Hallen vergeblich auf mich warten, fügte sie in Gedanken grimmig hinzu.
Sobald Kusmine die Straße erreicht hatte, sah sie, was geschehen war: In etwa fünfzig Schritt Entfernung wälzten sich drei Gestalten kämpfend am Boden. Augenblicklich wußte Kusmine, wie sich der Überfall abgespielt haben mußte. Die beiden Wegelagerer – daß es sich um solche handelte, daran gab es keinen Zweifel – hatten ihrem Opfer aufgelauert, das sie sich vermutlich schon auf der Reichsstraße als solches erkürt und seitdem verfolgt hatten (sie mußten also über Pferde verfügen), es vom Pferd gerissen und versuchten nun, den Mann zu überwältigen und auszurauben, denn um einen Mann handelte es sich bei dem Opfer, wohingegen die Strauchdiebe ein Pärchen mittleren Alters und nordländischen Aussehens waren (Albernier vermutlich). Bei Rondra! Am hellen Tag! dachte Kusmine. Der Kampf war eine üble und ungleiche Rauferei, denn das Opfer, ein schlanker, gutgekleideter junger Mann, wie Kusmine im Näherkommen erkannte, war so unglücklich gefallen, daß er sein Rapier nicht erreichen konnte, und die Räuber waren entweder unzureichend oder gar nicht bewaffnet. Aber sie waren ihrem Opfer an Kräften weit überlegen. Das Weib, halb auf dem Jüngling kauernd, teilte mit ihren großen knochigen Fäusten gewaltige Hiebe aus, unter denen er sich wimmernd krümmte, während ihr Gefährte ihn immer wieder mit seinen schweren Stiefeln trat.
Als Kusmine das Messer aufblitzen sah, war sie fast heran, das Schwert in der Rechten. Aber die Wegelagerer hatten sie inzwischen bemerkt, hielten inne, und nach einem kurzen Blickwechsel verschwand die Frau im Wald rechts neben der Straße. Ihr Kumpan jedoch, sich seiner Gewandtheit und günstigen Position bewußt – zwischen ihm selbst und den gefährlichen Pferdehufen lag der junge Mann halb besinnungslos am Boden –, zeigte mit einem häßlichen Grinsen Kusmine sein von Kämpfen oder Folterungen grauenhaft entstelltes Antlitz, dann schnitt er blitzschnell einen Beutel vom Gürtel des Opfers und war mit zwei Sätzen im Gesträuch links des Weges verschwunden.
»Gesindel, wagt es noch einmal …!« rief Kusmine ihm nach, dann sprang sie aus dem Sattel und eilte dem Verletzten zu Hilfe.
Der junge Mann war offenbar nicht lebensgefährlich verletzt. Leise stöhnend wand er sich im Straßenstaub, die Rechte in die Magengrube, die Linke zwischen die Beine gepreßt. Kusmine beugte sich über ihn und berührte vorsichtig seine Schulter. »Mein Herr«, begann sie, »wie geht es Euch? Könnt Ihr sprechen? Euch erheben?«
Der Mann hob beim Klang der Stimme mühsam den Kopf und blickte sie aus einem dick verschwollenen Auge an.
»Zordan! Um Praios’ willen!« schrie Kusmine auf. »Was tust du hier? Was haben sie dir angetan?« Und dann begann sie, ohne eine Antwort abzuwarten,