CHANGES. Группа авторов

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Poesie.

      Doch vieles war in den letzten Jahren eben auch ein Schritt zur Seite: Marathon-vorstellungen mit traditioneller Shanghai-Oper, eine queere Geschichte Amerikas im Feiern und Ernstnehmen der Gegenstimmen aus 100 Jahren Popmusik, die griechische Antike als Exzess einer Performance über 24 Stunden mit tanzenden, schreienden, singenden und schlafenden Performer*innen auf der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele, und, mitten im Lockdown: die lebendige Zeitansage echter Menschen im Live-Stream oder Life-Stream. Festspiele waren der losgelassene Jazz von Anthony Braxton, Weltstars wie Ai Weiwei oder Yayoi Kusama und ihre bewusstseinserweiternden Entgrenzungs-Installationen im Gropius Bau und auch eine gemalte Neuschaffung der Welt im No-Limit-Nationaltheater Reinickendorf von Vegard Vinge und Ida Müller. Es war japanisches Nō-Theater in Hans Scharouns Philharmonie, Teodor Currentzis mit seinem ätherischen MusicAeterna-Chor und die neuen Kompositionen von Rebecca Saunders und ihren Zeremonien der menschlichen Stimme. Es waren die nächtlichen Erlebnisse von Minimal Music auf Feldbetten im Kraftwerk Berlin, eine aus praktischer Sicht eigentlich unmögliche, aber doch umgesetzte Wiederaufnahme von Frank Castorfs Faust beim Theatertreffen und das in der Planung nicht minder aufwendige Film- und Communityprojekt mit dem Titel DAU, das in einem komplizierten Gefüge zwischen Veranstalter*innen, Behörden und Berliner Feuilletons letztlich nicht umgesetzt werden konnte. Die Berliner Festspiele waren Open-Air-Tanzprojekte mit Choreografien aus 100 Jahren vor dem sowjetischen Ehrenmal im Treptower Park und, im Dunkeln verborgen, William Kentridges Sonderausstellung unter der Bühne des Hauses der Berliner Festspiele. Festspiele – das war Kunst mit Objekten, Pflanzen, Puppen und Avataren, das waren internationale Ausstellungen und eine kluge Liebe zu den vergessenen Unvergessenen wie Germaine Krull oder Wenzel Hablik und den namenlosen Schöpfer*innen historischer Artefakte der archäologischen Ausstellungen von Matthias Wemhoff.

      Die Berliner Festspiele sind eine der bekanntesten und zugleich eine hinter der Vielfalt ihrer Formate und Projekte verborgene Kulturinstitution. Berliner Festspiele sind immer – angesichts ihrer Festivalformate, Jugendwettbewerbe, Ausstellungsprojekte, Symposien oder Publikationen bleiben sie als Veranstalter im Hintergrund, obgleich der Gropius Bau und das Haus der Berliner Festspiele längst bekannte Adressen im Kulturleben der Stadt geworden sind. Doch nur wenige unserer Gäste wissen, dass die Berliner Festspiele Teil der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH sind, zu der auch das Haus der Kulturen der Welt, die Internationalen Filmfestspiele Berlin (Berlinale) und eine zentrale Verwaltung mit eigenem Standort am Schöneberger Ufer zählen. Seit 2003 finden die Berliner Festspiele das ganze Jahr über statt und sind eine Modellinstitution des Bundes, die einzige, die Theater, Musik und Ausstellungen verbindet. Aber was verbindet die Berliner Festspiele mit den anderen Kulturbetrieben des Bundes?

      Kunst, Markt, Diskurs

      In den letzten Jahren wurde die Arbeit der drei Geschäftsbereiche im Grunde durch die unterschiedliche Gewichtung von drei Komponenten geprägt: Kunst, Markt und Diskurs. Der Hauptakzent auf dem Diskurs lag unter der Leitung von Bernd Scherer beim Haus der Kulturen der Welt, der des Marktes bei der Berlinale mit ihrem Europäischen Filmmarkt unter der Leitung von Dieter Kosslick und später von Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek und der auf der Kunst bei den Berliner Festspielen, wobei natürlich Anteile aller Komponenten in jedem Geschäftsbereich zu finden sind. Der Bund hat sich mit dieser Firma ein kostbares Instrument geschaffen, in dem keine Sammlung und keine Ensembles beherbergt werden, sondern flexible Infrastrukturen, die in der Lage sind, verschiedenste Themen und Formate zu realisieren, deren Struktur dem Inhalt folgt und sich den jeweiligen Bedürfnissen anschmiegt, statt diese auf die eigenen Routinen herunterbrechen zu müssen.

      Strukturell unterstehen die Berliner Festspiele dem*der Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM), derzeit Staatsministerin Monika Grütters, unter deren Leitung in den letzten Jahren wesentliche Schritte für die Konsolidierung der Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin (KBB) GmbH eingeleitet wurden. Waren die Berliner Festspiele vor 2001 eine Einrichtung ohne eigene Häuser, so änderte sich das mit dem Ende der Intendanz von Ulrich Eckhardt grundlegend. Der Bund übernahm das ehemalige „Theater der Freien Volksbühne“ und den Martin-Gropius-Bau zu 100 Prozent, und die legendären Berliner Festwochen wurden von Joachim Sartorius zugunsten einer ganzjährigen Bespielung des neuen „Hauses der Berliner Festspiele“ in spezialisierte Festivals zerlegt, die in ihrer Struktur bis heute existieren und zu denen die ältesten Formate der Berliner Festspiele zählen – das Theatertreffen, das Jazzfest Berlin, das Theatertreffen der Jugend und die später hinzugekommenen Festivals MaerzMusik und Musikfest Berlin sowie die drei Jugendwettbewerbe für Tanz, Musik und Literatur, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert und von den Berliner Festspielen gestaltet werden.

      Für eine Zuwendung seitens des Bundes von 20 Millionen Euro im Jahr, was ungefähr dem Etat des Deutschen Theaters Berlin entspricht, sollten die Kulturveranstaltungen des Bundes in Berlin mit dem Haus der Kulturen der Welt im Tiergarten, dem Haus der Berliner Festspiele in der Schaperstraße und dem Martin-Gropius-Bau in der Niederkirchnerstraße drei große Spielstätten Berlins ganzjährig betreiben. Um dieser Erwartung und dem innerstädtischen Wettbewerb mit anderen Institutionen gerecht zu werden, haben die unterschiedlichen Geschäftsbereiche inzwischen ein operatives Budget, inklusive Einnahmen und Drittmittel, von rund 60 Millionen Euro erreicht, das seinen institutionell vorgesehenen Kern bei Weitem übersteigt. Projekt- und Sponsor*innen-mittel bei der Berlinale ermöglichen einen essenziellen Teil der betrieblichen Arbeit und bestimmen damit untergründig eine Veränderung der institutionellen Arbeitsweise, die in den letzten Jahren immer stärker von großen Projektanträgen wie „Anthropozän“ im Haus der Kulturen der Welt und „Immersion“ bei den Berliner Festspielen abhingen. So sind es vor allem diese mehrjährigen Themenprojekte, die einen Großteil der institutionellen Innovationskraft und Weiterentwicklung unserer Arbeit ermöglicht haben. Ohne Projektmittel keine großen Eigenproduktionen oder Gastspiele im Bereich von Theater, Tanz und Ausstellungen und auch keine temporären Produktionsbüros, Publikationen und Vermittlungsprojekte. Ohne Hauptstadtkulturfonds oder die Kulturstiftung des Bundes, ohne die Bundeszentrale für politische Bildung/bpb und private Sponsor*innen gäbe es keine Berliner Festspiele, wie wir sie heute kennen. Aber natürlich auch nicht ohne die finanzielle Basisausstattung, die – dank vielfältigster Bemühungen der Geschäftsführung, des BKM und vor allem eines Beschlusses des Parlaments erstmals seit der Gründung der KBB – angehoben wurde und in den nächsten Jahren durch den*die Staatsminister*in für Kultur und Medien in jährlichen Schritten glücklicherweise weiter erhöht werden kann.

      Die mit der Zuwendungssituation verbundene Projektkultur hat unsere Festival-angebote grundlegend verändert, aber auch unsere Verwaltung und unser Planungsverhalten. Die nachfolgend in diesem Buch abgebildete Fülle von Formaten resultiert nicht nur aus einer inhaltlichen Neugier und dem Wunsch, auf ästhetische und gesellschaftliche Veränderungen mit neuen Produktions- und Präsentationsformen zu reagieren, sondern auch aus dem politischen Brauch, dass neues Geld nur für neue Ideen zu finden ist und kaum mehr für den eigentlichen Regelbetrieb der traditionellen Festivals und Programmarbeit im Ausstellungshaus. Der ständig aktivierte und monetär belohnte Ideenstrom der Programmerfinder*innen führt also zu einer nervösen Zeitgenoss*innenschaft, die sehr wachsam nach Themen, Trends und Namen sucht, mit der Kehrseite einer immer kurzfristigeren Planungs- und Beschäftigungszeit und einem Auseinanderdriften der Repräsentanz von temporären Arbeitskräften und den Interessen der Stammbeschäftigten.

      Ohne die diversen Fonds und Stiftungen und die Förderprojekte des Parlaments wären die Programme der großen Akteur*innen unseres Kultursystems wahrscheinlich um ein Viertel kleiner, so auch bei den Berliner Festspielen in ihren beiden Häusern. Intendant*innen werden in der Öffentlichkeit vor allem mit den inhaltlichen Profilen verbunden, sie sind zugleich aber, gemeinsam mit ihrem Programmteam, im alten Wortsinn die „Besorger*innen“ der ökonomischen Ressourcen. Meist wird über diese Tatsache eher kein weiteres Aufheben gemacht, weil sie so normal geworden ist, oft aber auch, weil sie so unnormal ist. Erfreulicherweise kam es 2020 neben der Anhebung der institutionellen Zuwendungen an die KBB auch zu substanziellen Sachinvestitionen in den Bereichen einer digitalen Infrastruktur

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