CHANGES. Группа авторов
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Was sind die Berliner Festspiele? Wir haben immer wieder überlegt, ob wir die Atomisierung der ursprünglichen Berliner Festwochen, die einst wie die Wiener Festwochen oder das Holland Festival einen kompakten Veranstaltungsblock mit Ausstellungen, Theater und Konzerten gebildet haben, wieder rückgängig machen und ein großes Stadtfestival gründen. Allerdings erschien uns das, ähnlich wie unseren Vorgänger*innen, als seltsam dominant und zu konsumistisch. Auch hatten wir die Idee, das im Jahreskalender verstreute Programm zu zwei Spielzeiten zusammenzufassen, die im ersten Halbjahr ein großes Theaterfestival rund um das Theatertreffen realisieren und im zweiten Halbjahr die improvisierte Musik zwischen Jazz und aktueller Musik mit dem zeitgenössischen Orchesterrepertoire verknüpfen. Letztlich haben wir uns dafür entschieden, bestehende Formate zu schützen und ergänzend neue Formate zu gründen, die spezifische Fragestellungen, Praktiken und Communities verbinden. Die ständige Frage in den letzten Jahren war, ob wir innerhalb der vorhandenen Formate Veränderungen ausprobieren oder neben diesen Zyklen auch Freiräume schaffen, die alternative Veranstaltungsformen aufnehmen, wie sie in Repertoirehäusern oder kurzen Festivals nicht zu realisieren sind – etwa ein analoges Digitalfestival oder eben die nie endende Ibsen-Saga von Vinge/Müller.
Themen – Bilder – Chronik
Hinsichtlich der künstlerischen Projekte und Entwicklungen wird nachfolgend die Chronik der Festspielprogramme, wie sie in früheren Abschlusspublikationen der Berliner Festspiele von Ulrich Eckhardt und Joachim Sartorius angelegt wurde, in ähnlicher Form fortgesetzt. Ihr voraus geht im ersten Teil des Buches eine Darstellung thematischer Schwerpunktsetzungen, die unsere Arbeit in den letzten zehn Jahren geprägt haben. Dies geschieht auf der Ebene der großen Themenlinien, wie sie in mehreren Festivals und Ausstellungsprojekten ihren Niederschlag gefunden haben. Die Geschichte der konkreten Festivalarbeit wird hier in ihren Details genauso wenig nacherzählt wie die Geschichte sämtlicher Ausstellungen oder Mitarbeiter*innenpersönlichkeiten. Vielmehr sind die nachfolgenden Thementexte der Versuch, die grobe Signatur des zurückliegenden Festspieljahrzehnts auf einer übergreifenden Ebene zu beschreiben. Dieses Buch hat also drei Hauptkapitel: Themen, Bilder, Chronik. Der Thementeil beginnt in fünf Kategorien jeweils mit einem Übersichtstext und enthält dann eine Fülle von Dokumenten, die auf oder für oder über Veranstaltungen der Berliner Festspiele in den letzten zehn Jahren entstanden sind.
Einerseits ist dieses Buch eine Handreichung in Richtung unserer Nachfolger*innen – es ist im dritten Teil die Chronik der gelaufenen Ereignisse und veröffentlicht kostbare mediengeschichtliche Quellen und Recherchen zur Biografie unserer Institution. Zugleich ist das Buch aber auch ein Versuch, die Hand in den Strom der Zeit zu halten und etwas festzuhalten: Statements mit eingeschaltetem Warnlicht. Achtung! Veränderung in Sicht. Das Buch zeigt unseren Blick auf das eigene Treiben im Rückspiegel der jüngsten Erfahrung. Es legt dafür fünf Filter über die Programme, die unsere Arbeit auf andere Weise lesbar machen – Formate, Digitalkultur, Identitätspolitik, Immersion und Nachhaltigkeit. Wie dieses Buch überhaupt hier und da aus der Küche plaudert – über die Rezepte wird ja nur selten gesprochen, fast immer über die Speisen. Wobei Rezepte das falsche Wort ist, es geht ja nicht ums Nachkochen, sondern um Gedankenwege, Konzepte und Konflikte: Die Reflexion der Rolle der Formate ist zum Beispiel der Versuch, transparent zu machen, was in der Programmarbeit oft nur widerwillig hergezeigt und ausgesprochen wird. Die Formate der Berliner Festspiele zu reflektieren, erzeugt mehr als nur die Chronik einer Erfindungsgeschichte, sondern thematisiert die vielleicht wichtigste Verschiebung im Kulturbetrieb der letzten zehn oder zwanzig Jahre. Denn Formate zu lesen und zu verstehen, bedeutet, ein neues Verhältnis zwischen Werk und Institution zu reflektieren, das die Berliner Festspiele in vielen ihrer Programmreihen, Ausstellungen und Festivals aktiv umgestaltet haben. „Immersion“ wurde dafür zum Synonym, es wurde zu einem Wort für etwas, das für mehr zu stehen begann als nur für anders konzipierte Kunst – es stand für ein neues Genre und altes Prinzip der Verbundenheit. Es gab keinen Immersions-Hype, wie Die Deutsche Bühne einmal titelte, vor 2016. Wir konnten dieses Wort zudem von seinem Insiderklang befreien und es zur Metapher für neue Konzepte machen, die mit Ängsten und Vorurteilen genauso verbunden waren wie mit einem neu entstehenden Gaia-Bewusstsein, das unseren alten Betriebssystemen auf den Zahn fühlt.
To turn and face the strange
Die Berliner Festspiele sind eine wunderbare und in ihrer Konstruktion einzigartige Struktur, die mit ihren beiden Häusern fast alle Kunstformen repräsentieren – Ausstellungen, Aufführungen, Konzerte, Inszenierungen, Performances, Symposien und Wettbewerbe. Theoretisch und gelegentlich auch praktisch kann es gelingen, in dieser Struktur Expert*innen unterschiedlichster Künste in der Auseinandersetzung mit einzelnen Themen und künstlerischen Œuvres zusammenzuführen, wie uns das bei Pina Bausch, William Kentridge oder Isa Genzken gelungen ist, die in Ausstellungen und Festivals oder Filmen zeitgleich verschiedene Aspekte und Facetten ihres Schaffens gezeigt haben. Vergleichbare Strukturen sind in Europa selten, am ehesten lässt sich noch an das Southbank Centre in London denken, aus dessen Hayward Gallery wir Stephanie Rosenthal für ihre Direktion am Gropius Bau gewinnen konnten.
Danke, in unvollständiger Reihung, für die Arbeit von Kurator*innen wie Frie Leysen und Berno Odo Polzer, danke an Annika Kuhlmann, Richard Williams und Stephanie Rosenthal, was wären wir ohne die Intelligenz und Kompromisslosigkeit von Tino Sehgal und Taylor Mac, Vegard Vinge und Ida Müller, Philippe Parreno und Susanne Kennedy, Markus Selg, Joulia Strauss und Jonatahan Meese, Milo Rau, Ed Atkins und Isa Genzken. Danke an Gabriele Stötzer und Elske Rosenfeldt, Robert Wilson, David OReilly, Mona el Gammal, Bruno Latour und Frédérique Aït-Touati. An Jeroen Versteele, Teresa Minn, Anja Predeick, Winrich Hopp und Yvonne Büdenhölzer, Christina Tilmann, Susanne Ritzal und Susanne Goetze und Nafi Mirzaii, die als Grafikerin der Berliner Festspiele die Bildstrecke dieses Bandes verantwortet. Dank auch an den Fotografen und Grafiker Christian Riis Ruggaber und an die Grafikagenturen Ta-Trung und Eps51, an Andreas Weidmann und viele, viele andere. Und vor allem auch an alle Fotograf*innen, die ab und an mit Alienblick und David Bowie im Ohr auf den Auslöser drückten: „to turn and face the strange – Ch-ch-ch-ch-changes“.
Thomas Oberender ist Autor und Kurator und seit 2012 Intendant der Berliner Festspiele.
NEUE FORMATE – FORMATE DES NEUEN
Thomas Oberender
Die Erfahrung von Kunst ist in der Regel die Erfahrung einer Begegnung mit Werken. Oft begegnen wir allerdings den Werken nicht unmittelbar, sondern vermittelt durch Formate. Formate leisten als Veranstaltungsform die Vermittlung der Werke – sei dies eine Ausstellung oder eine Aufführung – als Sendeformat. Immer sind Formate Container diverser Werke, und aus der Summe unterschiedlicher Formate ergibt sich das Programm. Eine Struktur wird zum Format, wenn sie unterschiedliche Werke aufnimmt, entweder in Kombination oder sukzessive. Formate haben also gleichermaßen eine konstitutive Beziehung zu Werken wie auch zu Institutionen. Da Formate die Begegnungsform zwischen Werk und Publikum sind, wurden sie oft zu Synonymen für die Kunstformen an sich, etwa, wenn Menschen sagen: Ich gehe „ins Theater“, oder „in eine Ausstellung“ oder „in ein Konzert“ und damit nicht das Gebäude meinen, sondern das Ereignis. Formate können also mit Institutionen verschmelzen und geradezu unsichtbar werden, sie können sich aber auch von ihren Gewohnheiten lösen und temporäre Alternativen bilden. Diese Kreationen erhalten dann oft eigene Namen, als seien sie selber Werke. Sie entwickeln eine eigene Narration, die sich mit ihrem Titel und ihren Erfinder*innen verbindet. Institutionalisierte Formate hingegen wurden im Laufe der Zeit vermeintlich neutral, weil sie die Gewohnheitsform unserer traditionellen Kunstbegegnung geworden sind. Im Gegensatz zu den institutionalisierten Formaten schaffen neu kreierte