CHANGES. Группа авторов

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sich wandelnder Programmangebote zu stehen scheint, sind neu kreierte Formate immer auch Zugeständnisse an den Tag, an spezifische Fragestellungen, Talente und Interessen und müssen sich immer wieder fragen lassen, ob es sie noch braucht. Insofern sind temporäre Formate die Inkubatoren für Neues im System, sie beatmen die traditionellen Häuser und ihre regulären Angebote mit frischen Ideen. Und da es frisches Geld nur für frische Ideen gibt, sind neue Formate oft die einzige Möglichkeit, gewachsene Strukturen für andere Milieus und ein jüngeres Publikum wieder attraktiv zu gestalten. Insofern resultiert der Hang zum neuen Format auch aus der strukturellen Notwendigkeit zur Veränderung. Formate sind Instrumente. Wer Programme gestaltet, braucht die Gestalter*innen dieser Erzählungen, die dem großen Patchwork die entscheidenden inhaltlichen, gesellschaftlichen oder ästhetischen Akzente verleihen.

      Auch jede Interpretation alter Stücke schafft etwas Neues. Das gilt für Werke genauso wie für Formate. Jede Interpretation bezieht ihre Relevanz aus der Abweichung von anderen Gesten der Wiederholung. In der Klassik, ähnlich auch im Jazz, zielt die Anstrengung darauf, das Gleiche immer wieder anders zu hören und trotzdem als die Erfahrung einer erfüllten Begegnung mit dem Original. In der Regel tritt das Format in der Welt der Interpretationen völlig hinter das Werk zurück und wird nur auffällig, wenn eine Aufführung 30 Stunden dauert oder in einem Saal mit vier Bühnen stattfindet.

      Vielleicht wird es irgendwann in der Kunst- und Theaterwissenschaft „Formatstudien“ geben, die uns den Werkcharakter der institutionellen und auch der vergänglichen Formate aufmerksamer lesen und verstehen lehren. Sie könnten eine eigene Forschungs- und Sensibilisierungsschule für diese Sprache des Formats oder jener Werke sein, die selber die Form kuratierter Agglomerationen angenommen haben. Formate sind eben auch eine Software – sie programmieren Ideen in der Hardware von Institutionen, um neue Erlebnis- und Kongruenzerfahrungen zu schaffen. Was spielt mit wem zusammen, und wofür steht das? Wie viele Perspektiven auf eine Fragestellung muss ich einnehmen, um ein Thema oder Œuvre nicht eindimensional und ideologisch zu behandeln? Wie organisiere ich die „Luft“ zwischen den Phänomenen, den Freiraum, den Entdeckungen brauchen, um nicht nur These zu bleiben? Wie öffne ich diese Sendestrukturen für das Feedback unterschiedlichster Akteur*innen und Communities? Fast jedes temporäre Format organisiert dafür Regeln, die sich von den institutionellen Standards oft deutlich unterscheiden, aber wir achten nicht auf diese Regeln oder Umstände, und im Grunde ist das auch sehr gut, denn es geht ja nicht wirklich um die Formate, sondern das, was drin ist in diesen Containern. Die Formate sind Instrumente – sie sind, in einem bescheidenen Sinne, die erweiterten Medien der Werke. Als William S. Burroughs mit David Bowie über die Lyrics seiner Songs sprach, fragte er ihn, ob er glaube, dass seine Fans diese anspruchsvollen Gedichte wirklich verstehen würden. Worauf Bowie erwiderte, oh nein, er glaube das nicht, sie hören wahrscheinlich „nur“ das Medium. Und so ist es mit dem Format auch – oft hören wir nur die „Musik“.

      Der Kern des temporären Formats ist sein Erlebnisversprechen bei gleichzeitigem Erwartungsbruch – es liberalisiert und verändert die für Institutionen typischen Formen der Aufführung, Ausstellung oder Konzerte. Temporäre Formate vermitteln oft exklusivere Inhalte als die traditionellen Formate der Institutionen, die im Laufe der Zeit eine enorme Fülle unterschiedlicher Werke aufnehmen können, alte genauso wie aktuelle. Trotzdem treten die neuen, temporären Formate stets mit dem Gestus der Öffnung und Liberalisierung auf, und dieses Formatparadox fällt nur auf, solange das neue Format noch überraschend ist. Sobald seine Form vertraut geworden ist, vermittelt sie genügend Sicherheit, um die Werke wirken zu lassen und sich selbst wieder weitestgehend zum Verschwinden zu bringen.

      Temporäre Formate unterscheiden sich von den institutionellen Begleitformaten kanonischer Werke, zum Beispiel Publikumsdiskussionen oder Matineen, vor allem durch ihre eigenständige Erzählung – temporäre Formate dienen nicht anderen Werken, sondern abstrahieren sie und bilden autonome Erlebniswelten. Daher stehen sie oft in einem intuitiven Gegensatz zu den Veranstaltungsformen klassischer Institutionen, die die Besuchenden über Jahrhunderte hinweg sanft erzogen haben. Institutionelle Rituale lehren uns, kein Foto während der Aufführung zu machen und so werden wir langsam einverstanden mit der Institution und ihrem Platz in der Welt, weil sie Genuss und Privilegien beschert. Während die traditionellen Veranstaltungsformen wie Aufführung oder Ausstellung auf Disziplinierung beruhen, beruhen viele experimentellen Formate auf Kontrolle – wir können kommen und gehen, manchmal auch mitmachen, aber nur, wenn wir in die Welt eintreten, die uns scannt. Temporäre Formate liberalisieren den Zugang, sie erzeugen ein Vergleichen und Besprechen, aber sie drängen sich auch mehr auf – sie zeigen stärker mit dem Finger auf sich und ihre These und Leistungen. Formate sind Neugierplattformen, die auf ihr Publikum deshalb stärker einwirken als klassische Rituale, weil sie stärker sein Feedback suchen.

      Matthias Lilienthal zeigte am Berliner Ku’damm zehn ortsspezifische Choreo- grafien in Galerieräumen und auf der Straße, in Ladenlokalen und Kneipen. Jedes Werk hat in dieser Struktur seine eigene Fassung, und diese singulären Präsentationen bilden im Zusammenspiel eine Erzählung über Veränderungen innerhalb des Genres Tanz, aber nutzen diesen Vorgang auch, um einen anderen Blick auf die Stadt anzuregen, die wir so gut zu kennen glauben. Solche Deregulierungen des Aufführungsformats erscheinen einem Teil der Besucher*innen unter Umständen als Zumutung, andere erleben Tanz in dieser Einbettung vielleicht als eine Möglichkeit, eine Choreografie ohne die traditionelle Markierung der Aufführung als Kunst gerade deshalb in ihrer künstlerischen Eigenart besonders eindringlich zu erleben. Viele zeitgenössische Werke sind mit einer Aufführungspraxis verbunden, die sie vor der Konvention dessen, was Kunst ist, schützen, indem sie sich in Umgebungen einbetten, die eine andere, eigene historische Realität und Situation erfordern – sei dies in ehemaligen Industrieanlagen oder privaten Räumen. Die Produktion Hausbesuch von Rimini Protokoll organisierte zum Beispiel ein Gemeinschaftsspiel im Wohnzimmer fremder Leute, da diese Leute nicht nur die Gastgeber*innen, sondern ihre persönlichen Geschichten auch ein Element dieses Begegnungsspiels waren.

      In der Gesellschaftsschule

      Die konventionellen Formate verhalten sich im Vergleich dazu diskret. Wissenschaftlerinnen wie Isabelle Stengers oder Dorothea von Hantelmann haben in ihren Arbeiten die verborgene Pädagogik der Formate sichtbar gemacht. Sie untersuchen die Rolle des in Institutionen eingelernten Verhaltens bei der Herausbildung des modernen Subjekts. Teil dieser Überlegungen ist die Reflexion des Formats als des eigentlichen Erlebnisraums der Institutionen. Denn die institutionellen Formate bleiben stabil, hingegen sowohl seine Gäste wie auch seine Werke sich ständig ändern. Ausstellungen zum Beispiel können Gemälde und Skulpturen, Environments, Tiere oder Filme zeigen, aber was auch immer in ihnen zur Betrachtung kommt, wird nicht angefasst, nicht angesprochen und wird sich für die Dauer der Ausstellung auch nicht verändern. Jede Ausstellung braucht heute ungefähr die gleichen Bedingungen wie die letzte Ausstellung, zumindest aus Sicht der Leihgeber*innen und Versicherer – 20 Grad Raumtemperatur und 50 Prozent Luftfeuchtigkeit. Denn um jedes Format hat sich ein komplexes System von Hilfsdiensten, Absicherungen und Routinen gebildet, das die schnelle und ununterbrochene „Bedienung“ des Formats sicherstellt. So wird auch im Theater jedes Stück davor geschützt, dass die Besucher*innen auf die Bühne gehen, ihre Meinung kundtun oder anfangen, untereinander zu sprechen, denn es hat sein Publikum an Sicht- und Verhaltensweisen gewöhnt, die der Epoche ihrer Veranstaltungen entsprechen. Und um die Aufführung herum ist ein System aus Aufsichten, Services und diversen Verträgen entstanden. Das Werk an sich könnte ohne Format gar nicht erscheinen, und ohne eine Institution könnte kein Format bewirtschaftet werden.

      Das klassische Abendkonzert ist ein Format der Disziplinargesellschaft – Menschen werden eingeladen und terminiert. Für die Dauer der Veranstaltung werden sie eingeschlossen, dürfen nicht an der falschen Stelle klatschen und nur in den Pausen husten. Das klassische Konzert ist eine Zeremonie der Meisterschaft, und der Dirigent hat zwei Leiber, deren einer profan ist und schwitzt und deren anderer heilig ist – an dieser patriarchalen Struktur ändert auch eine Dirigentin am Pult wenig. Es ist die Sprache des Einen an die Vielen und auch der Genuss der Vielen an dem Einen – des Werks, der Spiritualität einer Verbindung,

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