Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg
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Als Breschnjew starb, wurde beim Dissidenten Sinjawski in Paris ein kurzer Nachruf bestellt (für 10'000 Francs), in dringender Nachtarbeit von einer Kollegin aus dem Russischen ins Deutsche übersetzt: und anschliessend nicht gedruckt, weil man gleichzeitig bei Kopelew einen Nachruf bestellt hatte, der gedruckt wurde.
Zwei hatten nicht Platz … Einer netten Madame, die während der Dioxin-Geschichte im Pariser Büro des STERN erschien (zur Zeit der aufgeflogenen Hitler-Tagebuch-Geschichte), welche vorgab, den Standort der Giftfässer zu kennen (wie schön, wenn der STERN, nach den falschen Hitler-Tagebüchern, die echten Dioxin-Fässer gefunden hätte), wurden, auf Weisung eines unterdessen versunkenen Chefredakteurs, 90'000 Franc versprochen, worauf sie den STERN-Fotografen samt STERN-Redakteurin an einen Ort führte, wo sich keine Fässer, wohl aber ein bösartiger Hund befand, der den STERN gebissen hat. Endlich eine Reportage mit Biss.
Die Verfügbarkeit der Welt, die Beliebigkeit der Themen. Für Geld ist alles zu haben, nur manchmal ist nicht alles echt, auch wenn die Chefredaktion denkt: je teurer; desto echter. Aber immerhin schreibt auch Moravia für den STERN, Böll, Jens, Enzensberger – ein Supermarkt. Vor einiger Zeit hat Marlene Dietrich mit dem STERN-Büro Paris telefoniert – vielleicht wird sie nächstens ihre Tagebücher anbieten. Manchmal ist es auch billig und echt: Ein Artikel der Caroline von Monaco, kurzer dummer Schmus über einen italienischen Sänger, aus einer französischen Zeitung nachgedruckt, hat nur 15 000 Franc gekostet. Im STERN wurde er eingeleitet mit der Zeile «Von unserer Mitarbeiterin Caroline von Monaco». Wer gegen solchen Schabernack protestierte, stiess auf taube Ohren. «Bei einer Produktion, die gewöhnlich um das Doppelte grösser ist als das Aufnahmevolumen der einzelnen Ausgabe, haben die Redaktionskonferenzen eher den Charakter von Ausscheidungskämpfen, der einzelne Autor oder Fotograf und insbesondere die verschiedenen Ressortchefs kämpfen einer gegen den andern um den Platz im Heft, und das um so rabiater, als es keinerlei objektive Kriterien für die Auswahl dessen gibt, was schliesslich in Druck geht» (Kuby). Wenn Caroline von Monaco von einem besonders rabiaten oder schlauen Ressortchef gesponsert wird, geht sie in Druck. Es kann aber auch Böll sein, wenn der von einem noch rabiateren Ressortchef gepusht wird. Gedruckt wird, wer prominent ist, gleichgültig, in welchem Sektor er prominent ist.
Star-System, Nannen-System. Kuby sieht auch noch den STERN von 1983 als totales Nannen-Produkt und Nannen als totalen Opportunisten – man könnte auch sagen: als journalistischen Triebtäter; der sich um die politische Linie des Blattes foutiert: «Sein Bauch, oder sagen wir jetzt, sein Instinkt, war durch keine Erkenntnis von gestern oder gar von einem Leitgedanken, einem Konzept, irgendeiner durch Nachdenken vor sich selbst eingegangenen Verpflichtung zum Handeln in einer bestimmten Richtung eingeengt. Er war bedingungslos offen, um herauszufinden, wohin der Hase mutmasslich gerade laufen würde.» Mutmasslich lief er in Richtung Hitler-Tagebücher; d.h. in Richtung Publikumsinteresse für Hitler-Intimitäten, also zahlte man «dem besten Spürhund unter den deutschen Journalisten», den man zuerst in schwindelnde Höhen hinaufgejubelt und dann gerichtlich belangt hat, eine Million nach der andern, und mit jeder Million, die der Journalist Heidemann einsteckte, wurden die Tagebücher authentischer; bis am Schluss «auf keinen Fall an ihrer Echtheit gezweifelt werden soll» (Chefredakteur Felix Schmidt in einer Redaktionskonferenz).
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Wenn man den STERN an dem misst, was er sein könnte, mit seinem grossen Potential an liberal-kämpferischen Köpfen (Jaenecke, Kromschröder, Fabian, Petschull, Liedtke, Almquist, Joedecke etc.), dann ist er eine schlechte Zeitschrift. Das Gesamtprodukt wird von den grossen Schreibtalenten nur wenig geprägt. Zu oft erdrückt das Bild den Text: Artikel als Anhängsel der Bilder («Lesen Sie weiter auf Seite 127»). Niemandem würde es einfallen, eine Bildreportage vorn im Heft anzufangen und irgendwo hinten weiterlaufen zu lassen – aber mit dem Text wird das immer wieder gemacht.
Wenn man den STERN aber an den andern deutschen Illustrierten misst, ist er natürlich eine hervorragende Erscheinung. (Die andern sind allerdings so fürchterlich, dass man nichts an ihnen messen sollte.) Kuby verschweigt das nicht, er hebt die Leistungen des Blattes immer wieder hervor: die Serie von Koch über den Rüstungswahnsinn (derselbe, jawohl, welcher «Rasierklingen an den Ellbogen hatte», wie DIE ZEIT geschrieben hat), die sehr anständige Berichterstattung über Baader-Meinhof, Rudi Dutschke, die Studentenbewegung – aber «der Riss geht durch die Person», schreibt Kuby, «derselbe Bissinger, der ein persönlicher und selbstverständlich auch ein politischer Freund Rudi Dutschkes wird – was der Millionenleserschaft des STERN durchaus nicht verborgen bleibt –, ist imstande, zu dem Börsen- und Wertpapierabenteurer Bernard Cornfeld zu fliegen» und diesen im Ton des «billigen, unkritischen Illustriertenjournalismus» zu beschreiben. Solche zerrissene Personen habe ich beim STERN nicht wenige getroffen, den grossen Gillhausen zum Beispiel, Foto-Chef und einziger Überlebender (unterdessen, 1985, auch schon nicht mehr) der ehemaligen Führungs-Troika (Schmidt-Koch-Gilhhausen), der letztes Jahr kreative Vorstellungen für den Pariser Korrespondentenjob entwickelte und mich damit angeheuert hat (über das sozialistische Frankreich müsse ausführlich und seriös im STERN berichtet werden, hiess es damals) – und der dann vor kurzem jene Schicki-Micki-Fotoreportage ins Blatt hievte, die mit den billigsten Mitteln der bildlichen Persiflage eine Pseudo-Bilanz des neuen Mitterrand-Regimes präsentierte; als Wurmfortsatz dazu ein kleiner Text von Katharina H., der auch im «Figaro» hätte erscheinen können: insgesamt eine unseriöse Angelegenheit, wie Alfred Grosser dem STERN-Büro Paris telefonisch mitteilte.
Überhaupt dieses Büro … (17, avenue Matignon, Paris 8e, teure Adresse). Eine kontinuierliche Berichterstattung über Frankreich ist dort nicht möglich, trotz, oder wegen, des grossen Apparates: sieben Personen, dazu die schönsten technischen Errungenschaften wie Bildkopierer, Textübermittlungsgerät etc. – an der Technik hat es beim STERN noch nie gefehlt. Die Reportage über einen der grossen verstaatlichten Betriebe – was hat sich in einer solchen Fabrik geändert für Arbeiter; Direktoren, Gewerkschaften? –, die ich schon im letzten November vorgeschlagen hatte, konnte nicht realisiert werden, die Idee provozierte im Auslandressort nur Gähnen. Hingegen musste ich über Neujahr zisch und knack, ruck und zuck nach Marbella jetten, um den grössten Bankraub der Weltgeschichte d.h. die leeren Tresore in einer Bank, zu schildern (STERN-Redakteur Meienberg sprach mit den geraubten Edelsteinen). Nichts gegen ausgeraubte Banken, wirklich nichts – aber die grossen französischen Themen sollten deshalb nicht vernachlässigt werden. Eine Reportage über Rassismus in Marseille musste ich «auf Befehl der Chefredaktion» (wie oft habe ich den Ausdruck gehört?) abbrechen – sofort nach Hamburg fliegen, Barbie war ausgeliefert worden, Koch möchte sofort, am liebsten gestern, eine Serie über «Kollaboration und Widerstand» – Wann können Sie liefern, Herr Meienberg? –, welche Arbeit ich in Angriff nahm und leider nach dem Hitler-Tagebuch-Schlamassel unterbrechen musste, weil man als STERN-Vertreter in Frankreich heute nicht über die Hitler-Zeit recherchieren kann, ohne ausgelacht zu werden. Unterdessen kam zum Vorschein, dass bis vor einigen Jahren der Leiter des Gruner & Jahr-Büros in Paris (welchem Verlag der STERN gehört) ein gewisser Benno Schaeppi gewesen war, Landsmann, jetzt in Ehren pensioniert. Schaeppi … Schaeppi … Der Name tönt so vertraut.