Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg
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Gibt es noch Örtchen, wo wir Ruhe finden? Aber nicht doch. Aus dem Radio schallt's und knallt's und prallt's –
(Vater erzählt, Kind möchte etwas fragen)
«Ja also dann würd ich sägä gömmär hindärä is Jakobstäli vielleicht det am Furzbächli verbii det chöntemer ä chlini Rascht machä uf dä Grill chöntat mär an Cervelat, Suppä, Wurscht und» –
«Papi!»
«Brot brätä, ja, dann gömmar da Wanderwäg hindärä, lueg da hindärä» –
«Aber Papi iiii –»
«Da hämmär äs wunderbars wart jetzt» –
«Aber Papiiiii»
«Alpäpanoramaaaaa»
«Aber Papi, wo schlafäd mir?»
«Ja uf äm Hirschörli am Waldrand bim Majelisgrättli im Zelt vom VILAN» (darauf Musik VILAN).
Jawohl, so schallt's und prallt's, und erfunden ist es nicht von mir, sondern von Frank Baumann und von der Firma ASGS/BBDDO kreativ verwirklicht, und dieses am Furzbächli ersonnene Reklamefürzchen wurde vom ART DIRECTORS CLUB auf den Schild erhoben und mit Gold prämiert, wie Sie im ART-DIRECTORS-JAHRBUCH, Jahrgang 1988, auf Seite 279 unschwer feststellen können. Tatsächlich, le beaujolais nouveau est arrivé. Und ich bin in der glücklichen Lage, Ihnen dieses ART-DIRECTORS-BUCH druckfrisch vorzustellen, worin sich Dutzende von Produkten befinden, die etwa auf demselben Niveau liegen wie das eben zitierte sample.
Also wie gesagt, im Kino hat man keine Ruhe vor euch. In der Aussenwelt auch nicht. Ihr beschallt uns ausserdem auch zu Hause unablässig und bespringt uns mit aggressiven Bildern, die der ART DIRECTORS CLUB ebenfalls prämieren zu müssen glaubt. Wir sehen einen Reporter vor Wolkenkratzern ins Mikrofon sprechen –
Es stinkt zum Himmel. Unheimliche Invasoren – die Killerzwiebel, der Würgeknoblauch und das Kariesmonster – bedrohen die City.
Dann sieht man Superman mit flatterndem Umhang über die Wolkenkratzer fliegen, welch originelle, bisher noch nie verwurstete Idee, Superman siegt sehr schnell und streckt ein Rezeptakel in die Höhe mit dem Schriftzug SIGNAL, und im Off hört man eine Stimme –
Fluidman fliegt zum Kampf an. Mit seiner umwerfend frischen Puste macht er den Eindringlingen den Garaus. Dank Signal Fluid – der superfrischen Lösung, die vor Karies schützt.
«Puste» ist übrigens gut, das hört man besonders gern.
So werden zwar unsere Zähne, aber nicht unsere Hirne vor Karies geschützt, und ich habe mir sagen lassen, dass dieser Spot nicht etwa von munteren Sekundarschülern, die sich in ihrem Videolabor einen Jux machen wollten, fabriziert worden sei, sondern von der als seriös geltenden Agentur FARMER PUBERTIS, und dass dieses bescheidene Witzchen, wie andere TV-Witzchen auch, mit allem Drum und Dran seine 60'000 Franken gekostet haben dürfte, also etwa so viel, wie ich in einem guten Jahr verdiene. Wäre das Geld nicht in diesen Werbespot, sondern in einen guten Journalisten investiert worden, so hätte dieser z.B. genügend Musse gehabt, den Fall Kopp/Kopp, d.h. sowohl die Affäre Trans W. Kopp als auch die Geschehnisse im Flagellantenbüro Kopp und andere Connections beizeiten zu untersuchen; der Journalist oder die Journalistin hätte sich in aller Gründlichkeit mit dieser gesellschaftlichen Karies beschäftigen können, und so wären uns sowohl der Signal-Fluid-Werbespot erspart geblieben als auch Bundesrätin Kopp; und zwar schon vor vier Jahren.
Abonnenten haben mehr im Kasten. Tun Sie etwas gegen Zahnstein, bevor Sie Berge davon haben. Katzen würden Whyski kaufen. Den Computer NCR 9800 kann so gut wie nichts ausser Betrieb setzen, höchstens vielleicht eine PERSHING-Rakete. Es ist Käse, dass der Fendant Les Rocailles nur zu Fondue passt. Konsumentinnen, Konsumenten, wie wollt ihr euren Emmentaler geschnitten sehen? Wir haben ihn am liebsten schnittig. Wollt ihr den totalen Emmentaler? Vor Aids schützen, Feldschlösschen Bier benützen. Aebi und Partner, habt ihr euch entschieden? Um Antwort wird gebeten, u.a.w.g.
Fitness ohne Stress/macht die Betten näss. Lieber zwäg als träg. Klosterfrau Melissengeist macht die dümmsten Mönche feist.
Jawohl, meine sehr verehrte Zuhörerschaft, wir haben es geschnallt: Glatt für alli, Sauglattismus, bis die Schwarten krachen und die Grosis schunkeln. Integration, Partizipation, Kremation im Feuer der Werbekohlen, allgemeine Kommunion. Das Mittelstandsglück der generellen Enthirnung und der wütenden Munterkeit. Wie sagt meine Kollegin Isolde Schaad in ihrem Artikel über «Schweizer Werbung in den Achtzigern», erschienen in der «Wochen-Zeitung» vom 5.8.1988?
«… Partizipieren wir alle persönlich, und nirgends ist das Leben so persönlich geworden wie in der Reklame. Wir partizipieren am Chästeilet, am Candlelight, am Parcours und an der Direttissima. Die Reklame ist die Inkarnation der Klassenlosigkeit, in der alle als Charakterköpfe ganz ausgeprägt individuell geniessen. Es gibt keine Elite, keine Minderheit und keine Aussenseiter in der Totalen des Mittelstandsglücks, weil da alle mit allen identisch sind. Pardon, auch Sie, Madame, sind die Omi des sprudelnden Seniorenwesens und das Happy Baby, und Sie, Esquire, sind der Ferdi Kübler der Versicherungen und der Daddy der reparierenden Munterkeit. Alle passen fugenlos in den Selbsterfüllungsapparat und sind Alle für Alli. Auf dem gesunden Zahnschmelz von Eiger, Mönch und Chästeller erfüllt sich das Schwiizer Qualitätsglück, die eidgenössische Fassung des Kommunismus.»
Und wirklich, liebe Reklamiker, ihr produziert das Gemüt einer herzlosen Welt, die Labsal der verdürstenden Gesellschaft, die Ambulanz der Verzweifelten, die Tünche auf dem Saustall, und ihr verhelft den Massen nicht zu ihrem Recht, aber doch zu ihrem Ausdruck. Die von euch produzierte Scheinhaftigkeit wird künftigen Historikern Rückschlüsse auf die Wirklichkeit zu ziehen erlauben, und insofern erfüllt ihr wenigstens für die Nachwelt eine wichtige Funktion. Die unberührten Landschaften und wilden Naturwüchsigkeiten der Reklame deuten auf Landschaftszerstörung in der realen Welt, die ewig strahlenden Visagen der Select- und Strumpfhosengirls geben einen Fingerzeig auf die triste Welt der Grossraumbüros, und das Negativ des gsünsen Rhäzünsers ist der von den Fischen befreite – wenigstens temporär befreite – Rhein bei Basel. Je verreckter die Verhältnisse auf dem Wohnungsmarkt, desto glücklicher strahlt die Kleinfamilie aus den Inseraten von «Haus und Herd».
Man muss es umgekehrt proportional sehen, dann kommt man den Verhältnissen auf den Sprung, vermutlich. Als Anästhesisten und Narkotiseure habt ihr eure Verdienste. Darin, liebe Reklamiker, seid ihr ganz tüchtig, und das ist eure ideologische Funktion: von den Tatsachen abzulenken und uns zu führen aus diesem Jammertal ins Alpamare der diversen Happylands. Eine volkswirtschaftliche Funktion habt ihr demgegenüber kaum mehr, oder sie ist an einem kleinen Ort, d.h. besteht in der Erfüllung eurer ganz persönlichen finanziellen Wünsche und Lüste. Ihr verdient ja wirklich nicht schlecht, hueregopfertamisiech. In den Sechzigern und Siebzigern war das ein bisschen anders, da konnte man noch glauben, dass die Werbung, bitte sehr, Bedürfnisse wecken musste, die man eigentlich nicht hatte, weil bestimmte Produkte sonst nicht zu verkaufen gewesen wären, was wiederum Arbeitsplätze in der realen Produktion gefährdet hätte. Aber heute ist das nicht mehr so. Isolde Schaad bringt es auf den Punkt: «In den achtziger Jahren trifft nicht mehr zu, was