Reportagen 1+2. Niklaus Meienberg

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Reportagen 1+2 - Niklaus Meienberg

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sie bloss, nachdem sie gestillt sind. Die Reklamelandschaft ist jetzt das Projektionsfeld des Erworbenen, Vorhandenen. Das Umfeld ist ausgeklügelt, weil entscheidend, der Gegenstand beliebig. Die Bedeutung löst sich allmählich vom Symbol und verdunstet in der Diffusion.»

      Und woraus besteht diese Diffusion? Und wie verkauft man Produkte, die sich alle gleichen? Es ist unterdessen völlig wurscht, ob wir einen VW kaufen oder einen Mitsubishi oder Hatschamutschli oder Citroën oder Kurasawa oder Kamasutra 6-Zylinder oder was auch immer: Auto ist Auto, und nur bei den Luxusschlitten gibts noch entscheidende Nuancen. Hermann Burger wird Ihnen bestätigen, dass ein Ferrari Testarossa nicht dasselbe ist wie ein Ferrari Rossatesta. Aber item, bei den Waschmitteln kommts doch auch schon lange nicht mehr auf die Marke an. Herr Marti von der Werbeagentur Marti & Marti & Marti hat das Problem richtig erkannt und schreibt deshalb seinen Kunden folgendes:

      «Wir sehen unsere Aufgabe vor allem darin, in enger Zusammenarbeit mit den Marketingspezialisten einer Unternehmung einen vorhandenen Ansatz emotional aufzubauschen, dass die Werbung richtig unter die Haut –» wobei er wohl die Füdlihaut meint – «geht, und zwar so, dass unsere Zielsetzungen voll erreicht werden.» Es heisst jetzt nicht mehr wie im Vietnamkrieg: SEARCH AND DESTROY, sondern SEARCH AND BUILD UP, nämlich die Emotionen der potentiellen Käufer. Aber Krieg ist auch jetzt, erbarmungsloser Kampf zwischen Closettpapierherstellern und Jeansfabrikanten z.B. Bemerkenswert, dass hier das negativ besetzte Wort «aufbauschen» zum erstenmal in seiner Geschichte positiv umgepolt wird. «Aufbauschen» hiess früher «auf degoutante Art übertreiben». So wird den Wörtern der Hals umgedreht, wenn sie auf den Strich gehen. Aber man muss auch sagen: Herr Marti ist eine ehrliche Haut. Er sagt stracks, was er macht, und bringt die Perversität der Branche unverhüllt ans Licht. Hallelutschah!

      Uns bleibt nur noch, wenn wir an Martis Plakaten vorbeischleichen, an Hakle- und Rifle-Ärschen vorbeipromenieren, die Frage: Ist es dasselbe Tschick, das hier seinen Hintern so verkauft wie Marti sein Hirn, oder sind es deren zwei? Und mit aller Macht versuchen wir dann jeweils, unsere Emotionen abzubauschen, und führen zu diesem Zweck immer einen Wattebausch mit uns, damit wir nicht in Bausch und Bogen überfahren werden von unseren Gefühlen.

      Ihr lieben Durchlauferhitzer der Kauflust und Kaufwut, ich möchte hier nicht ein bestimmtes specimen eurer Gattung vertrampen und darüber die Gattung vergessen, Marti ist nicht schlimmer als die andern, nur quicker. Reklame ist hierzulande allgemein doof, das neue ADC-Jahrbuch beweist das, da hilft euch keine Geistreichelei. Vielleicht war sie einmal besser. Ich glaube mich zu erinnern, dass Herbert Leupin in den fünfziger Jahren eine gewisse Eleganz zustande brachte, und wenn es auch nur im Dienst von Coca-Cola war. Vielleicht war der Konkurrenzkampf damals noch nicht so hart, und es war noch eine Art von Gelassenheit möglich und weniger Gschaftlhuberei. Aber heute in diesen euren Kreisen: Da liegt die Ästhetik im Clinch mit der Warenästhetik. Erquickender Scherz, Witz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung sind nicht möglich im Dienste von Möbel Pfister oder Wohnland oder Tivolino, euer genre und eure Arbeitgeber gestatten nur Gags, Flips, Flops. Denn der wirkliche Humor ist bekanntlich unberechenbar und befreiend, könnte den Konsumismus gefährden. Vergesst eure literarischen Ambitionen, solange ihr dieses Gewerbe betreibt, und verputzt ruhig euren Lohn chez Max oder chez Agnes oder chez Mireille, in der BLAUEN ENTE oder im GRÜNEN ARSCH und in der toskanischen Zweitresidenz, solange der Stutz in derart rauhen Mengen auf eure Konten niederprasselt. Es ist ja wirklich interessant, wie schnell auch die unbegabtesten Pörschtlis und Maitlis in eurer Branche zu Geld kommen und wie rasant sie, quer durch die Werbelandschaft, via Radio-24-TV-Spots und Rincovision, in die Höhe katapultiert werden. Es gibt zwar ein paar Talente in euren Kreisen, aber wie schnell sind sie verhurt! Einen kenne ich, der macht Käsereklame, und siehe da, wirklich, an seinen Wörtern konnte man sich delektieren, man bekam nicht nur Lust auf Emmentaler, sondern auch auf weitere Kostproben seiner Sprache. Wie könnte sich dieses Talent entwickeln, wenn es sich, ausser vom Käse, noch von andern Objekten inspirieren liesse. Wenn der schnelle Mann einmal nicht mehr den Stutz, sondern nur noch eine Sache im Auge hätte, für die sich sein Herz erwärmt. Aber es soll halt Leute geben, ihr lieben Einpeitscher und Vorsteher des guten Geschmacks, welche von Existenzängsten befallen werden, wenn sie im Monat weniger als 20'000 Franken verdienen.

      Aber das geht mich ja alles nichts an, ich habe andere Sorgen. Es genügt anscheinend nicht, dass ich beim Schneuggen in Zeitungen und Magazinen mir mühsam die Artikel aus der happy Reklamewelt herausklauben muss, sondern die Artikel selbst und auch das Layout werden zusehends von der Reklameindustrie kontaminiert bzw. vergällt. Die verhurte Pseudo-Ästhetik der Werbung färbt ab auf alle übrigen Inhalte. Sie ist ja technisch, oder in Sachen Gags, immer auf dem neuesten Trip, und der wird dann prompt im redaktionellen Teil ein paar Monate später imitiert. Das führt den Journalismus in die Scheissgasse. Ich lese oder las regelmässig die Wochenendbeilage einer Zeitung, deren Textseiten heute reklamiger daherkommen als der eigentliche Reklameteil, und darob könnte man wütig werden, auch über die talentierten Jungfilmer, welche ihr Métier beim Werbefilm gelernt haben und dann ihre ernsthaft gemeinten Filme so schmissig/rassig schneiden, als ob sie immer noch Zahnpasta verkaufen müssten. Ein bisschen Wut werdet ihr, ihr unentwegten schnellen Brüter, mir in diesem Zusammenhang ganz allgemein gestatten müssen und vielleicht ein Quentchen Trauer über all das verschleuderte Talent eurer zum Teil begabten Köpfe, die evtl. etwas anderes produzieren könnten als Schubidu und Judihui, nämlich Aufklärung statt Verklärung betreiben könnten.

      Wenn ihr einmal den Finger herausnähmet!

      Aber wie gesagt, ich sah ein Tier auftauchen, es hatte grosse eiserne Zähne, es frass und zermalmte, und was übrigblieb, zerstampfte es mit den Füssen, und dann biss es sich in den eigenen Schwanz und, wie es bei gefangenen Tieren im Zoo manchmal vorkommt, zerfleischte es seine eigenen Pfoten und verzehrte seinen Penis – und übrigens: Werdet ihr gern gepfitzt? Ich bin aber nicht eure Mireille, bin keine Domina noch Dominus – soviel habe ich jetzt mit dieser Rede auch wieder nicht verdient. Aber vielleicht könnt ihr eure Triebökonomie wirklich nur noch masochistisch regulieren?

      Item. Wenn dann, beim Tubaton des Weltgerichts, eure Gerippe sich erheben aus den Gräbern oder auch nicht und dann an eurem rechten skelettierten Fuss noch ein halbvermoderter Timerlandschuh hängt und das Schlüsselbein von einer gut erhaltenen Dior-Krawatte garniert wird und ihr mühsam euch aufrappelt aus euren Design-Särgen Marke Vitra und euer Steiss von den letzten Resten eines Slip Eminence bedeckt ist: Dann, spätestens dann, werden sich die Joghurtköpfe fragen müssen oder gefragt werden, wie sie ihre Erdentage hingebracht haben.

      Jedoch halt, was sage ich, so kann man euch natürlich nicht kommen, denn für euch, ihr Plünderer aller Wortschätze und Umwurster der Bedeutungen, ist das Jüngste Gericht ja höchstens ein Fondue.

      Positiv denken! Utopien schenken!

      (Anlässl. des 20. Geburtstags der Schweizerischen Journalisten-Union SJU)

      Liebe Festgemeinde, chers collègues d'outre Sarine, cari amici del Sud, Dear Pulitzer Prize Winners,

      das Zwanzig-Jahr-Jubiläum der Schweizerischen Journalisten-Union SJU veranlasst uns, und also auch mich, wer möchte das bezweifeln, zum integralen Jubilieren. Keiner könnte mein diesbezügliches Gefühl besser ausdrücken als Georges Marchais, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Frankreichs, welcher bis vor kurzem, wenn er den Zustand des realsozialistischen Staatensystems beschreiben wollte, jeweils sagte: Le bilan est globalement positif, oder auf deutsch: Wir glauben an die Kraft des positiven Denkens.

      Da ist einmal die demokratische Struktur, welche sich über alle Massen bewährt hat, will sagen über alle Massen erhaben ist. Das gegenwärtige Präsidium wurde von 35 Personen gewählt, nur die besten, wägsten, ernstesten von den 1400 Mitgliedern haben sich zu dieser Wahl eingefunden, und diese Stimmbeteiligung von etwas über zwei Prozent unterscheidet die Schweizerische Journalisten-Union gewaltig von der Schweizerischen Käse-Union, welche jeweils für ihre Generalversammlung 25% der Mitglieder mobilisieren zu müssen meint und deshalb

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