Tessiner Erzählungen. Aline Valangin

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Tessiner Erzählungen - Aline Valangin

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reinigen, Schwämme suchen für den Winter, die er auf seinem halbzerfallenen Balkon trocknete, oder seinen verwilderten Garten jäten. Auch über die Berta wurde gelacht, und da sie zum Spott den Schaden trug, hätte man denken können, sie gräme sich. Die Marta, von der Sciora danach gefragt, sagte verwundert: «Die Berta? Oh, die lacht. Sie freut sich über ihr hübsches, kluges Kind. Alle Frauen beneiden sie ja um das süße Jesulein.»

      Als der Gerichtsspruch bekannt gegeben wurde, interessierte man sich im Dorf schon für eine neue Geschichte. Kaum, dass man ihn sich anhörte. Da das Mädchen es mit zwei Männern gleichzeitig getrieben habe, lautete der Spruch, sei es kein anständiges Mädchen und seine Klage sei abzuweisen.

      So behielt der Vater des Sindaco recht und Geld. Die Leute aber, die gehofft hatten, von ihm etwas für treue Dienste zu er­halten, haben sich geirrt. Niemand sah einen Rappen, nicht einmal ein Schöpplein Wein. Dadurch verlor der Alte seine letzten Freunde. Obschon er recht behielt, ist es doch eher die Berta, die gewonnen hat. Denn heute ist jeder im Dorf davon überzeugt, dass der Sindaco der Vater des Kindes ist. Schon um den Alten zu ärgern, diesen Geizhals.

      Das Kind ist jetzt vier Jahre alt. Die Sciora traf kürzlich mit der Berta und dem kleinen Jungen zusammen. Sie sprach ein paar Worte mit dem Mädchen, das stolz ist auf seinen Sohn. Und während sie sprach, forschte sie in dem runden Kindergesicht. Es kam ihr sehr bekannt vor. Dieses braune, krause Haar, der Blick unter dem Hütchen hervor? Wem sah das Kind denn ähnlich, wem?

      Von ihrem Spaziergang zurückgekehrt, trat sie in den Garten, wo Herr Martino, auf den Knien liegend, sich eben bemühte, mit einem langen Draht, sorgfältig und eifrig grübelnd, eine Ablaufrinne zu putzen. Die Sciora blieb vor ihm stehen. Er schaute auf, unter seinem Hut hervor …

      Da kam der Sciora das Lachen an. Also darum hatte Herr Martino damals vor fünf Jahren die Reise unternommen … und war solange bei seinem Vetter in Paris geblieben, ohne je zu schreiben, so dass man zweifelte, ob er noch am Leben sei! … Darum! … Man musste oft lange warten, aber einmal würde man verstehen! Sie verbiss das Lachen, doch gelang es ihr nicht ganz. Herr Martino hatte es bemerkt. Er wunderte sich sehr: Was gibt es da zu lachen? Er wandte sich, immer noch kniend und den Draht in der erhobenen Hand, ein wenig geärgert nach der Marta um, die am Waschtrog stand und der Sciora nachschaute, wie sie ins Haus ging. Beide sahen sich an und schüttelten den Kopf. Sie hatten sich verstanden. Stadtleute sind alle ein wenig verdreht, auch ihre Sciora.

      Teresa

      Ein schöner Tag sagte sich an. Die Sonne war noch nicht zu sehen, sie stand hinter den östlichen Bergen und färbte den Himmel da­rüber gelb und rot. Doch das Morgenlicht füllte schon das Tal, das schattenlos in tiefster Stille dalag, als ob es mit offenen Augen schlafe. Alle Vögel schwiegen. Es war jener verzauberte Moment, wo der Tag zwar Tag, aber auch noch Nacht ist und so den Vorge­schmack des Himmels gibt, der ja ewiger Tag und ewige Nacht zugleich sein soll.

      Die alte Teresa war schon auf dem Wege zur Arbeit. Jetzt, wo es so viel zu mähen gab, wartete sie nicht die Frühglocken ab, um aufzustehen. Ihre Wiesen hingen steil unter der Straße gegen den wilden Bach herunter und gaben hartes Gras, das die Alte sorgfältig mit der Sichel, Fleckchen für Fleckchen, oft Büschel für Büschel, abmähte. In ihren vielen Röcken bewegte sie sich gegen die Halde zu und maß in Gedanken im Voraus die große Hitze, die der Tag bringen werde. Gutes Heuwetter! Alles andere interessierte sie nicht.

      Plötzlich blieb sie stehen, rückte ihren alten Strohhut auf den Hinterkopf und hob die Nase; sie ging ein paar Schritte weiter, blieb wieder stehen, drehte sich rundum, schnupperte nach rechts und links. – «Was ist das für ein Geruch?», sagte sie vor sich hin. Sie sprach oft mit sich laut, auch mit ihrer Kuh. –

      «Was ist das? dieser Geruch … dieser arge Geruch … dieser Gestank kann man schon sagen …? Woher?» Jetzt lief sie vorwärts. Je näher sie ihrer Halde kam, desto schärfer drang der Geruch auf sie ein und desto eifriger suchte sie in Gedanken, woher dieser stammen könnte.

      Eigentlich konnte er nur aus einer jener neuzeitlichen Anlagen stammen, die von Zeit zu Zeit geleert werden mussten. Die waren aber schnell gezählt, denn die meisten Leute hatten Gruben, wie es von jeher Brauch gewesen.

      Es kamen nur in Frage …

      Während die Teresa überschlug, wer denn als Urheber dieses pestilenzartigen Geruches in Frage kommen könne, war sie am Mäuerchen angekommen, das ihre Halde von der Straße trennte.

      Da sah sie die Bescherung.

      Über die Herkunft dessen, was da breit auf ihre Wiese vergos­sen lag, war bei dem jetzt ganz eindeutigen Geruch nicht mehr zu zweifeln. Verdonnert stand die Alte. Sie wollte ihren Augen nicht trauen. Der Atem fehlte ihr. Sie ächzte. Dann spürte sie den hellen Zorn in sich aufsteigen. Mit den Fäusten fuchtelnd verwünschte sie laut die Nichtsnutze, die dieses nächtlicherweile getan hatten. Und warum getan? Warum gerade auf ihre Halde? Das war Bosheit.

      Die alte Teresa stand mit den übrigen Dorfbewohnern nicht auf bestem Fuß. Sie lebte für sich in ihrer kleinen Wohnung oben im Palazzo, den die Sciori aus der Stadt der Erb-Familie abgekauft hatten. Sie ging zu niemandem und ließ selten einen Menschen zu sich kommen. «Es ist besser, man bleibt allein», sagte die Teresa. Sie fand die Dorfbewohner dumm und faul und spottete gerne über sie. Auch in die Kirche ging sie kaum. Wozu? Was sollte ein so junger Mann wie der Herr Pfarrer einer so alten Frau wie die Teresa Wichtiges sagen können? Das Abendmahl? «Ach», sagte sie etwa, und zeigte mit ihrem Daumen gegen den Mund, «man kommt auch aus ohne den Bissen.» Es ist klar, dass die Dorfleute sie nicht liebten. Die Alte war ihnen ein Ärgernis. Dieser Hochmut! Und manch einer versuchte die Teresa zu plagen oder ihr bei Gelegenheit und im Geheimen einen Streich zu spielen.

      Ein solcher Streich war das wohl, musste die Teresa denken. Sie ging aufgeregt hin und her, die Hand an der Nase zum Schutz, und äugte herum. Da entdeckte sie noch mehrere Anlagen tiefer unten, wo sie gestern das Heu hatte liegen lassen, weil es noch nicht ganz dürr war. Im Nu war ihr klar: Das Heu und die ganze mühsame Arbeit um das Heu waren verloren. Ihr Zorn wurde ­heftiger. Sie schimpfte und wetterte. Dann kehrte sie entschlossen um und rannte ins Dorf hinauf, um dem Segretario zu melden, was ihr angetan worden sei.

      Einen Sindaco besaß das Dorf momentan nicht. Der Sin­daco hatte es vorgezogen, sich der – wie es hieß – gerechten Unzu­frie­denheit seiner Dörflinge durch eine Reise zu entziehen. Im Ge­heimen wurde geflüstert, er sitze irgendwo in Sicherheit. Man hatte sich demnach an den Segretario zu wenden, wenn man mit irgendeiner Sache nicht selbst fertig wurde.

      Der Segretario stand hemdärmelig auf dem Dorfplatz, als die Teresa durch die schmale Dorfgasse hinauf angesegelt kam. Er begriff wohl schon im Voraus, weswegen sie kam, denn er wehrte gleich ab, er habe keine Zeit und es gehe ihn nichts an und er wolle von dem Weibergeschwätz gar nichts hören. Damit verschwand er schlurfend in seinem dunklen Hausflur.

      Diese Haltung des Segretario, die keine war, brachte die Teresa erst richtig in Schwung. Auf eigene Faust unternahm sie eine Erkundigungsreise durch das Dorf, von der Piazza an bis zum hintersten Hause. In jedem Haus, in welchem sie von gewissen neumodischen baulichen Veränderungen wusste, kehrte sie ein und untersuchte den Ort umständlich und genau, ob er geleert worden sei oder nicht. Es musste sich ja schnell herausstellen, wer die Missetat begangen hatte, und dann Gnade dem Gott. Eine große Strafe hatte der zu bezahlen, und wenn er kein Geld haben sollte, so müsse er direkt ins Gefängnis kommen.

      Es hatten sich der aufgeregten Alten Neugierige und Schadenfreudige beigesellt, die wussten, dass sie auf ihre Rechnung kommen würden; denn, ob nun der Täter entdeckt und, wie die Teresa androhte, bestraft würde: Es wäre schön. Oder ob die Teresa un­verrichteter Sache und ungesühnt ihren Zorn werde schlucken müssen: Es wäre auch schön. In beiden Fällen konnte man

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