Tessiner Erzählungen. Aline Valangin
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Nach dem Ave, die Sciora saß vor dem Haus, erschien die Köchin Marta mit dem halbvollen Kehrichtkübel, begleitet von ihrer kleinen Tochter und dem Zimmermädchen aus der Stadt. Sie wollen schnell zum Wasserfall gehen, um den Kehricht zu leeren. Sonst schob sie dieses Geschäft hinaus, bis der Kübel seinen Inhalt nicht mehr fassen wollte und als Kranz rings um sich her verstreute. Heute überwog aber die Neugierde die Faulheit und so zogen die drei mit dem kleinsten Hund davon auf dem Wege zum Wasserfall, der am Mäuerchen vorbeiführt. Verwundert sah die Sciora zuerst den Dackel in gestrecktem Lauf zurückkommen und sich in seiner Hütte verkriechen. Dann erschien die kleine Marietta mit glänzenden Augen wegen des Ungebührlichen, das sie gesehen, dann die Marta mit verwehten Löckchen und roten Flecken auf den Wangen vor freudiger Empörung und zuletzt das ganz blass gewordene Zimmermädchen aus der Stadt. Sie blieben vor der Sciora stehen und schwatzten alle durcheinander. Es rieche noch sehr arg dort unten, denn viele Stellen seien immer noch ganz bedeckt mit der Sache. Maurilio habe es wohl nicht gesehen, da es versteckt gegen den Wasserfall zu liege. Er werde auch morgen noch viel Wasser tragen müssen, der Ärmste! «Aber Sciora, wer hat es denn getan? Was meinen Sie, wer hat es getan?», wollten alle drei wissen. Die Sciora schüttelte lachend den Kopf. Dann hieß sie die Neugierigen nun an etwas anderes denken. Sie finde, es sei jetzt genug über die Sache gesprochen worden. Morgen sei auch wieder ein Tag, um sich daran zu freuen. Und miteinander gingen sie ins Haus.
Die Nacht brach ein. Von hier und dort tönte das Dängeln der Sicheln wie Glöcklein durch die Stille. Etwa hörte man ein Lied in der sanften Nacht, obschon es dem Pfarrer ein Ärgernis, singen zu hören. Singen und tanzen sind des Teufels. Dann verstummte alles. Die Sciora wunderte sich oft, wie ängstlich die Menschen hier in ihre Häuser flüchteten vor der Dunkelheit. Und doch waren die Nächte so schön. Sie stand am Fenster und schaute nach den Sternen, denen sie eigene Namen gegeben hatte: der Blaue, der Funkelnde, der Zwitschernde, der Flötenspieler, der seine Strahlen wie Honig heruntertropfen ließ, die Kuh, die so zufrieden am Himmel stand. Während sie nach ihren fernen Freunden schaute, klopfte es hart an die Türe. Sie schrak zusammen, das Nahe war ihr plötzlich fast unheimlich. «Wer ist da», rief sie. Niemand antwortete, doch wurde weiter gepoltert, ungeduldig und heftig. Sie ging die Türe öffnen.
Da stand, die Stalllaterne in der Hand, die Teresa, den zahnlosen Mund weit offen in stummem Lachen. «Es ist der Pfarrer», sagte die Alte.
Die Sciora begriff es schneller, als sie es glauben konnte: «Der Pfarrer?», fragte sie, freudig bewegt.
«Ja, der Pfarrer», sagte nickend die Teresa und nun quirlte das zurückgehaltene Lachen aus ihr heraus. Sie quickste und pustete. Das Sprechen machte ihr Mühe:
«Der Pfarrer», glücklich sah sie die Sciora an.
Sie fasste sich ein wenig und fuhr dann fort:
«Eigentlich war es der Maurilio, der Esel. Der Pfarrer weiß nichts davon. Maurilio hat in der Nacht die Kessel des Herrn Pfarrer hinausgetragen und über die Halde geschüttet, weil er zu faul war, bis zum Wasserfall zu gehen wie andere Christenleute. Maurilio hat es getan. Aber es ist halt doch vom Herrn Pfarrer.»
Die Frauen freuten sich zusammen, denn der Pfarrer war nicht ihr Freund. Teresa zeigte, sooft es ging, dass sie den jungen Mann, wie sie den Pfarrer nannte, nicht nötig habe. Und die Sciora war kein einziges Mal in die Kirche gegangen, um seiner Predigt zu lauschen. Doch war ihr in der ersten Zeit ihres Aufenthaltes berichtet worden, dass der Herr Pfarrer sich wohl auf ihren Besuch in der Kirche vorbereitet habe, denn die Texte zu seiner Predigt seien bedeutungsvoll gewählt gewesen, zum Beispiel: «Der Herr sagte, ich kenne euch, die ihr nicht Gottesfurcht im Herzen tragt, und es soll euch schlecht gehen.» Auch: «Niemand kann zweien Herren dienen, sagte der Herr.» Sogar etwas von Sodom und Gomorrha, doch war der Text zu lang gewesen, Marta, die sich dafür interessierte, hatte ihn nicht erfahren können, denn niemand hatte ihn behalten.
Das Dorf war die erste Pfarrei des jungen Pfarrers. Er war erschrocken gewesen über die Fülle der Sünden, in welchen seine Pfarrkinder lebten, und er hatte sich vorgenommen, zur Ehre des Himmels und zu seiner eigenen, sie davon abzubringen. So war er ein eifriger Pfarrer geworden. Nichts entging seinen aufmerksamen Augen, seinem wachsamen Ohr. Man konnte ihn in später Nachmittagsstunde etwa gegen die Alp hinauf wandeln sehen, weil er sogar dort oben selbst nachsehen wollte, ob die Frauen und Mädchen auch so angezogen waren, wie es unserem Herrgott gefällt. Am Sonntag wurden neuentdeckte Sünder von der Kanzel herab gescholten, nicht mit Namen, aber so, dass ein jeder wusste, von wem die Rede sei. Der Pfarrer regte sich dabei sehr auf, er vergoss oft gar Tränen über seine sündigen Pfarrkinder und ermahnte sie, doch standhaft zu sein gegen das Böse. Die Kirche war voll. Es war ja nicht angenehm, sich selbst vor allen bloßgestellt zu sehen, aber es war schön zu hören, wenn der Nachbar in seinem geheimen Tun erkannt wurde. In der Fastenzeit wurde der Pfarrer noch emsiger. Er malte seinen erschrockenen Zuhörern das Fegefeuer so deutlich aus, dass sich die Frauen nach der Predigt kaum zur Kirche hinauswagten, aus Furcht, der Böse hole sie an der nächsten Ecke. Viele seufzten: Unser Herr Pfarrer ist wirklich ein heiliger Mann. Dass nun, trotz dieser Heiligkeit, der Unrat, über den sich heute alle empört hatten, aus seinem Bereich kam, daran ergötzten sich die Frauen, Teresa wie die Sciora. Das war ein richtiges Vergnügen, ohne Nebengeschmack.
Nun sollte die Alte erzählen, wie sie es erfahren habe. Der Fleck auf der unteren Kirchentreppe und das kurze Läuten des Maurilio, auch sein braves Wassertragen ohne jedes Aufbegehren und Verfluchen des Missetäters haben die Teresa stutzig gemacht. Sie sei darum zu Maurilio gegangen und habe ihm gesagt: «Ich, Teresa, zahle zehn Franken dafür, dass von der Kanzel herunter der Skandal verkündet wird mit der Aufforderung, der Schlimme, der die Tat begangen habe, solle sich stellen.» Maurilio habe schnell gesagt, sie solle das doch lassen, das passe sich nicht. Sie, die Teresa, habe darauf gefragt, ob denn der wüste Kerl ungestraft davonkommen solle? «Ich, Teresa, werde zehn Franken zahlen, damit der Herr Pfarrer von der Kanzel herab verkünde, was Scheußliches getan wurde und der Schuldige sich stelle.» Da sei dem alten Maurilio ganz elend geworden. Er habe zu stöhnen begonnen, er sei es ja selbst gewesen, er selbst, er, Maurilio, für den Herrn Pfarrer. Er habe nicht bis zum Wasserfall gehen mögen und habe darum die Sache über die nächste Halde geschüttet. Er habe sich gedacht, es werde regnen, diese Hitze könne ja nicht länger dauern. Und nun regne es nicht. Laut habe er dann gejammert, sie solle stille sein, es gehe um die Ehre des Herrn Pfarrer.
«Und wirklich», kicherte die Teresa, «es ist nicht länger her als letzten Sonntag, da soll der Herr Pfarrer gepredigt haben, die Marta hat es erzählt, man dürfe seinem Nachbarn kein Unrecht zufügen, keiner Art, auch ihm zum Beispiel keinen Unrat auf sein Feld werfen. Und nun geht sein Küster …» Nachdenklicher fügt sie hinzu und zeigt auf die Stirn: «Er ist wohl nicht mehr recht … Maurilio … der Schnaps.»
Kopfnickend geht sie mit ihrer Stalllaterne die Treppe hinunter, ins Dorf, die Neuigkeit verbreiten. Und trotz der Nachtstunde, es ist unterdessen zehn Uhr geworden, geht ein Lachen durchs Dorf. Gewiss, es wäre schön gewesen, wenn der Landjäger Gericht gehalten und die geheime Schlechtigkeit dieses oder jenes braven Mannes aufgedeckt hätte, aber die Freude, dass das Übel aus dem Pfarrhaus stamme, ist so groß, dass darüber die kleinen Enttäuschungen vergessen werden.
Aber wer zahlt jetzt der Teresa das verdorbene Heu? Das fragt sie sich,