Rheinfall. Daniel Badraun

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Rheinfall - Daniel Badraun

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hatte lachend den Kopf geschüttelt. «Nein, meine Herren, ich werde meinen Auftrag erfüllen, doch bis dahin brauche ich meine Ruhe.»

      Und ihre Ruhe findet sie nur hier in ihrem Haus auf dem Randen. Bereits ihr Grossvater hatte das kleine Haus auf einem der kalkigen Hügelzüge hinter der Stadt erbaut. Als Kinder hatten sie manches Wochenende in den Wäldern verbracht oder mit den Eltern nach versteinerten Schnecken und anderen Fossilien gesucht.

      Felix hatte sie streng angeschaut. «Deine Ortsabwesenheit braucht einen triftigen Grund.»

      «Heute ist Vollmond, da muss ich raus aus der Stadt.»

      Felix blätterte in seiner Agenda, dann erschien ein breites Grinsen auf seinem schlecht rasierten Gesicht. «15. September, Vollmond. Ausgang genehmigt!»

      «Und wenn wir dich brauchen?», fragte Freddy.

      «Hinterlasst eine Nachricht bei Giancarlo im ‹Adria›. Ich werde kommen.»

      Sicher würde sie kommen, schon morgen will sie in die Stadt zurückkehren, sie will bereit sein.

      Nach einer halben Stunde erreicht Margrittli die Lichtung. Sie bleibt stehen und horcht in die Dunkelheit. Es ist still, kein Laut zu hören. Irgendetwas stimmt hier nicht, es ist zu ruhig. Die Nachttiere fehlen, das Rascheln im Gebüsch und die äsenden Rehe am Rande der Lichtung. Statt die Wiese zu überqueren und das Haus aufzuschliessen, wie sie es gewöhnlich tut, bleibt sie im Schatten der Bäume und geht langsam um die Wiese herum, immer im Schatten der Bäume.

      Dann riecht sie es. Zigaretten. Jemand muss hier vor Kurzem geraucht haben.

      Sie könnte sich ganz leise davonstehlen, in der Dunkelheit verschwinden und unten im Tal bei Rita und Jonas übernachten. Beim Haus an der Kreuzstrasse liegt immer ein Schlüssel unter dem Kaktustopf für sie bereit, so dass sie zu jeder Tagesund Nachtzeit ein zweites Zuhause findet.

      Doch dann siegt die Neugier. Zu gerne möchte sie erfahren, wer ihre nächtlichen Besucher sind. Vorsichtig zieht sie sich in den Wald zurück und umgeht die Lichtung in einem grossen Bogen. Wer den steilen Weg hier hinauf nicht kennt, muss die Fahrstrasse nehmen und lässt den Wagen beim Bodenacker auf der anderen Seite des Waldes stehen.

      Bald hat sie den weissen Opel am Waldrand entdeckt. Auf dem Weg geht ein Mann hin und her.

      «Wissen Sie nicht, dass hier Fahrverbot ist? Haben Sie eine Genehmigung?»

      Er zuckt zusammen, dreht sich um und starrt Margrittli an, die aus dem Wald auf die Fahrstrasse getreten ist.

      «Guten Abend. Ich wollte …, das heisst …, heute Mittag habe ich hier meinen Hund verloren und nun habe ich gedacht …, vielleicht …»

      «Soll ich Ihnen beim Suchen helfen? Nicht dass der Hund noch wildert. Da bekommen Sie Probleme mit dem Wildhüter. Der ist nachts öfters hier anzutreffen.»

      «Der Wildhüter?» Der Mann hüstelt verlegen. «Es ist eher ein kleiner Hund.»

      «Wie heisst er denn?»

      «Der Hund? Hmmm … Lucky, ja, Lucky heisst er.»

      «Na, dann wollen wir ihn mal rufen.» Sie formt mit den Händen einen Trichter vor dem Mund und verschwindet, «Lucky, Lucky!» brüllend, im Unterholz. Nach wenigen Metern bleibt sie stehen, bewegt sich dann lautlos seitwärts durch den Wald, bis sie die Fahrstrasse hinter dem Opel erreicht. Dort setzt sie sich unter ein Gebüsch und beobachtet den Mann beim Wagen.

      Wenig später hört sie Schritte im Wald. «Was ist los? Wer schreit denn so?»

      «Sie war hier!», zischt der Mann beim Opel.

      «Und wo ist sie jetzt?» Der zweite Mann tritt aus dem Wald.

      Der erste Mann lacht. «Sie sucht meinen Hund. Ich habe ihr gesagt, dass ich meinen Hund vermisse. Wenigstens wissen wir, dass sie hier ist.»

      «Komm, wir fahren, bevor sie wieder auftaucht!»

      Die Türen werden zugeschlagen, dann verschwindet der Opel ohne Licht in der Nacht.

      Margrittli steht auf. Bisher hat sie sich hier auf dem Randen immer sicher gefühlt. Nie wurde sie im Haus belästigt oder gestört. Es scheint, als ob sich nun einiges ändern könnte. Wenigstens ist sie gewarnt.

      Mit einem roten Alfa kommt sie bis Tiefencastel. Der Fahrer will sie noch ausführen, in eine Disco auf die Lenzerheide oder so. Doch mit der ihr eigenen eiskalten Art bringt sie ihn schnell zum Schweigen. «Hören Sie», zischt sie, «Sie mögen ein netter Kerl sein, der auch ganz passabel aussieht, doch Ihre Hand auf meinem Knie, die eigentlich ans Steuer gehört, fühlt sich an wie ein durchgekauter Waschlappen, der schon zu stinken begonnen hat.»

      «Aber Schätzchen …»

      «Sie fahren von A nach B. Ich muss auch von A nach B. Das ist das Gemeinsame zwischen uns zwei. Sonst aber …» Sie lächelt bösartig. «Wollen Sie es hören?»

      Er zieht die Hand zurück, schüttelt den Kopf und schweigt.

      Sie schläft in einer Telefonkabine beim Bahnhof. Frühmorgens wird sie von einem orange gekleideten Mann wachgeschüttelt. «Was machen Sie hier?»

      «Was denken Sie?» Marguerite schaut ihn fragend an. «Na, kommen Sie, raten Sie! Das dürfte doch nicht so schwer sein, oder?»

      Er schultert kopfschüttelnd seinen Besen. «Die Leute aus der Stadt …»

      «… die müssen auch irgendwo schlafen, Mann! Rechnen Sie mal: In der Stadt wohnen viele tausend Menschen. Können Sie mir folgen? Na gut. Wenn die jetzt alle hier in Tiefencastel schlafen wollen, dann hat es doch nicht für alle Platz im Hotel. Richtig?»

      «Richtig», murmelt er und zündet sich eine Brissago an.

      «Und darum habe ich eben in der Telefonkabine übernachtet. So einfach ist das.»

      Der erste Zug nach Chur fährt ein, Marguerite steigt ein, winkt aus dem Fenster dem Mann zu, er winkt paffend zurück. «Die Leute aus der Stadt …»

      Knapp eine Stunde später sitzt Marguerite in einem Büro des Churer Bahnhofs einem älteren Beamten gegenüber.

      «Sie fahren ohne gültigen Fahrausweis, weigern sich, mir Ihren Namen anzugeben, und behaupten obendrein, bedroht zu werden. Und das soll ich Ihnen glauben?»

      «Kann ich einen Kaffee haben? Wenn Sie auch noch ein Croissant hätten – ich hatte keine Gelegenheit zu frühstücken.»

      «Auf unsere Kosten vielleicht?» Der Bahnbeamte hämmert auf sein Pult. «Dies ist nicht der städtische Sozialdienst, dies ist die Rhätische Bahn.»

      «Und ich habe gedacht, es sei die Heilsarmee.» Sie lächelt müde. «Wegen der Uniform, wissen Sie …»

      Er starrt sie an und wartet. Wartet schweigend. Ihre Worte verlieren an Schärfe, ihr Gesicht wird immer grauer, ihre Bewegungen fahriger. Sie hat gedacht, dass sie es schaffen könnte, dass sie wegkommt irgendwie, irgendwohin. Doch ihr fehlt die Kraft. Sie braucht etwas, muss sich beruhigen, muss vergessen können. Der Mann vor ihr sieht aus wie ihr Vater, streng, aber keinesfalls böse.

      Endlich

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