Die Gärten der Medusa. Dieter Bachmann

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Die Gärten der Medusa - Dieter Bachmann

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waren sie sich einig, wie schön das Malcantone sei. Und immer noch relativ wenig bekannt!

      Und dann: Wie schön die Sorgfalt, welche die Stadt diesem unserem Park angedeihen lasse.

      Auch in Lugano gebe es einen schönen Park, den der Villa Ciani, sagte der Tessiner, aber dort sehe man nur Touristen, oder Italiener, nicht die sympathischsten, nämlich die Milanesen, welche grade ihr Geld in einer Schweizer Bank in Sicherheit gebracht hätten und sich nun noch einen Blick auf den See gönnten. Während hier diese Anlage nur für die Stadtbürger ge­macht sei.

      Man müsste das der Stadt, auf die man so viel schimpft, auch einmal mitteilen, dachte Wild.

      Arrivederci. Er gehe jetzt essen, drüben im «Grottino 77» sagte der Tessiner. Und auf Wilds völlig überflüssige Bemerkung, es sei dort zwar ordentlich, wenn auch einigermaßen teuer, sagte er: Geld kann man nicht essen. Aber der Magen fordert sein Recht.

      Borbakis also.

      Nicht abzuschütteln. Eine halbe Stunde später, es ging gegen Mittag, saß Wild mit ihm im «Eichhörnli.»

      Nikos schaute aus seiner Carlo-Marx-Maske, ein traniger Blick aus den Glastrichtern, die er vor den Augen hatte.

      Wie geht es dir?, fragte er.

      Unglaublich!

      Gibt es einen einzigen Augenblick im Leben, eine Lebenssekunde, in der man diese Frage beantworten könnte?

      Na ja, sagte Wild.

      Borbakis sinnierte. Er stierte auf das Brotkörbchen. Er grummelte, und schon ging’s weiter.

      Sei grad in Krise, sagte er.

      Was sollte Wild darauf sagen?

      Immer viele Pläne, sagte Borbakis, und dann? Und dann? Ein leiser Zweifel genügt, und alles geht in die Hose, verschwindet in meiner Lethargie. Einer Art Universal-Katatonie, wie ich es nenne.

      Ach so?

      Was für ein Schaumschläger, dachte Wild.

      Ein Zustand, in dem ich kaum noch einen Finger bewegen kann. Alles wird schwer an mir –

      – was heißt bei dem schwer?, dachte Wild – und ich möchte eigentlich nur noch liegen.

      Er nestelte an seinem Kittel, zog ein Stück Papier aus der Rocktasche, faltete es umständlich auf, las vor; der Dialekt, aus dem sein Hochdeutsch kam, war unüberhörbar: «Der Zorn, der ihm Kraft verlieh, um anzufangen, war verflogen, bevor er halb fertig war. Wenige Worte verbrauchten ihn. So war es immer gewesen, nicht nur mit dem Zorn, nicht nur mit den Worten.»

      Borbakis starrte triumphierend aus Chamäleonsaugen, als ob die hätten Blitze schleudern können, und bohrte sich mit seinem zwangsfokussierten Glaskörper in Wilds Blick. Dann faltete er, bedeutungsvoll wie nach einer Abdankung, das Blatt wieder zusammen. Murphy, sagt er, Murphy. Und Wild staunte: der und Beckett?

      Pascal, der Wirt, stand beim Tresen und schaute zu den beiden herüber. Er grinste Wild zu. Wild wusste, Pascal grinste gern. Diesmal sagte das Grinsen: Schwätzer.

      Kannte er Borbakis? Hatte Wild, indem er Borbakis herbrachte, das Lokal beschmutzt?

      Eine Leere, sagte der, er hatte Pascals Grinsen nicht bemerkt, die übliche Leere, die würde in ihm sofort zum schwarzen Loch. Das fülle ihn bis in die Gliedmaßen aus, er würde wie ein großer, weicher Stein, zu nichts mehr fähig. Fühle seinen Körper, wie wenn Claes Oldenburg den geformt hätte.

      Wild sah ihn an; das war gar nicht schlecht. Ziemlich aufgepampt und wohlgenährt war der Elvetikos auf jeden Fall.

      Das Gegenstück zu jedem Triumphgefühl, sagte er weiter. Schwieg dann in sich hinein. «Et altera pars», murmelte er dann undeutlich, Wild nahm an, er meine «und so weiter», wahrscheinlich war Nikos im Latein nicht trittsicher.

      Wild schaute ihn an. Pascal hatte sich der Kasse zugewandt. Wild konnte nicht sehen, ob er immer noch grinste.

      Vielleicht lebe er nicht richtig, oder nur so wie ein Davongekommener, meinte Borbakis. Plötzlicher Kindstod käme ihm dabei in den Sinn, das Kind verweigert das Leben und geht wieder zurück dahin, wo es hergekommen ist. Wie in einem Experimental-Film, sagte er, in dem die Kacke sich aus dem Topf auf den Rückweg macht, um langsam im Hintern des Kackers zu verschwinden.

      Plötzlicher Kindstod, murmelte er. Nach wenigen Wochen, Monaten gehen sie wieder, diese Kinder. Sie haben genug gesehen. Sie haben etwas gesehen, diese Kinder, was ihnen nicht zusagt, brummelte Borbakis. Ein Suppenrest verlieh seinem Marx-Bart ein unfreiwilliges Glanzlicht. Fettauge auf grau meliertem Griechenbart.

      Wir, die sogenannten Normalen, die weiterleben, länger und immer länger, wir, die wir immer älter werden, älter und älter, haben damals vielleicht nicht richtig hingeschaut. Weißt du, bevor wir den ersten, den entscheidenden Schrei getan haben. Unerklärlich, sagt man, wenn die sofort wieder gehen, keine Ahnung, sagen die Ärzte und zucken entschuldigend mit den Achseln.

      Borbakis regte sich auf. Die Ärzte, die nichts anderes als die Physiologie kennen. Das Kind war doch gesund!, sagen sie. Heilige Einfalt! So ein Scheißdreck!

      Er käme sich selber vor wie einer, der damals, als es noch Zeit gewesen wäre, den Absprung verpasst habe.

      Was für ein Gewäsch.

      In der Regel denke er nicht daran. Sei dann wie jeder andere.

      Wieder nicht schlecht: wie jeder andere.

      Daran, dass er lieber rede als zuhöre, spüre er, dass er jetzt wieder in so einen Zustand komme. Er trinke es weg. Am nächsten Tag, hinter dem Kater hervor komme sie dann, diese Lethargie. Eine Art Katatonie. Die Mattigkeit, ums mal deutsch zu sagen. Die könne auch anhalten, über Tage. Gehe er unter die Menschen, werde er gleich wieder gesprächig, erreiche diese ekelhafte Selbstentäußerung, die sie für geistreich hielten.

      Die sie für geistreich hielten?

      In Indien, vor Jahren, habe er einmal mehrere Tage im Hotel verbracht, einem pompösen ehemaligen Maharadschapalast. Sei nicht ausgegangen, habe nichts unternommen, nicht einmal gelesen. Nur den ganzen Tag auf dem Bett gelegen, den Fernseher an, in dem unverständliche, wohl in Korea gedrehte Gangsterfilme liefen, alles in Hindi, und so auch einmal der Kommissar aus Deutschland, der Alte mit seinem Assistenten, Horst Tappert und dieser ewige Zweite namens Wepper, die er hier als Eindringlinge empfunden habe. Marsianer, diese Deutschen, hier im rajasthanischen Maharadschapalast.

      Das Zimmer roch danach plötzlich nach Männerschweiß, sagte Borbakis, nach Wehrmachtssocken.

      In einem Flügel habe noch der Fürst gewohnt. Der habe seine Gäste tagsüber mit dem Jeep auf Wüstensafari gefahren, ein in die Vulgarität des Tourismus abgestürzter indischer Maharadscha. Weißt du, dass das «Großer Herr» heißt? «Mahab» heißt «groß». Ein abgefuckter Grande im khakifarbenen Hemingwaydress. Salzringe unter den Achseln, weißt du, so.

      Er versuchte, mit der Patschhand an seinem fetten Arm einen Halbkreis anzudeuten.

      Abends aber ganz in Weiß. Hose und hoch geschlossene Jacke, auf Taille geschnitten. Das Gesprächsthema war, Gläser in der Hand,

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