Im eigenen Land. Niklaus Meienberg
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«Eine einzige, zynisch berechnete, von sämtlichen Räten abgesegnete Betonverwüstung, eine Ausbeutung und schamloseste Schändung ohnegleichen ist das, was hier einer schönen kleinen Stadt angetan wird», schreibt der gebürtige Zuger Urs Herzog, Professor an der Universität Zürich, über seine Heimatstadt, die er heute nicht mehr erträgt. Die Altstadt wirkt so komisch in diesem Beton, als sei sie vom Himmel gefallen. Sie ist sinnlos geworden in der neuen Umgebung, eine Puppenstube für Denkmalpfleger, wird von ihrem Kontext relativiert und lächerlich gemacht.
Eine «ratlose Überfremdung» nennt alt Bundesrat Hürlimann diesen Zustand – aber hat er als Alt-Verwaltungsrat der Phibro ag, als ehemaliges Mitglied der Zuger Regierung, welche die ausländischen Firmen mit Steuerbegünstigungen nach Zug holte, wirklich keinen Rat gewusst? Heute ist er «ständiger kultureller Berater» der Marc Rich und Co., wie man bei dieser Firma erfahren kann, während er selbst, bescheiden, seine Rolle viel kleiner sieht: Er habe Marc Rich «ein einziges Mal» kulturpolitisch beraten. Welche Sache das war, möchte er nicht sagen. Er möchte überhaupt fast nichts sagen, wenn man ihn telefonisch befragt; will den Reporter auch nicht empfangen, seine Devise sei: Servir et disparaître, und nachdem er nun dem Kanton Zug und der Eidgenossenschaft an gut sichtbarer Stelle gedient hat, möchte er wohl ganz verschwinden – und doch ist er noch da. Vom Kanton Zug und seiner Wirtschaftspolitik verstehe er nichts, da sei er nicht kompetent, der Reporter solle sich diesbezüglich an den Alt-Stadtpräsiden-ten Hegglin wenden, diesem aber auf keinen Fall verraten, dass er, Hürlimann, dem Reporter geraten habe, sich an ihn zu wenden (dem Leser darf ich es verraten, das wurde mir nicht verboten).
Schweigen, Lieblingsbeschäftigung der Zuger, die etwas zu sagen haben (zu sagen hätten). Silent City. Die Zuger sind richtige Schweige-Virtuosen, Verschweigungskünstler, Diskretionsfanatiker, und die zugezogenen Zuger sind es noch mehr (Marc Rich und so weiter). Dr. Paul Stadlin schweigt, obwohl er doch gewiss über seine 83 Verwaltungsratsmandate etwas zu sagen hätte, der Spross aus alteingesessenem Zuger Geschlecht, der grosse Politiker, er hält nichts von Journalisten, «weil man ihre Artikel ja doch nicht kontrollieren kann». Paul Stadlin lebt in Bürogemeinschaft mit Dr. Rudolf Mosimann, seinem Schwiegersohn, der nur über 33 Mandate verfügt, und der schweigt auch.
Stadlin ist nebenbei Schriftsteller, hat den Text zu einem Fotobuch über Zug geliefert, aus dem alles Hässliche wegretouchiert ist, Zug als landschaftliche, denkmalpflegerische Idylle; und er macht auch Gedichte, die gütigst im Verlag H.R. Balmer Zug, mit dem er sozusagen als Mäzen verquickt ist, verlegt werden. Da er dem Reporter keine Erklärungen abgeben wollte, kann hier nur ein Gedicht von ihm zitiert werden:
EINE ART VON PHILANTHROP
Wenn einer lebenslang nichts getan,
Als Macht und Besitz zu raffen,
Kommt ihn am Schluss wohl die Grossmut an,
Ein bleibendes Werk zu schaffen.
Besiehst du dir jedoch näher das Ding,
Ist’s ein Teil nur von einem Götzen;
Du merkst, dass es dem Herrn drum ging,
Sich selbst ein Denkmal zu setzen.
Er tut es mit jener Besessenheit
Mit der er kein Ziel verfehlte;
Ein «Kindlifresser», der Vreneli speit,
Weil ihn die Vergänglichkeit quälte.
In ihm ist die Wut des Bauens entbrannt
Zu Stadien, Schulen, Museen.
Er wird nun als Philantrop bekannt;
Auch das macht ihm Spass zu sehen.
Doch wisse, sprich niemals bei ihm vor
Mit einem persönlich’ Anliegen:
Für solches Gefasel ist taub sein Ohr
Und nicht ein Nickel zu kriegen.
(Paul Stadlin, «Lamellenblick, Ein Glossarium in Versen»)
Andere schweigen, nachdem sie zuerst reden wollten, zum Beispiel der Hauptbuchhalter einer grossen ausländischen Firma, mit dem ich verabredet war und der mich dann um sieben Uhr früh im Hotel anrief, mit angstgepresster Stimme: Er habe «es» mit seiner Frau besprochen, müsse als Familienvater Rücksicht nehmen, sicherheitshalber wolle er mich lieber doch nicht treffen, die Firma – bitte den Namen nicht nennen – sehr streng, amerikanische Methoden, nicht gemütlich wie Landis & Gyr, der kleinste Fehler, und man wird rücksichtslos gespeicht, bei Indiskretionen fristlose Entlassung, überhaupt ein Klima wie bei den Haifischen. Also kein Treffen mit Hauptbuchhalter X. Bei einer anderen Rohstoff-Verschiebefirma wird der Reporter nach langer Bedenkfrist empfangen und darf tatsächlich mit einem Direktor reden, muss aber zuerst eine schriftliche Erklärung abgeben, welche ihn dazu vergattert, weder Zitate aus dem Gespräch noch den Namen der Firma zu drucken, die ihm ein Interview gegeben hat, das er nicht verwenden darf. Es handelt sich um das nebst der Phibro ag bedeutendste Haus am Platz, nämlich die …
Eine andere Person, ungenannt sein wollend, möchte auf keinen Fall mit dem Reporter in einem öffentlichen Lokal gesehen werden, auch droben in Menzingen oder Ägeri nicht, Verabredung schliesslich auf dem Friedhof Baar, Nähe Beinhaus, und dann ab in seine Wohnung, auf dem Weg dorthin die Angst, wir könnten zusammen gesehen werden. In den eigenen vier Wänden spricht er dann ziemlich frei, wenigstens seiner Frau vertraut er, das ist beruhigend.
Leider weiss er nicht viel Interessantes, arbeitet in untergeordneter Stellung, wie er sagt. Wer nämlich etwas Interessantes weiss, der braucht das Wissen, um Geld zu machen, und das kann sehr schnell gehen, wenn man die Kenntnis der Rohstoffmärkte richtig einsetzt, in einer der berühmten Firmen, Marc Rich, Phibro, Commercial Metals & Rohstoff – sagt die ungenannt sein wollende Person. Habe er doch Schulkameraden erlebt, die kometenhaft aufgestiegen seien, nach der Banklehre sofort in eine dieser Firmen und als Trader Erfolg gehabt, da werde nicht nach Diplomen gefragt, das trading business als letzte Möglichkeit hierzulande für einen Selfmademan, nur gute Nase, harte Ellenbogen und schnelle Auffassungsgabe seien nötig, auch maximales Anpassungsvermögen, da könne man seinen Schnitt machen, nur in diesem Sektor werde einer heute noch ohne Universitätsdiplom so richtig in die Höhe kommen. Aber auch sofort wieder herunter, wenn man nicht spure beziehungsweise für die Firma nicht genug Geld einfahre (wie die Ernte in die Scheune). Wahnsinnig flexibel müsse man halt sein. Und die Zurückhaltenden, Scheuen, Rücksichtsvollen schaffen es nie.
Einen kennt er, in Menzingen droben, Sohn einer vierzehnköpfigen Familie, kommt von ganz unten, der hat es jung geschafft. Vierhunderttausender im Jahr, toller Wagen, Einfamilienhaus in bester Lage, aber der müsse auch krampfen wie ein Vergifteter, die Familie habe nicht viel von ihm, er geniesse nämlich