Im eigenen Land. Niklaus Meienberg

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Im eigenen Land - Niklaus Meienberg

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Kupfer, wie kann das mit möglichst grossem Zwischengewinn an die Sowjetunion verkitscht werden, was können wir in Südafrika garnieren, wo gibt es politische Lämpen, wann will ein Produzent aus politischen Gründen nicht mit einem Konsumenten verhandeln, so dass der Zwischenhändler eingeschaltet werden muss – harter Job, blitzschnelle Entscheidungen, gesunde Nerven, harte Kalkulation.

      Es sei diesem Eddie E. in Menzingen droben nicht an der Wiege gesungen worden, dass er einmal diesen tollen Wagen fahren werde und von Marc Rich in ein Fortbildungsseminar geschickt werde und in der ganzen Welt herumdüsen könne; und darum seien Leute wie E. dem Rich und ähnlichen Firmen so dankbar, weil sie ohne diese nicht aus der zugerischen Enge ausgebrochen wären und es auf keinen grünen Zweig gebracht hätten. Und wenn es auch nur ganz wenige Zuger schaffen, so bleibe für die andern doch die Hoffnung, dass sie es einmal schaffen könnten.

      Jedenfalls, diese Firmen schütten ein gutes Salär, auch in den untern Rängen besser als Versicherungen oder Banken oder die Industrie, sagt mein Gewährsmann, und weil so viele davon in Zug domiziliert sind, angelockt von den Steuererleichterungen, müssen die Einheimischen weniger Steuern zahlen. Allerdings, auf die niederen oder mittleren Einkommen trifft es nicht soviel an, bei einem monatlichen Salär von 4000 Franken macht es wenig aus, verglichen mit den Steuern in Zürich, aber für die hohen und höchsten Einkommen ist der Steuerunterschied dann prächtig, sagt der Gewährsmann.

      Allerdings, man müsse auch berücksichtigen, dass wegen der vielen durch die zugerischen Verhältnisse angelockten reichen Leute die Mieten wahnsinnig in die Höhe getrieben worden seien, so dass heute in Zug eine rechte Wohnungsnot grassiere. Aber für die Advokaten sei es eine gute Zeit. Ein Freund, der vor zehn Jahren in Zug die Matura bestand, hat ihm erzählt, dass aus seiner Klasse neun Juristen hervorgegangen sind, sieben davon besitzen jetzt einen Mercedes oder etwas in derselben Preisklasse, und alle schiessen sie gewaltig ins Kraut. Jemand müsse ja schliesslich die juristischen Formalitäten für die 9000 juristischen Personen erledigen, welche in Zug domiziliert sind (in Worten: neuntausend).

      Zug hat gewaltig expandiert, es ist hier die Wut des Bauens entbrannt, wie Dr. Paul Stadlin sagen würde, und auch die Wut des Renovierens und Abreissens. Kürzlich wurde die sogenannte Metalli abgerissen, eine riesige Zahnlücke klafft jetzt im Stadtbild, wo früher die Metallwarenfabrik stand, und bald wird dort eine Überbauung hingeklatscht, die es an Hässlichkeit mit dem Neustadt-Center ohne weiteres wird aufnehmen können. Das Neustadt-Center ist ein ödes Konglomerat von Ladenstrassen und Büros. Früher soll die Gegend dort wohnlich gewesen sein, sagen die älteren Zuger. Die neue Kantonsschule – ohne die Steuermillionen, die den ausländischen Gesellschaften entfliessen, wäre sie nicht so schnell so zackig gebaut worden – sieht aus wie die Kommandozentrale einer ausländischen Gesellschaft, kalt und ziemlich grausam.

      Die Philipp Brothers ag baut auch, das alte Domizil wurde zu eng für die 400 Angestellten, der Neubau wird im Volksmund Pentagon genannt. Auch die Marc Rich hat bekanntlich vor kurzem gebaut, der Sohn des Abwarts der alten Kantonsschule, welche man «die Athene» nannte, hat den Auftrag bekommen. Der bläulich schimmernde, kubische Bau, in dem sich die Nachbarhäuser spiegeln, ist transparent, im Gegensatz zu den Geschäften, die darin abgewickelt werden. Man sieht in das Gebäude hinein, Rohstoffhändler telefonieren, reden miteinander oder auch nicht, Sekretärinnen hasten, blau kolorierte Gesichter erteilen Befehle, auf Monitoren werden die Börsenkurse abgelesen, «junior traders» entwerfen Konzepte, rund um die Welt herum wird geordert, immerdar Gewinn und Verlust/Wäget ein sinnendes Haupt.

      Hier wird nichts hergestellt, keine altehrwürdige Produktionstätigkeit ausgeübt wie bei Landis & Gyr, hier wird nur verschoben und garniert, man sieht keine Waren, die Tätigkeit ist immateriell, reiner Geist am Werk. Wie Gottfried Benn richtig sagte: Riesige Hirne biegen/sich über ihr Dann und Wann/Und sehen die Fäden fliegen/die die alte Spinne spann. Und das im ehemals gemüthaften Zug, vor zwanzig Jahren war da noch eine introvertierte Kleinstadt. Unterdessen hat man sich allerdings, wie alt Bundesrat Hans Hürlimann einmal schrieb, «mehr und mehr von Scholle und Sippe entfernt», so schnell wie eine BloodhoundRakete von ihrer Lafette startet. Die Stadt hat abgehoben.

      Scholle und Sippe? Das tönt nach alter Zuger Tradition, ein bisschen nach Blut und Boden, katholisch-konservativ, Philipp Etter hat so gesprochen, der militante Anhänger von ständestaatlichen Ideen, der dauerhafteste, langjährigste Bundesrat der Schweizer Geschichte, der berühmteste Zuger vor Hürlimann. Abrupter Übergang in dieser Stadt: von der Schollenhaftigkeit zum Internationalismus. In der Person von Hans Hürlimann streiten diese Gegensätze miteinander. Einerseits die alte Theorie der Bodenständigkeit, in patriotischen Reden zuweilen durchschimmernd, anderseits die Praxis des Phibro-Verwaltungsrats und Marc-Rich-Beraters.

      Manchmal wird der Stadt der Boden unter den Füssen weggezogen, und ein Teil verschwindet, weil sie auf schlechten Grund gebaut ist. Am 4. März 1435 zum Beispiel versank die niedere Gasse der heutigen Zuger Altstadt ohne viel Aufhebens im See, mit 26 Häusern und 60 Menschen, eine Inschrift am alten Zollhaus erinnert daran: «MCCCCXXXV gieng Zug under und ertrank Schriber Wikart.» Ein Sohn des Wikart wurde in der Wiege auf den See hinausgespült und blieb am Leben, ein Nachkomme ist heute Kommandant der Freiwilligen Feuerwehr Zug. Der Luzerner Chronist Renwart Cysat hat den Zuger Seesturz so beschrieben: «Es war ein vast kalter Winter und der See überfroren gewesen, jetzt aber der Frühlings Zyt nach der Wärme im Wasser und in der Erde erzeigt, also dass es die Grundveste in dem understen Theil der allten Stadt gegen den See erweicht und erhüllst oder underfresse.»

      Am 5. Juli 1887 versinkt schon wieder ein Teil der Vorstadt im See, 600 Bewohner verlieren ihr Obdach, 18 Menschenleben sind zu beklagen. «Als der Rektor der Kantonsschule gegen 19 Uhr die Unglücksstelle zum zweitenmal besichtigen will, wird er plötzlich durch ein Donnern, Krachen und Rasseln erschreckt. Die Wachtposten der Feuerwehr rufen von ihren Beobachtungsposten: «Zurück, fliehet!» Eine dichte Staubwolke breitet sich über der Vorstadt aus und eine Gruppe von Feuerwehrleuten und Schülern stürzt ihm entgegen, dem Postplatz zu. Dieser bietet ihm ein Bild der Verzweiflung. Hunderte rennen jammernd und weinend durcheinander. Kinder suchen ihre Eltern, Frauen ihre Männer.» (H.A. Keiser, dem Andenken einer schweren Zeit)

      Die Katastrophe war nicht ganz überraschend gekommen, beim Fortschreiten der Quaiarbeiten hatten sich Risse und Senkungen gezeigt, ein Gutachten erklärte die Vorstadt als gefährdet und schlug ein neues Verfahren vor. Die Zuger Regierung wollte jedoch die Gefahr nicht sehen und den ursprünglichen Pfählungsplan am Quai nicht aufgeben, und so wurde dann weiter gepfählt und gebaut; und dann passierte es.

      Bei dieser Gelegenheit hatte die Freiwillige Feuerwehr Zug (FFZ) ihren ersten bedeutenden Einsatz, von dem sich alle Feuerwehrleute befriedigt erklärten. Sie sperrte mit grossem Geschick die Unglücksstelle ab. Diese Feuerwehr, unter der Leitung ihres Kommandanten Wikart und des Präsidenten Meienberg (Markus), ist nach wie vor der bedeutendste Verein der Stadt, Schmelztiegel der gewerblichen Interessen, auch Sprungbrett für eine politische Karriere. War nicht ihr ehemaliger Präsident Hagenbuch, Wirt des gleichnamigen Restaurants, Feuerwehrpräsident, bevor er Stadtpräsident wurde? Mit der Feuerwehr als Hausmacht ist er gegen Hegglin, den viel reicheren «Ochsen»-Wirt, angetreten, der mehr Geld hatte, aber weniger Popularität.

      Bei der jährlichen Feuerwehrgeneralversammlung brechen jeweils die unterdrückten Gefühle hervor, das Schweigen, die Zuger Spezialität, darf gebrochen werden, höhnische Schnitzelbänke werden vorgelesen, Zoten produziert, eine geschlossene Männergesellschaft implodiert. Den Frauen könne man diese Grobheiten nicht zumuten, sagt Meienberg (Markus), darum werden sie bei dieser Gelegenheit ausgeschlossen.

      Hagenbuch übrigens, der ehemalige Feuerwehr-, dann Stadtpräsident, ist seinerzeit nach einer bewegten Stadtratsitzung vier Treppen hinunter im Stadthaus zu Tode gestürzt, manche sagen: aus Verzweiflung, weil er sich gegen den mächtigsten Konkurrenten Hegglin, der den Stadtrat beherrschte, nicht habe durchsetzen können und weil seine ehrliche, gerade Art zwar beim Volk guten Anklang fand, von den zugerischen Grosskopfeten aber verspottet worden sei. Nachher ist dann Hegglin Stadtpräsident

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