Im eigenen Land. Niklaus Meienberg
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Schön, ein älterer Herr, bewältigt mit sieben Revisoren sämtliche juristischen Personen des Kantons, nämlich 9000. Wenn man die Briefkastenfirmen abzieht, bleiben noch etwa 3000 übrig, darunter solche Brocken wie Phibro und Marc Rich. Eine ganze Phalanx von internationalen Rabulisten, von gewieften amerikanischen, deutschen, schwedischen Steuerexperten und Juristen, steht der etwas biederen und überforderten Zuger Steuerverwaltung gegenüber.
Wie funktioniert das? Schön sagt: Wir müssen Vertrauen haben in die Gesellschaften. Vertrauen ist eben die Basis, bis zum Beweis des Gegenteils. Natürlich kann man nicht alles prüfen, Stichproben müssen genügen, und stellen Sie sich den Beamtenapparat vor, den wir aufbieten müssten, um wirklich alle Bilanzen durchforsten zu können! Der würde die zusätzlich hereinkommenden Steuern gleich wieder verschlingen. Also bleibt es besser so, wie es ist. Haben wir denn nicht schon genügend Steueraufkommen? Was wollen wir noch mehr? Vertrauen ist alles. Die Liebfrauenkirche ist dank dieser ausländischen juristischen Personen renoviert, eine Tiefgarage mit zehn Etagen gegraben worden, das Casino erweitert und renoviert, die Burg renoviert, bald gibt es eine neue Bibliothek, die Kantonsschule ist gebaut, die Stipendien erhöht, das Kunsthaus ist renoviert, für die Literaturförderung wird etwas gemacht – was wollen wir noch mehr? Mehr können wir eigentlich gar nicht wollen.
Dr. Rudolf Mosimann will auch nicht mehr, als er bereits schon hat. Er gehört zu den Schweigsamen, das heisst, er redet, aber sagt nichts. Dieser aufstrebende Jurist, in glücklicher Bürogemeinschaft mit seinem Schwiegervater und Dichter-Juristen Stadlin lebend, – ist Verwaltungsrat der Marc Rich und war bis vor kurzem Staatsanwalt des Kantons Zug, wurde dann vom Regierungsrat in seinem Amt suspendiert bis auf weiteres, damit es, falls gegen diese Firma hätte ermittelt werden müssen, zu keinen Interessenkollisionen käme. Sein Schwiegervater ist Präsident der Justizprüfungskommission, welche das korrekte Funktionieren der Justiz überwachen soll. – Eigentlich hätte Mosimann ja auch als Marc-Rich-Verwaltungsrat zurücktreten können, um das immerhin viel würdigere Amt des Staatsanwalts zu behalten; aber anderseits ist die Marc Rich und Co. soviel gewaltiger, rein von ihrem Umsatz her (15 Milliarden Dollar), als der Kanton Zug mit seinem Jahresbudget von 166 Millionen Franken (Aufwand), dass man einem gesund empfindenden Zuger Juristen nicht vorwerfen kann, am richtigen Ort demissioniert zu haben. Und überhaupt: Was ist gegen die Marc Rich und Co. einzuwenden? Wir sind doch alle gegen das Lädelisterben, sagt Mosimann. Zwischenhandel ist nötig, im Rohstoffsektor genau wie bei den Lebensmitteln, und wir wollen doch die Kleinen nicht ausrotten!
So tönt es in diesem Städtchen, und allen ist wohl dabei, und vielleicht versinkt wieder einmal ein Teil.
PS I: Nachdem die Reportage im Juni 1984 in der Zeitschrift BILANZ erschienen ist, erscheint bald darauf die polizeiliche Ausschreibung im SCHWEIZERISCHEN POLIZEIANZEIGER, und nachdem sich der Autor dem militärischen Untersuchungsrichter des Divisionsgericht 11 gestellt hatte, wurden er und der Fotograf Roland Gretler je zweieinhalb Stunden getrennt verhört, und zwar punkto «verbotener Veröffentlichung über eine militärische Anlage». Gemeint sind die weithin sichtbaren Bloodhound-Raketenanlagen oberhalb Menzingens, die Tausende von Spaziergängern schon betrachtet haben und die auch vom Swissair-Kursflugzeug aus, Linie Zürich–Rom, bequem eingesehen werden können. Das Verhör wurde von den Untersuchungsorganen, welche im militärischen Ornat erschienen waren, mit aller gebotenen Ernsthaftigkeit geführt – war landesverräterische Absicht im Spiel? Wollten die Delinquenten dem Lande und seinen Streitkräften bewusst schaden? Wie nahe sind sie an die Objekte herangekommen? Waren sie, angestiftet vom Chefredaktor der Zeitschrift BILANZ? Haben sie aus eigenem Ermessen gehandelt? Sind sie einschlägig vorbestraft?
Während die beiden anfänglich noch glaubten, das Militär wolle sich einen Jux machen, und munter der Vorladung folgten, wurde es ihnen während der Befragung geschmuech. Die juristische Stimmung war ernst, fast wie im Krieg. Der Untersuchungsrichter zeigte nicht das kleinste ironische Augenzwinkern und versuchte hartnäckig, die Delinquenten in Widersprüche zu verwickeln und sie zu leimen und ihnen ihre schwerwiegende Handlungsweise so vor Augen zu führen, dass sie nach zweieinhalbstündigem Abgekochtwerden fast zerknirscht waren. Sie hatten geglaubt, gegen solches Abkochen immun zu sein, aber so simpel ist das nicht, wenn man den Uniformen – Untersuchungsrichter und Protokollant – allein gegenübersitzt und die Argumente an den feldgrauen Männern abprallen. Die versuchten uns, zuerst mich von halb neun bis elf, dann von elf bis zwei Uhr meinen Freund Gretler, mit pädagogischen Methoden zur Einsicht in die Verwerflichkeit unserer Tat und zu einem entsprechenden Geständnis zu bringen, und nach einem Hinweis auf die Arreststrafe oder die Busse, mit der dieses «mittelschwere Vergehen», wie der U-Richter sagte, aller Wahrscheinlichkeit nach bestraft werden müsse, war der letzte Rest an guter Laune verflogen. Wäre jetzt wirklicher Krieg – wir würden in Handschellen vorgeführt. Man kann mit den Feldgrauen nicht argumentieren. Die Frage ist nicht: Sind die Bloodhound-Stellungen längst der Öffentlichkeit bekannt, sondern: Hat die Armee beschlossen, dass sie nicht bekannt sein dürfen? Die Welt als Wille und Vorstellung (noch ein Beitrag zur Realismusdebatte).
Nach dem Verhör hört man lange nichts mehr von der Armee. Die lassen uns schmoren. Oder haben sie es vergessen? Aber nicht doch. Fast ein Jahr später kommt der Einschreibebrief, auf dem Umschlag ein Prägedruck DER GENERALSTABSCHEF. Also nicht militärische Justiz gibt Bescheid, sondern die militärische Exekutive; juristisch hochinteressant. Jörg Zumstein schreibt: «Im vorliegenden Fall steht gemäss Artikel 195 Absatz 2 MStG die Disziplinarstrafgewalt dem Eidgenössischen Militärdepartement zu. Dieses hat gestützt auf Artikel 94 Absatz 1 Satz 2 MStV mit Verfügung vom 10. Oktober 1984 die Disziplinarstrafgewalt dem Generalstabschef übertragen.» Der Generalstabschef hat Gewalt über Zivilisten, und der Gnädige Herr kann entscheiden, wie er will, nach seinem Gewissen und Geschmack (Zumstein betätigt sich nach Feierabend als Sektenprediger auf ländlichen Kanzeln). Nach ihm kommt nur noch Gott, eine irdische Appelationsinstanz gibt es nicht.
Und er war gnädig, der Gnädige Herr. Er liess Gnade vor Recht ergehen. Obwohl die Delinquenten «es in pflichtwidriger Unvorsichtigkeit unterlassen haben, sich vor der Veröffentlichung des Berichtes zu vergewissern, ob darin ein Verstoss gegen die militärischen Geheimhaltungsvorschriften vorliege oder nicht, ist Ihnen zu glauben, dass Sie nicht mit Wissen und Willen gegen das Bundesgesetz vom 23. Juni 1950 über den Schutz militärischer Anlagen verstossen wollten». Von einem Gesetz, das weithin sichtbares und veraltetes militärisches Spielzeug zum Geheimnis erklärt, konnten wir allerdings nichts wissen, also konnten wir auch keine «pflichtwidrige Unvorsichtigkeit» begehen. Aber immerhin, «Trotz Antrags des Untersuchungsrichters verzichte ich als Inhaber der Disziplinarstrafgewalt nach Würdigung aller Umstände und in Anwendung von Artikel 181a Absatz 3 MStG auf die Ausfällung einer Disziplinarstrafe in der vorliegenden Angelegenheit, und zwar aus folgenden Erwägungen:
1. Ich nehme an, dass Ihnen die militärgerichtliche Untersuchung die Bedeutung des Bundesgesetzes vom 23. Juni 1950 über den Schutz militärischer Anlagen bewusst werden liess» (zu Befehl, sie hat lassen).
2. «Ich gehe davon aus, dass es keinen Wiederholungsfall geben wird.» (Mei-mei!)
Damit betrachte er diese Angelegenheit, schreibt Generalstabschef Korpskommandant Zumstein, «als erledigt».
Mich beschäftigt sie weiterhin.
PS II: Im Mai 1985 gelangt eine Gruppe von Literaturkritikern an den Limmat Verlag und an mich. Sie soll im Auftrag der «Literarischen Gesellschaft Zug», und, subventioniert vom gleichnamigen Kanton, eine «Zuger Anthologie» mit Texten von Autoren herausgeben, die in Zug leben bzw. lebten oder sonst auf eine Weise mit Stadt