Im eigenen Land. Niklaus Meienberg
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Werbung für die Feuerwehr, Begleittext zu Fotos von allerhand Feuersbrünsten, die in vier Glaskästchen am Polizeigebäude von Zug angebracht sind. «Junge Manner, die Kameradschaft suchen, über Courrage und Mut verfügen und die bereit sind, sich im Dienste der Allgemeinheit zu engagieren, sind bei uns immer willkommen als zukünftige Feuerwehrkameraden.» Viermal der gleiche Text mit «Courrage und Mut» zu immer andern Bildern. Die Kästchen sind ausserdem mit modernen Feuerwehrutensilien geschmückt. Wenn es bei der Marc Rich und Co. einmal brenne, sagt der Feuerwehrkommandant Wikart, so könne man auf bereits erstellte Einsatzpläne zurückgreifen. Alles vorbereitet! Es müsse eine chemische Brandbekämpfung erfolgen, bei den modernen Baumaterialien. Und es könnte ein Widerspruch entstehen zwischen dem Sicherheitsbedürfnis der Marc Rich und Co. einerseits, schliesslich sei dort alles dreifach gesichert und abgeschlossen und elektronisch verriegelt, und dem Wunsch nach allgemeiner Zugänglichkeit sämtlicher Gebäudeteile, anderseits, den die Feuerwehr äussern müsse. Sprungtücher besitzt die Freiwillige Feuerwehr Zug nicht mehr, und ihre längste Leiter ist um ein weniges zu kurz für die oberste Etage des Rich-Glashauses, aber dafür besitzt sie eine in Sekundenschnelle aufblasbare, riesige pneumatische Sprungmatratze. Wenn also ein schwarzer Freitag kommt, wie damals in New York, und die führenden Männer dieser Firma den Wunsch äussern, nach dem wirtschaftlichen Zusammenbruch aus dem Fenster zu springen (– aber lässt sich dort überhaupt ein Fenster öffnen? Vollklimatisiert!), dann steht die Freiwillige Feuerwehr Zug mit ihrer pneumatischen Matratze bereit.
Mit Courrage und Mut springt es sich leichter.
Bei der Phibro ag ist man auch sehr schweigesüchtig. Ein Herr Haecky oder Haecksly – er sagt seinen Namen am Telefon so undeutlich – will mir erst nach 48stündiger Bedenkfrist mitteilen, ob er mir etwas mitteilen könne beziehungsweise ein Interview prinzipiell möglich sei. Nach 48 Stunden sagt er, es sei prinzipiell nicht möglich. Aber Rolf Wespe vom «Tages-Anzeiger» wurde doch auch einmal bei der Phibro empfangen? Eben deshalb! Wespe habe alles verdreht, das heisst, gar nicht günstig über die Phibro geschrieben, darum sei er der letzte gewesen.
Aber Wespe hat nur wiedergegeben, was er bei der Phibro sah und hörte; und das ist vielleicht nicht günstig für die Firma.
Vielleicht weiss C. etwas, der hat drei Wochen als Archivar für die Phibro gearbeitet, bevor er entlassen wurde. Jemand von der kantonalen Verwaltung habe der Phibro, die über alle Angestellten beim Arbeitsamt genaue Erkundigungen einziehe, mitgeteilt, dass C. ein «politischer Aktivist» sei, darum die schnelle Entlassung. Dass er polizeilich registriert ist, wurde ihm bewusst, als er bei einer Freundin zu Hause, deren Vater Polizist war, Fotos entdeckte, die ihn an einer Demo zeigten; der raffinierte Polizist hatte sie ganz geheim durch ein Knopfloch aufgenommen, aber offen zu Hause liegenlassen; dort findet sie dann der Freund der Tochter, als der Vater-Polizist abwesend ist (so klein ist Zug immer noch, trotz aller Expansion).
Man kennt sich und ertappt sich gegenseitig, 20'000 gemütliche auf Beobachtung spezialisierte Einwohner. Bei der Phibro habe im Archiv eine sagenhafte Unordnung geherrscht, es sei ihm ein Rätsel, wie die Steuerbehörden sich auf Grund dieser unordentlich abgelegten Papiere ein genaues Bild von der Finanzkraft der Phibro machen könnten (jährlicher Umsatz: etwa 25 Milliarden Dollar). Die Phibro habe damals mit Kupfer, Zinn, Molybden, Ferrochrom, Ammonium, Klinker, Rhenium und so weiter – aber auch mit Weizen gehandelt, und er habe Dokumente gesehen, wonach die Firma zu einer Zeit, als die Sowjetunion den chilenischen Kupfer offiziell boykottierte, als Zwischenhändler eingesprungen sei, damit die Sowjetunion das Gesicht wahren und doch Kupfer erwerben konnte.
Das Kupfergeschäft sei dann später der Phibro verlorengegangen und an die Marc Rich gefallen, der rasante Eddie E. aus Menzingen habe das an sich gerissen, der schnelle Aufsteiger. Die Beziehungen zwischen Phibro und Marc Rich seien aufs äusserste gespannt, jeder Phibro-Mitarbeiter müsse eine Erklärung unterschreiben, wonach er mit den Marc-Rich-Leuten weder privat noch geschäftlich verkehre. Romeo und Julia in Zug: Sie arbeitet bei der Phibro, er bei Marc Rich … Das Personal sei einer ständigen Kontrolle unterworfen.
Im September 1983 habe ein Betriebsausflug stattgefunden, mit Autocars. Man sei nach Zürich gefahren in den Zoo, weil die Firma dort einen Kragenbären patroniere. Vor dem Kragenbärengehege seien Telegramme rezitiert worden aus Luzern und New York, und man habe dem Kragenbären viele Lebkuchen mitgebracht, und alle seien aufgekratzt gewesen und sich menschlich nähergekommen, auch den amerikanischen Vorgesetzten, mit denen man durchaus fraternisiert habe, im Zoo. Man sei sich weniger kontrolliert vorgekommen als sonst. Später habe es dann Kalbsrücken gegeben in einem anständigen Restaurant, und Harold Dixon habe noch eine musikalische Auflockerung beigetragen (Blues). Etwa zwanzig von den Chefen hätten koscher gegessen.
C. übergibt mir ein «Handbuch für Phibro-Mitarbeiter», welches ihm damals ausgehändigt worden ist. Unter «Blumen und Pflanzen» heisst es dort: «Geschäftlich. Bei den meisten von der Firma zur Verfügung gestellten Pflanzen handelt es sich um empfindliche Hydrokulturen, die eine ganz bestimmte Nahrungsflüssigkeit benötigen. Überlassen Sie deshalb die Pflege der eigens dafür engagierten Spezialfirma. Sonst kann es leicht geschehen, dass die Pflanzen durch ein Zuviel an Pflege Schaden nehmen. Neubestellungen von Hydrokulturen sind der Personal-Adm.-Abteilung zu melden. Die Schnittblumen für die diversen Büros werden jeweils am Montag oder Dienstag geliefert und können beim Empfang abgeholt werden.»
Das Zuger Gewerbe profitiert von den Steuerflüchtlingen, kein Zweifel, und ihm ist wohl dabei. Ob die Phibro mit der Gärtnerei Landtwing ein Spezial-Blumenlieferungs-Abkommen hat oder Marc Rich beim Elektriker Stadler eine Flutlichtalarmanlage bestellt für sein Heim in Baar oder ob der Sohn des Kantonsschulabwarts den Auftrag für das bläulich schimmernde Gebäude erhält – immer profitiert das Gewerbe. Marc Rich – nicht die juristische, die natürliche Person – befürchtet, Tochter und/oder Frau könnten entführt werden, eventuell auch er selbst. Deshalb die Flutlichtalarmanlage. Die funktioniert so, dass Ultraviolett-Sensoren das Gelände rings um sein Haus abtasten, welches sich in der Gegend namens «Himmelrich» in Baar befindet, und die kleinste Bewegung im Bereich der Sensoren bewirkt das jähe Aufblitzen grellsten Lichtes, das jeden Einbrecher, Entführer oder andere lichtscheue Panduren augenblicklich in die Flucht schlüge oder auf der Stelle festnagelte.
Marc Rich fällt nicht auf in seiner Nachbarschaft, auch der Chauffeur nicht, welcher die Tochter in die amerikanische Schule bringt und der zugleich ihr Leibwächter ist. Nur einmal wurden die Nachbarn inkommodiert, als nämlich die Flutlichtalarmanlage eine Nacht lang Probealarm veranstaltete kurz nach ihrer Installation, Licht an, Licht aus, Licht an, ihre Zuverlässigkeit musste überprüft werden, und niemand konnte schlafen ringsum. Zur Wiedergutmachung lud Rich die Nachbarn und einen weiteren Freundeskreis, unter anderem auch den Landammann und Finanzdirektor Georg Stucky, in sein Haus und liess von Margrit Aklin, der bekannten Wirtin, servieren, was nach übereinstimmender Meinung der Gäste nicht gerade üppig gewesen sein soll. Aber die Ehre, das Haus des berühmten Mannes betreten zu haben, entschädigte die Gäste für den einfachen Imbiss.
Marc Rich hat sich sanft eingefügt in die zugerische Umwelt, bald gehört er zu Sippe und Scholle. Er macht alles diskret, spendet ein paar tausend für einen guten Zweck, ohne seinen Namen in die Öffentlichkeit zu bringen, oder kontrolliert durch Mittelsmänner eine kulturelle Stiftung. Die Leute, denen er geholfen hat, zeigen sich bei passender Gelegenheit erkenntlich, eine Hand wäscht die andere, aber niemand weiss, weshalb. Nur keine falsche Bewegung! Immer ganz diskret! Im Restaurant «Glashof», das seiner Firma gehört, kann man koschere Speisen bestellen, aber sie figurieren nicht auf der Speisekarte – das könnte auffallen. Kein offener Prunk, keine fremden Gewohnheiten, keine Abweichungen. Er ist berühmt und muss seine Berühmtheit kaschieren, er hat amerikanische Gewohnheiten und muss sich aufführen wie ein Zuger, er ist Jude und möchte es nicht zeigen.
Auch