(Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti. Группа авторов

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(Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti - Группа авторов Orbis Romanicus

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ermöglichen. Seine Literatur sträubt sich gegen eine allzu fokussiert monographische Perspektive, wie sie sich wehrt gegen eine allzu ausschließliche, gar hagiographische Vereinnahmung durch den Leser. Über die Eitelkeiten des Literaturbetriebs hatte Juan Carlos Onetti lakonisch gespottet und sich in einer paratextuellen Auslegung des eigenen Werkes zurückgehalten.

      Die bevorzugte Form des Autors aus Montevideo ist, seit seinen frühen Publikationen in den 30er Jahren des 20. Jahrhunderts, der cuento. Neben wenigen längeren Erzählungen bleibt La vida breve sein einziger ausführlicher Roman, nach dessen Experiment er – 1950 erschienen – zu der kurzen Form und Verdichtung in novelas cortas zurückkehrt und bei ihr bleiben wird. In der heute möglichen Betrachtung des Gesamtwerks ist es von Vorteil, diese Absage an eine konstant sich erweiternd ausufernde Werkgeschichte nicht außer Acht zu lassen, um nicht zu vernachlässigen, dass es monolithische Einzelstücke sind, die dem Leser vorgelegt wurden, und dass Juan Carlos Onetti die Spiel- und Gattungs-Räume der Literatur des 20. Jahrhunderts und der ästhetischen Moderne zwar kannte, sie jedoch auf eine nur implizit poetisierende Weise nutzte. Kaum ist es eine expandierende Entwicklung, die sich in seiner écriture über die Jahrzehnte seiner Autorschaft zeigen würde, als vielmehr eine ansteigende Verschachtelung von Komplexitäten, rhetorischen Mitteln, literarhistorischen Intertextualitäten oder symbolischen Semantiken in wohl proportionierten und übersichtlichen, hermetischen Prosa-Teilen, die den Leser zunehmend verwirrt zurücklassen mögen.

      Offen bleiben soll an dieser Stelle eine Spekulation über die zu erwägende Begründung der sichtbaren Bevorzugung der verdichteten literarischen Verkürzung, ob diese stilistisch oder biographisch motiviert war, oder ob sie sich den narrativen Stoffen, die erzählt werden wollten, zunehmend angemessen zeigte, und der Autor daher keinen Anlass sah, Alternativen zur kurzen Form zu wählen. Auch in ihren differenzierten Zusammenstellungen in nachträglichen, jeweils neu die Erzähltexte sortierenden und selektierenden Editionen bleiben die cuentos und Prosa-Stücke aus fünf Jahrzehnten, die Juan Carlos Onetti hinterlassen hat, narrativ isoliert lesbar und unverbunden. Eine Kontinuität in der mutwilligen Unübersichtlichkeit durch die Zerstreuung und Verweigerung der Totalität eines Gesamtwerkes garantieren für den zeitgenössischen wie für den heutigen Leser wiederkehrende Figuren1 wie Díaz Grey, Jorge Malabia oder Brausen. Mit jedem weiteren cuento werden die Protagonisten als bekannt vorausgesetzt und machen den Leser zum Vertrauten des Autors und zum Komplizen im Geiste, der die Verbindungen einer offenen fiktionalen Welt selbständig herstellen muss. Darüber hinaus stiftet, noch mehr als es die Figuren vermögen, die Gegend der Schauplätze eine Lese-Erinnerung und ein Wiedererkennen, zumindest das eines Namens: Santa María.

      I.

      Das fiktive Santa María bildet einen eigenen Kosmos innerhalb von engen Grenzmauern im ɶuvre von Onetti, es ist als Schauplatz auf die frühen wie auf die späten cuentos, auf die Kurzromane und auf La vida breve verteilt und führt durch den Eigennamen unmittelbar zurück in die Gründungszeit des spanischen, katholischen Ur-Kolonialreichs, die sich an die Entdeckungsfahrten des späten 15. Jahrhunderts anschloss. Sind in den ersten cuentos noch Orte und Städte wie Buenos Aires oder Montevideo explizit genannt und identifizierbar wie in "Avenida de Mayo-Diagonal-Avenida de Mayo", einem cuento aus dem Jahr 1933, so wird sich der Leser alsbald hauptsächlich in Santa María wieder finden, einem fiktiven Ort, an dem sich vorwiegend weibliche Geisterwesen1, zwielichtige Geschäftsmänner, geflüchtete Nationalsozialsozialisten, Künstler, Therapeuten verschiedener Glaubensrichtung und aus der Literaturgeschichte wieder auferstandene Gestalten treffen. Santa María wird in der Mehrzahl der Onetti'schen cuentos als ein Ort konstruiert, der bald den Hintergrund und Schauplatz der Handlung bildet – La muerte y la niña2 –, bald einen entlegenen Sehnsuchtsort darstellt – "Matías el telegrafista" (1970) – und deren Schöpfungsgeschichte in La vida breve beginnt. Diese unmerklich wankende Unbestimmtheit des Ortes ist verbunden mit einer Vielzahl auffällig archaischer und historischer Narrative der neuzeitlichen Besiedlung, des religiösen Gehorsams oder des vorkapitalistischen Tauschhandels in den Erzählungen und im Gesamtwerk von Onetti, die der fiktiven Welt seiner Sanmarianer in der Art einer literarischen Memorisierung den Charakter des Abenteuers gibt und damit die neuzeitlichen Entdeckungs- und Eroberungsfahrten des späten 15. Jahrhunderts und des 16. Jahrhunderts in einem Pastiche mitführt. Das Onetti'sche Santa María ist auch der eine allen Schiffsflotten gemeinsame Bauch, in dem eine Bevölkerung von Seefahrern von Spanien in eine neue Welt gezogen war. Santa María erfährt in den cuentos von Onetti die Darstellung seiner Gründung, eine Blütezeit und einen Verfall, bis sie als Reste einer Ruinenstadt verschwindet und als Legende, als Mythos zurückbleibt und darin dasselbe Schicksal erfährt wie die Santa María des Kolumbus.

      Die zunehmend verwirrende, und wenig kohärente Beschreibung von Santa María kann als ein intendiertes Spiel auf der Ebene der Narration verstanden werden, das auf die Fiktionalisierung von Orten selbst zurückgeht. Zwischen den wenigen Randbemerkungen und reinen Erwähnungen eines Ortsnamens ist Santa María ausführlicher in der Erzählung "La novia robada" (1968) beschrieben, in der es gleichzeitig den Stillstand ("En Santa María nada pasaba" NRo, 179), ein Land ("Nombre del país en que nació" ibid., 199) und den Todesort der Protagonistin ("Lugar de defunción" ibid.) markiert. Gegen das in "La novia robada" düstere Ortsklima, in das der Leser miteingeschlossen wird, ist Santa María in "Matías el telegrafista" der Heimathafen und Wohnsitz des Protagonisten und Funkers, den seine Arbeit über das Meer nach Hamburg führt und ihn in St. Pauli festhält. Santa María stellt sich an dieser Stelle im Werk von Onetti nun völlig verwandelt dar und repräsentiert in "Matías el telegrafista" den unerreichbaren anderen Ort, anstatt eines unüberwindbar eingegrenzten Dorfschicksals. In La vida breve wird die fiktive Stadtgeschichte von Santa María von ihrer Gründung und ihrem Aufbau her erzählt und beginnt sich darzustellen als "ciudad de provincia sobre cuya plaza principal daban las dos ventanas del consultorio de Díaz Grey" (VB I, cap. II, 432). 1956, in "Historia del caballero de la rosa y de la virgen encinta que vino de Liliput", wurde Santa María von den Protagonisten verlassen, sie leben als Vertriebene, "en Las Casuarinas, desterrados de Santa María y del mundo." (HCa, cap. VI, 147) In "Justo el treintaiuno", 1964 erschienen, imaginiert der Protagonist3, wie Frieda von "su infancia y su adolescencia en Santa María, la historia de su expulsión, las caprichosas, variables evocaciones del paraíso perdido" erzählt (JTr, 174). Eine konsistente Perspektive auf die Onetti'sche Stadt ist nicht möglich und wird durch jedes weitere cuento verstellt.

      Dabei gehen der Autor und die Erzähler in ihren Verfahrensweisen mit der Stadt ebenso vor wie mit ihren Figuren und wenden eine Technik disseminierender Verundeutlichung und Dekomposition an, indem konkrete Merkmale bald ausgelassen, bald Details antagonistisch gegenübergestellt werden. Auch damit ist der Leser vertraut, dass nämlich ausführliche Beschreibungen von Figuren als Personen ausgelassen werden, dass keine inneren Entwicklungen von Charakteren geschildert werden und, im Falle von Santa María, auch keine raum- oder stadtsoziologisch dingfeste Beschreibung einer Architektur, einer soziographischen Statistik der Bevölkerung oder einer klimatischen Atmosphäre festzuhalten sind. So ist auch Santa María zunächst ein fiktiver und aufgrund dessen ein ungenau auserzählter Ort, dessen Beschaffenheit, wenn überhaupt, im komparatistischen Vergleich fiktionalisierter Schauplätze zu anschaulichen Ergebnissen führt.4

      II.

      Der fiktive Onetti'sche Ort Santa María ist, monographisch gelesen, von einer widersprüchlichen, ungereimten geographischen, klimatischen und topographischen Lage. Im Verlauf des Werkes wird er als Kleinstadt beschrieben und erkennbar, dann aber auch als Metropole, bald ist Santa María eine Stadt an einem Strand oder liegt schließlich wieder im Binnenland. In La vida breve ist Santa María am Fluss gelegen, "[e]l médico vive en Santa María, junto al río." (VB I, cap. II, 429, eig. Hervorh)1. In "La novia robada" ist Santa María die enge Heimat der Protagonistin Moncha, Dorf und Kirche in einem, in die sich "La Moncha Insurralde o Insaurralde" (NRo, 181) einsperrt.2 Santa María stellt hier eine Rekonstruktion des Bücherzimmers von Don Quijote dar, in dem er eine kleine Bibliothek des Siglo de Oro sammelt. Nach seinem ersten Ausritt

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