(Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti. Группа авторов

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(Des)escribir la Modernidad - Die Moderne (z)erschreiben: Neue Blicke auf Juan Carlos Onetti - Группа авторов Orbis Romanicus

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Onettis Gesamtwerk eine durchaus heterogene Editionsgeschichte aufweist, haben wir uns für eine einheitliche Zitierweise entschieden. Diese folgt einerseits der spanischen Gesamtausgabe, die in drei Bänden bei Galaxia Gutenberg erschienen ist und – insofern auf deutsch zitiert wurde – der deutschen, fünfbändigen Gesamtausgabe, die von Jürgen Dormagen und Gerhard Poppenberg ediert und im Suhrkamp Verlag veröffentlicht wurde. Die Vereinheitlichung der Zitierweise macht sich zum einen die editorische Kohärenz der Gesamtausgabe zu Nutzen. Zum anderen soll durch die zusätzliche Nennung einzelner Teile und Kapitel auch eine Nachvollziehbarkeit in älteren Editionen gewährleistet werden. Das Siglenverzeichnis ist am Ende dieses Bandes zu finden.

      Unser besonderer Dank gilt Michael Rössner als Mitveranstalter des Symposiums.

      Die HerausgeberIn

      Johanna Vocht

      David Klein

      Gerhard Poppenberg

      Santa María und ein gewisser 'Fictiozentrismus'

      Victor Andrés Ferretti (Augsburg)

      [E]t l'homme sera d'abord ce qu'il aura projeté d'être.

      Non pas ce qu'il voudra être.

       J-P. Sartre, "L'Existentialisme est un humanisme"

      I.

      In einer der prominentesten Ekphrasen der Literaturgeschichte, der homerischen Beschreibung des kunstvollen Achilles-Schildes (Il. 18, 468-608), flöten zwei unbedarfte Hirten ihre Herden mitten hinein in einen epischen Kontext – mit zu erwartendem Ausgang (vv. 520-529), denn was weiden Viehhüter auch auf einem Schlachtfeld? Später wird dann ein (Boten-)Hirte in der 'euripideischen' Rhesos-Tragödie (vv. 264-341) von Hektor darauf aufmerksam gemacht werden, gerade fehl am kriegerischen Platze zu sein – allein, dieses Mal ist es der überhebliche Heros, der den Zusammenhang eingangs verkennt.1 Gleichwohl, in beiden Fällen, Epos und Tragödie, mischt sich humiles Personal (Hirten) in eine sublime Textur (Epos / Tragödie) (hin)ein;2 und in beiden Fällen wird diese generische 'Transgression' explizit gemacht – mal ekphrastisch, mal szenisch vermittelt.

      Wenn nun im 3. Jahrhundert vor Christus der Ahn der Hirten-Dichtung Theokrit in seinen Idyllen Hirten hexametrisch 'losflöten' lässt (eid. I etc.), wird ein traditionell episches Versmaß 'bukolisiert', was dann Vergil in seinen Bucolica nicht minder kunstgerecht weitertreiben wird, wie gerade die recusatio aus der sechsten Ekloge (vv. 1-12) bestätigt. Ohne hier auf diese bis in die Frühe Neuzeit bedeutsame Kontrastierung von epischer Gewalt und hirtlicher Stärke eingehen zu können,3 soll es hinreichen, mit den zwei 'klassischen' hirtlich-heroischen (Achilles-Schild / Hektor) Aufeinandertreffen auf ein poietisches Kontrastpotential hingewiesen zu haben, das man auch im Sinne metafiktionaler Diskrepanz begreifen könnte.

      Ebendiese, so wird hier am Beispiel einer Erzählung Juan Carlos Onettis zu zeigen sein, wahrt bis in unsere Zeit ihre reflexive dýnamis, was wiederum viel mit einer bereits aristotelisch (poet. 9, bes. 1451a36-1451b33) konzedierten poietischen Kontingenz (d.h. Auch-anders-Möglichkeit) zu tun haben könnte, wonach Dichter probables (eikós) bzw. optatives (génoito) Potential (dynatá) von Welt, Geschichtsschreiber hingegen Gewisses (mén) eröffneten. Und spätestens wenn literarische Fiktion, wie zum Beispiel Onettis La vida breve (1950) vollführte, 'fictiologisch' agiert – sprich: ihren eigenen lógos narrativ behandelt, macht sie damit nicht nur ihre eigene Gewirktheit ausdrücklich, sondern auch das ihr eigene Möglichkeitsvermögen samt Potentialis. Zumal, wie Wolfgang Iser bereits eruiert hat,4 es gerade Kennzeichen literarischer Fiktionen ist, dass sie in der Regel ihren Modus des Als-ob selbst anzeigen (im Unterschied etwa zu anderen Fiktionen). Doch was passiert, wenn literarische Figuren gleichsam ihr eigenes Als-ob ausklammern und beginnen, andere literarische Figuren aus ihrer Welt(‑Fiktion) zu vertreiben? Dieser Frage soll nunmehr am konkreten Beispiel Onettis nachgegangen werden.5

      II.

      Wie sich mit Mario Vargas Llosa starkmachen ließe,1 hat Onetti – wie nur wenig andere Autoren der hispanoamerikanischen Moderne – die weltkonstitutive Funktion von Fiktionen und die daran gekoppelte Leistung von Imaginärem zur Signatur seines Œuvre gemacht. Denn was Romane wie die bereits erwähnte La vida breve, aber auch El astillero (1961) gekonnt entfalten, das steht in der Traditionslinie von Miguel de Cervantes' uneingeholtem Don Quijote (1605/15) –2 einem Als-ob-Ritter, der hinauszieht, um seine Um-Welt mit seinem Imaginären zu konfrontieren.3 Onettis Juan María Brausen wiederum, der Begründer der imaginären Stadt Santa María, er wird sich ein Alter Ego namens Arce für sein präpotentes Zuhälter-Rollenspiel zulegen und sich zudem als Díaz Grey in seine selbsterschaffene (Kleinstadt-)Fiktion hineinprojizieren, wobei sich am Ende des zweiteiligen Romans alle drei Ichs zu einem triadischen Brausen-Arce-Díaz Grey–Subjekt zusammenfügen, das in Santa María dann seine autopoietische "felicidad" (VB II, cap. XVII, 717) erlangt.4 Onetti inszeniert so in La vida breve eine mustergültige accouplage von Realem, Fiktivem und Imaginärem im Modus des Als-ob – in einer Zeit, als es noch kein (Social Media-)Internet gibt und folglich Second Life und Virtual Reality offline realisiert werden müssen.5

      Gehört das reflektierte Modellieren von Welt(gestaltigem) seit jeher zum Standardrepertoire literarischer Fiktionen, wie nicht zuletzt U- und Dystopien bezeugen, potenziert Onettis La vida breve metafiktionale Reflexion insofern, als diese durch Santa María gleichsam selbstreferentiell verortet wird. Dabei waren wir Lesenden nicht nur dabei, als diese imaginäre Kleinstadt zum ersten Mal entworfen wurde (La vida breve), nein, wir werden auch in einer Vielzahl von weiteren Onetti-Erzählungen immer wieder damit konfrontiert. Auf diese Onetti'sche Weise tritt Santa María gewissermaßen die moderne Nachfolge des bukolischen Arkadien an – einer metafiktionalen Gegend, die von Vergil über Iacopo Sannazaros Arcadia (1504) dann zum hybriden Literaturraum par excellence werden konnte, in dem Reales und explizit Fiktionales signifikant verklammert werden.6 Diese konstitutive Kopräsenz von Realem und – wohlgemerkt – Meta-Fiktionalem ist es auch, die Santa María kennzeichnet, wie Juan José Saer akzentuiert:

      [L]a Santa María de Onetti coexiste con la dimensión empírica propia al autor y a los personajes; es uno de los puntos del triángulo que la pequeña ciudad de provincia forma con Buenos Aires y Montevideo. Esa coexistencia de las dos instancias es primordial para los objetivos del libro [La vida breve].7

      So macht die Komplexität Santa Marías aus, dass es sich um eine dezidiert imaginäre Stadt handelt, die sowohl auf reale ('Río de la Plata' u.a.) wie fiktionale (Arce u.a.) Referenzen rekurriert, um schlussendlich lebendig, ja, 'lebbar' zu werden (triadisches Ich u.a.). Mit anderen Worten: Es handelt sich um eine imaginäre Stadt im Zeichen des Imaginären, wie vor allem Onettis dort angesiedelte Meister-Erzählung Jacob y el otro (1961) bewiese, wo am Ende das – vom Promoter Orsini befeuerte und vom Erscheinungsbild des verbrauchten Ringers Jacob van Oppen beteuerte – Imaginäre obsiegt. Nur in Santa María, so ließe sich vermuten, kann ein 'traumatisierter Alkoholiker' (JO, cap. 5) es mit einem scheinbar überlegenen 'Recken' (cap. 4) im Ring nicht nur aufnehmen, sondern den ungleichen Agon auch für sich entscheiden. Wobei die Art und Weise charakteristisch ist (cap. 6): Mario, der junge Kraftprotz und damit quasi die Real-Evidenz in Person, er wird gleich in der ersten Runde aus dem Ring des – nach dem antiken Gott der Dichtung benannten Veranstaltungsortes – Apolo geschmissen und muss dann von dem Arzt in Santa María (Díaz Grey?) wieder 'zusammengeflickt' werden. Drastischer könnte man die Dominanz des Imaginären ("El campeón […]." JO, cap. 6, 142) in Santa María wohl nicht anschaulich machen: auf der einen Seite die glorreichen Zeiten des gealterten van Oppen, auf der anderen die scheinbare Überlegenheit des

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