Theater und Ethnologie. Группа авторов

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Theater und Ethnologie - Группа авторов Forum Modernes Theater

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Seite – die anfangs sehr lustige Sprachstunde – von einem im Dunkeln bleibenden privaten Kern. Vielmehr inszeniert die Vorstellung, wie schon gesagt, as it happens to be, den unvermeidlich unbeholfenen Versuch einiger Menschen aus Shanghai in dem unvertrauten Kontext, der die europäische Kultur für sie immerhin bedeutet, zunächst eine Gemeinschaft zu bilden, die als Familie fungieren kann. Dabei handelt es sich um Menschen, die einerseits chinesische Werte und Gewohnheiten aufrechtzuerhalten versuchen, die aber andererseits diese prekäre, alles andere denn homogene Identität auch als identifizierbare Ware verdingen müssen, um überhaupt in diesem fremden Kontext überleben zu können und die Arbeit an der Identität bzw. der mehr oder weniger gemeinsamen Existenz zu ermöglichen. Wir verstehen einiges, vor allem das, was sich im schlichten Wort und Ding-Bereich situiert, und weil wir uns Mühe gegeben haben uns etwas zu merken, sind wir imstande, einiges zu ahnen von dem, was sich auch sprachlich den beschreibenden Sprechakten entzieht (wir vermuten, dass beleidigt, geflucht, geträumt wird); und wir ahnen auch etwas von dem Schmerz und dem Frust der Missverständnisse und der Konflikte, des Unverständnisses zwischen Generationen, zwischen Männern und Frauen, von Lust und Unlust, Verlangen und Angst, alles was zwischen den Zeilen gesagt und nicht ausgesprochen wird – wir brauchen es nicht wirklich zu verstehen, vielleicht irren wir uns auch manchmal. Vielleicht treffen wir ohne unser Wissen ins Schwarze. Fast wie in unserem eigenen, vertrauten Lebenskontext.

      Als Vorstellung, Performance, führt C’est du Chinois Sprache als Spiel der einfachen Kommunikation, der Verständigung und der Repräsentation auf; sie deckt aber auch den diskursiven und performativen Rahmen auf, das Disziplinierungsmodell, durch das Repräsentation und Kommunikation produziert und erlaubt werden und das hier auch ziemlich unumwunden mit einem umfassenden globalen, wirtschaftlichen Zweck verbunden wird. Die Vorstellung lässt spüren, wie dieses oberflächliche referentielle Sprachspiel zwar nicht genügt, um die komplexere Realität dieser Leute und ihre dramatischen Versuche „to invent some sort of identity for themselves“ sowie die daraus resultierenden Konflikte adäquat zu fassen; aber sie gibt die Sprache als unzulängliches Medium auch nicht auf, um ein Verstehen jenseits der Sprache und ohne die mühselige Arbeit des sprachlichen Verstehens zu befürworten. Gerade die Lücken in der Kommunikation, die Risiken des Missverstehens und Nicht-Wissens, die Erfahrung von fremder Sprachlichkeit, deren performatives Potential außerhalb des bloßen Bezeichnens und Benennens man ahnt, ohne es wirklich ganz nachvollziehen zu können – das alles wird so ins Spiel gebracht, dass es gerade zur Möglichkeitsbedingung der Arbeit des Verstehens wird, oder wenigstens: zur Möglichkeitsbedingung des Spiels des Verstehens, der ‚performance‘ selber, Grund von Lust und Unlust, Aufregung und Langeweile für das Publikum, das dadurch noch einmal an die Grenzen des eigenen Willens zum Verstehen erinnert wird.

      Das Theater des unwissenden Lehrmeisters

      Dass Kaldor die Bezeichnung „learning play“ für C’est du Chinois zurückweist und auf dem neutraleren Begriff „theatre performance“ beharrt, bedeutet keineswegs eine Flucht ins Unverbindliche (wie der Ausruf „it’s art!“ des chinesischen Schauspielers suggerieren könnte). Obwohl sie wohl mit Recht ihrem Werk den ausdrücklich politischen und didaktischen Charakter eines ‚Lehrstücks‘ abspricht, hat Kaldor doch eine Dramaturgie entwickelt, die sowohl die (Laien-)Darsteller als auch das Publikum in Situationen einbezieht, die als hermeneutische Experimente und Fallstudien zu betrachten sind. Wie schon oben erwähnt, geht es ihr weniger um objektiven Erkenntnisgewinn, und schon gar nicht um die Vermittlung eines (ihres) Wissens, sondern um die von allen zu teilende Erfahrung, dass Wissen keine Sammlung von Erkenntnissen sei, sondern das Produkt einer bestimmten Konstellation von Positionen, die mit sowohl institutionalisierten als auch völlig historisch-kontingenten Machtverhältnissen und Kontexten zusammenhängen. Ihre Versuche, diese Erfahrung als Künstlerin zu reflektieren bzw. zu teilen und doch wieder für ein praktisches Wissen (oder eine ‚Haltung‘) fruchtbar zu machen, rückt ihre Dramaturgie in die Nähe von Jacques Rancières pädagogisch-philosophischer Allegorie des (historischen) ‚unwissenden Lehrmeisters‘.1 Rancière entfaltet in einem recht komplexen und mehrschichtigen Diskurs die Geschichte des ab 1818 an der Löwener Universität französische Literatur lehrenden Dozenten Jacques Jacotot, der die alte pädagogische Logik der Erklärung von einer anderen, eigentlich erst emanzipatorischen, absetzt.

      Die alte Logik, die er als eine Politik der Verdummung bezeichnet, bestünde, so Jacotot (und Rancière), in einer strukturellen und nicht aufzuhebenden Differenz und Inkongruenz zwischen dem Lehrer als einer institutionell gesetzten, bestätigten Instanz des Wissens und den unwissenden Studierenden; deren Unwissen wird durch einen Abstand vom Wissen des Lehrers getrennt, den sie schon aus strukturellen Gründen nie einholen können, weil der Lehrmeister kraft seiner Position die Grenzziehung zwischen Wissen und Nicht-Wissen, den Abstand also zwischen ihm und den Lernenden, zu bewahren hat, um Letztere immer einen Schritt weitermachen zu lassen, entsprechend einem von ihm, dem Lehrer, festgelegten (oder vermittelten) Verfahren und im Hinblick auf ein von ihm festgelegtes (oder vermitteltes) Ziel. Nicht nur weiß der Lehrmeister grundsätzlich mehr als die Schüler, er weiß auch um deren Nicht-Wissen und lenkt den Prozess, der zu dessen (freilich nicht endender) Aufhebung führen soll. Die von Jacotot durchgeführte Reform versucht diese verdummende und Ungleichheit fortsetzende pädagogische Dramaturgie umzuwerfen, freilich nicht durch das Aufheben oder Tilgen der Differenz zwischen Wissen und Nicht-Wissen, sondern dadurch, dass diese Differenz nicht mehr zwischen Lehrer und Lernenden situiert wird; beide sind Partner in einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit einem Dritten (le tiers), sie sind mit ihrem jeweils eigenen Wissen und Nicht-Wissen beteiligt an einem Prozess der ständigen Beobachtung, des Vergleichens, der Übersetzung, des Weiter- und Anders-Erzählens dieses Dritten. In dieser geteilten Aufmerksamkeit für etwas anderes begegnet man sich. Die Fiktion der Klasse, des Schulraums, kreiert den immerhin geschlossenen Freiraum für diese Aufmerksamkeit. Der unwissende Lehrmeister ist freilich nicht der sprichwörtliche Türöffner, der facilitator der modernen Wissens- und Leistungsgesellschaft, sondern er steht, so Rancière, an der Tür, bewacht sie, damit nichts von der geteilten Aufmerksamkeit für das Dritte ablenke. In dem Sinne behält er (oder sie) auf eine bestimmte Weise eine Überlegenheit, die sich aber nicht länger auf die Ebene des Wissens bezieht, sondern sich auf die des Willens verlagert hat. Rancière hat in einem späteren Aufsatz, „Le spectateur émancipé“, diese Analyse zum Anlass einer Kritik des Theaters und ganz besonders der Beziehung zwischen Publikum und Aufführung gemacht.2 So wie er der Aufklärung eine Fortsetzung der alten verdummenden Pädagogie vorgeworfen hat, so wirft er den großen Theaterreformern des 20. Jahrhunderts, Artaud und Brecht voran, eine ähnliche Verdummung vor. Er sieht – mit Recht oder zu Unrecht – in beiden Programmen den entweder ausgesprochenen oder impliziten Wunsch, das Theater als Spektakel aufzuheben, d.h. das Theatralische oder Mediale des Theaters als Mittel zum Zweck in einen Prozess zu überführen und aufzulösen, um das Theater, das Medium, mit der romantischen, auch von Rousseau vertretenen Idee einer nicht-repräsentierenden, sondern sich unmittelbar als erlebend, denkend und handelnd präsentierenden Gemeinschaft konvergieren zu lassen. Rancière plädiert dafür, die Distanz des Theaters zum Realen und damit auch dessen Autonomie aufrechtzuerhalten und als Form und Bedingung eines fruchtbaren Dissens und eines Austausches zu betrachten. Die Theatervorstellung (performance), so Rancière, sei nicht

      die Übermittlung des Wissens oder des Atems vom Künstler zum Zuschauer. Sie ist jene dritte Sache, die niemandem zugehört, über deren Bedeutung niemand verfügt und, die sich zwischen ihnen hält und jede identische Übertragung, jede Identität von Ursache und Wirkung unterbindet.3

      Die Analogie zwischen Rancières Analyse und den Möglichkeitsbedingungen eines interkulturellen Theaters im Allgemeinen sowie dem Einsatz von Kaldors Werk (und im Besonderen C’est du Chinois) lässt sich unschwer ahnen. Was steht hier auf dem Spiel: eine Annäherung zwischen dem Fremden und dem Eigenen, dem Anderen und dem Selbst? Geht es hier um die Verringerung einer Kluft oder Distanz, die doch nicht restlos zu überbrücken ist? Anstelle dieses verdummenden und frustrierenden Aufschubs einer unerreichbaren, fiktiven Konvergenz von Nicht-Wissen des/vom Anderen zum Wissen sowie von falscher, entstellender Repräsentation zu einer angeblich gelungenen Ko-Präsenz tritt aus Rancières Perspektive

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