Theater und Ethnologie. Группа авторов

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Theater und Ethnologie - Группа авторов Forum Modernes Theater

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hiervon beredtes Zeugnis ab. Jede Gesellschaft hat ihr eigenes Fremdes, das figuriert werden muss.

      Hinter all diesen Masken verbirgt sich gleichsam etwas, das unbekannt ist, das sich nur schlecht qua Logos, in Schrift und Sprache, und ebenso wenig auf anderen bildlichen oder akustischen Trägern äußern kann, schlicht, weil es kein Vokabular oder anderweitige Vorlagen für seine Repräsentation gibt. Peggy Phelan hat den Terminus „unmarkiert“ für derartige Phänomene vorgeschlagen,8 einen Terminus, welcher der Maske in ihrer Auffälligkeit nur vordergründig widerspricht, sondern vielmehr ihre negative, bergende Form und ihre Gebundenheit an eine Aufführung in den Fokus rückt. Das, was unbekannt hinter der Oberfläche ruht, erhält nur über die Maske und ihre Aufführung Kontur.9 Erst darüber kann sich das Unmarkierte und Unbekannte einen Wert verschaffen. Die Masken des Fremden erweisen sich ganz in Phelans Sinne als ein Negativ, welches im Rahmen einer Aufführung entwickelt werden muss.

      Die unterschiedlichen Figurationen des Fremden gehen auf jeweils ältere, und fallweise nicht europäische Kulturen zurück und erweisen sich solchermaßen stets als Migranten in eine jüngere Kultur. Die rund um sie entwickelten Riten eröffnen eine Möglichkeit, das Andere in die Gesellschaft zu integrieren. Die daran teilhabenden Subjekte wechseln – so die These Vernants, die in Bezug auf jüngere Gesellschaften ein wenig zu adaptieren ist – unter festgelegten Voraussetzungen und für eine bestimmte Zeit auf die Seite des Anderen und werden erst nach dieser Fremderfahrung zu vollwertigen Mitgliedern in der Gesellschaft.10 Das Andere erscheint unter diesen Prämissen nicht nur eine genuin ästhetische, sondern vor allem eine genuin theatrale und performative Kategorie zu sein, die nicht zuletzt die Funktion der Gemeinschaftsstiftung übernimmt, wie insbesondere an den Dionysien, an den mittelalterlichen Fastnachts- und Karnevalsspielen und selbst noch am Beispiel barocker Maskeraden verfolgt werden kann.

      Die Quellen, die uns über das Auftauchen der Rom-Völker in Europa informieren, zeigen deutlich, wie diese relativ fremden Menschen der Rom-Völker zum Ausgangspunkt für die diskursive Herstellung einer neuen Maske der radikalen Alterität werden,11 die, besonders langlebig und nachhaltig, bis zum heutigen Tage wirksam ist. Auch wenn in den Schriften die Bemühungen um eine Historisierung, Genealogisierung und geographische Verortung dieser Menschen aufscheinen, so arbeiten die Texte über die Rom-Völker primär der Herstellung einer Maske zu, die recht besehen nichts mit den durch Europa ziehenden Menschen und ihrer Lebensrealität zu tun hat. Das Schrifttum, ab dem 16. Jahrhundert auch die Literatur, ist verstärkt an der Ausbildung dieser Maske und ihrer Verfestigung beteiligt, wie die Studien von Bogdal (2011), Patrut (2014) und von Hagen (2009) eindrücklich belegen, weshalb hier nur kursorisch auf jene Werke verwiesen wird, welche die schriftliche Arbeit an dieser Figuration konkret an eine Aufführung binden: 1559 verfasst Hans Sachs Ein faßnachtspil mit sechs personen, und wirdt genandt die fünff armen wanderer, das einen frühen Beleg für das Auftreten dieser Maske im deutschen Sprachraum liefert. Bereits etwas früher, 1521, schreibt und inszeniert der Spanier Gil Vicentes das Maskenspiel Auto das Ciganas, und vermutlich um 1613 entsteht aus der Feder von Ben Jonson eine Masque of gypsies. Im selben Jahr wird auch Cervantes’ Erzählung La Gitanilla zum ersten Mal publiziert – jene Vorlage, welche die Figuration der Zigeuner(in) wohl am meisten beeinflusst hat, da die hierin angelegten, fiktionalen Zuschreibungen von zahlreichen Dichtern aufgegriffen und verbreitet wurden.12 Am französischen Hof ist es bis tief in das 17. Jahrhundert hinein üblich, sich bei festlichen Anlässen ‚à la mode de Tsigane‘ zu kleiden, eine Praxis, die durchaus auch an den deutschen Höfen zu finden ist, so beispielsweise in Dresden, wo für 1678 im Rahmen eines Festes auch eine Frauen-Zimmer-Zigeuner-Maskerade belegt ist.13 Die Figuration ‚Zigeuner‘ erfreut sich indes bis zum heutigen Tage einer großen Beliebtheit, wofür unter anderem der Musiker Eugene Hütz Beispiel zu geben vermag, der sich unter dem Pseudonym Gogol Bordello als Gypsie-Punk inszeniert und gleich einem Wanderlust King – so der Titel seines erfolgreichsten Songs (Side one dummy records 2007) – um den Globus tourt, oder sein weibliches Pendant Lady Gaga, welches ebenfalls den Topos des vagabundierenden ‚Zigeuners‘ beschwört (Gypsy, Artpop 2013). Und auch die primär mit Erotisierung einhergehenden Aufführungen der weiblichen Ausprägung dieser Figuration in den popkulturellen Performances von Jennifer Lopez (Ain’t it funny, Sony music 2001), Shakira (I’m a gipsy, Epic records 2009) oder Hillary Duff (Gipsy woman, Hollywood records 2007) belegen die Aktualität und Attraktivität dieser Maske.

      Doch der Umgang mit dieser Figuration unterscheidet sich maßgeblich von den älteren, von Vernant erwähnten Masken, liegt ihnen das Fremde doch in Menschenform zu Grunde. Zudem taucht die Maske in einer Zeit auf, in welcher es durch die Verbreitung des Buchdrucks zu einer markanten Aufwertung des schriftlichen Diskurses kommt, welcher die zentraleuropäischen Subjekte ebenfalls rejustiert und weitere Differenzierungen in ihre Gesellschaften (beispielsweise zwischen Schriftkundigen, Lesefähigen und Analphabeten) einbringt. Daraus erklärt sich wohl die zentrale Rolle, die das Schrifttum in der Aufführung dieser Maske übernimmt. Qua Narration und Inszenierung werden ‚Zigeuner‘ mythisiert und dringen in das kollektive Imaginäre einer Gesellschaft vor. Über die Aufführung und Rezeption werden die mythologischen und imaginären Zuschreibungen letztlich in einen Bezug zu den realen Angehörigen der verschiedenen Rom-Völker gesetzt, die infolge allesamt zu ‚Zigeunern‘ werden und diesem diskursiven Prozess nur wenig entgegenzusetzen haben, da ihre Kultur maßgeblich auf oraler Überlieferung basiert. Als Beleg für diesen Mechanismus mag Christoph Besolds Thesaurus practicus von 1629 gelten, der in dem Lemma ‚Zigeuner‘ zahlreiche Charakteristika aus Cervantes’ La Gitanilla übernimmt und als Fakten präsentiert, ohne auszuweisen oder gar nur zu reflektieren, dass es sich bei letzterem um einen fiktionalen Text handelt – ein Verfahren, das sich auch in Zedlers Universal Lexikon und anderen enzyklopädischen Nachschlagewerken wiederfindet.14 Aber auch die im Herbst 2013 durch zahlreiche europäische Zeitungen und Nachrichtenportale geisternde Meldung von der Aufdeckung einer Kindesentführung durch Roma in Athen lässt sich als eindrücklicher Beleg für die Transformation einer literarischen Fiktion in ein (vermeintlich) realpolitisches Faktum werten, schreiben diese Nachrichten doch einen Topos fort, der durch die Comedia ilamada medora (1567) von Lope de Rueda in die Welt gesetzt wurde.

      Die spezifische Aufführung dieser Maske und ihre Arretierung als Figuration wirkt somit weniger integrierend denn exkludierend, da unter die Maske nicht nur ein, sondern gleich zwei Körper gezwungen werden. Einerseits handelt es sich um jene Personen, die durch die Maske ihre eigenen kulturellen Grenzen überschreiten, sich „zu einer Vielfalt von Facetten auffächern“15 wollen, um über sich hinauszugelangen. Andererseits spannt sie die Angehörigen der Rom-Völker in ihre Form, die nun, um in die urbane, europäische Gesellschaft eintreten und auf deren Spielfeld agieren zu können, das Gegenbild des europäischen Subjekts ausfüllen und aufführen müssen: Wilde, ohne Schrift, ohne Vernunft und Religion, ohne Heimstatt, ohne Biographie, denen im Gegenzug aber eine besondere Affektivität, Musikalität, Kriminalität, aber auch die Gabe der Prophetie zugeschrieben wird. So konkretisiert und stabilisiert sich eine nachgerade fatale Figuration, für die eine reale Bevölkerungsgruppe Europas einstehen, als Träger fungieren muss und die Klaus-Michael Bogdal in ihrer verstörenden Paradoxie wie folgt zusammenfasst: „Die Damen des Hofes spielen Zigeunerinnen, während Romfrauen an der Landesgrenze am ‚nächsten Schnell- oder anderen Galgen aufgehenket‘ werden.“16

      Daran hat sich bis zum heutigen Tag wenig geändert, weshalb es nach wie vor wesentlich ist, auf den Unterschied zwischen ‚Zigeuner‘ und den verschiedenen spezifischen Bezeichnungen der unterschiedlichen Rom-Gruppen und ihrer Individuen hinzuweisen: ‚Zigeuner‘ sind eine kollektiv imaginierte und inszenierte Maske, die in einem markanten Gegensatz zu den Angehörigen der Lovara, Kalderasch, Roma, Sinti, Jenischen, Ashkali, Manoush oder Kalé stehen. Nicht nur die Angehörigen der europäischen Mehrheitsbevölkerung, sondern auch die Angehörigen eben genannter marginalisierter Völker spielen diese Figuration im gesellschaftspolitischen Diskurs aus – zum Zweck der Marginalisierung und Diskriminierung einerseits, aus Gründen der Koexistenz mit der vorherrschenden ökonomischen und gesellschaftlichen Ordnung andererseits.

      Diese Maske tritt nun nicht mehr in einem legitimierten,

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