Theater und Ethnologie. Группа авторов

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Theater und Ethnologie - Группа авторов Forum Modernes Theater

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und dem Fremden dort, sondern verstanden als ein gemeinsames, geteiltes Durchqueren und Fortschreiten im gleichen Raum, ein Fortschreiten von dem, was man schon weiß oder zu wissen meint, zu dem, was man noch nicht weiß, sowohl über die eigenen performativen Selbstdarstellungsversuche als auch über die der anderen. Rancière begreift dieses Fortschreiten nicht als einen von einer kognitiven Teleologie gesteuerten Progress. Er spricht vielmehr von einem nach allen Richtungen offenen Prozess des Übersetzens und des Erzählens in einem diskursiven und performativen Raum, in dem die Distanz kein Übel ist, sondern die normale Bedingung der Kommunikation. Die hier gemeinte Distanz ist also grundverschieden von der institutionalisierten Kluft zwischen Lehrer und Schüler.

      Edit Kaldor setzt in C’est du Chinois ihre Erfahrung als nicht-wissende Lehrmeisterin ein, ihre Expertise als eine Person, die sich durch Übersetzen, Vergleichen und Erzählen einen Weg durch diese Dimension der Distanz zu bahnen versucht, und die zu verringern sie gar nicht beabsichtigt, im Gegenteil; ihr „teaching play“ ist vor allem a „theatre performance“, ein durchaus autonomes Medium, das die von sämtlichen Beteiligten (Theatermacherin, Schauspieler, Publikum usw.) verfolgten Zielen und Aufgaben zwar ermöglicht, ohne jedoch mit solchen Intentionen zusammenzufallen. Sie steht gewissermaßen an der Tür des fiktiven Klassenzimmers und zwingt uns, auf spielerische Weise unsere Aufmerksamkeit einem Dritten zu schenken. Das Dritte ist auf der ersten oberflächlichen Ebene die Fremdsprache bzw. der Sprachkurs (der für beide Parteien, Zuschauer und Schauspieler, eine je eigene Aufgabe darstellt), auf einer anderen Ebene dürfte es aber die mit den Schauspielern geteilte Aufgabe sein, „to invent some identity for ourselves“, das tägliche performative und diskursive Theater, in dem wir uns alle zusammen befinden und in dem wir uns vergleichend und übersetzend vorantasten, „as it happens to be“. Ob es uns nun chinesisch, spanisch, griechisch, lateinisch, polnisch oder double dutch vorkommt, das Dritte, mit dem wir uns auseinanderzusetzen haben, lässt sich nicht mehr auf die Opposition vom Eigenen und Fremden zurückführen, geschweige denn auf die linguistische Distribution von Fremd- und Muttersprache(n). Das ‚Dritte‘ (le tiers) dürfte doch vor allem das Theater selbst sein, Kaldors „theatre performance“, wie sie mit Nachdruck sagt. Denn die gemeinsame Beschäftigung und Aufmerksamkeit der Schauspieler und des Publikums gelten letzten Endes dem ästhetisch-performativen Spiel selber, für das „language no problem“ ist, obwohl/weil es gerade um sie geht. Damit ist nicht diese oder jene (Fremd-)Sprache gemeint, die wir (und sie, die ‚anderen‘) können oder nicht können, sodass diese (fehlerhaften) Kenntnisse uns die praktische Kommunikation erleichtern (oder eben erschweren) könnten. Gemeint ist vielmehr jene Sprachlichkeit, die uns alle sowohl trennt als auch verbindet, weil sie jenseits der mehr oder weniger anekdotischen Sprachstunde und der sowohl kommunikativen als auch ökonomischen Zweckmäßigkeit des Sprachkurses den Raum einer Unmittelbarkeit der Mitteilung eröffnet; eines Mit-Teilens also im Medium der Sprache(n), dem Begreifen im emphatischen Sinne weniger bedeutet als das Versprechen einer Begegnung in einer Dimension, die weder die des vermeintlich Eigenen noch die des ebenso vermeintlich Fremden ist (sie gehört keinem). Der Bruch, über den man sich vergleichend und übersetzend nähert, mag dazu führen, dass man dort nicht nur einen anderen, sondern auch sich als einen anderen wiederfindet. Damit wäre tatsächlich „ein wichtiger Schritt in die Zukunft“ getan.

      

      ‚Zigeuner‘ als Maske des Fremden

      Marginalisiertes Leben zwischen dem Realen und dem Fiktiven

      Lorenz Aggermann (Gießen)

      In den nachfolgenden Zeilen wird der Vorschlag gemacht, ‚Zigeuner‘ als Maske und Figuration des Fremden zu verstehen und darüber den problematischen Umgang der Mehrheitsgesellschaft mit den Angehörigen der größten europäischen Minderheit zu reflektieren. Die Überlegungen orientieren sich an den jüngsten literaturwissenschaftlichen Thesen zur Erfindung der ‚Zigeuner‘ und adaptieren deren Befunde durch den Einbezug eines theaterwissenschaftlichen Standpunktes. Sie fragen nach der spezifischen Aufführung dieser Maske und markieren abschließend am Beispiel einer Performance (Constanza Macras, DorkyPark: open for everything) die Schwierigkeiten, dieser Figuration zu entkommen.

      I. Die Erfindung der ‚Zigeuner‘

      Im 15. Jahrhundert, knapp bevor sich das europäische Subjekt soweit stabilisiert und emanzipiert hatte, dass es seine Vertreter ausschicken konnte, um neue Länder und Kontinente zu erschließen, wird es selbst heimgesucht und in seiner Identität befragt. Dass man mit dem Fremden und Ungearteten rechnen muss, ist zwar durchaus im Bewusstsein verankert, sein Ort war aber bis dato das Grenzland respektive die unbekannte, unentdeckte Ferne, seine Gestalt mehr oder weniger fabelhaft: Hic sunt dracones. Nun aber erscheint das Fremde nicht nur unvermittelt im eigenen Hoheits- und Wissensgebiet, es zeitigt zudem unverkennbar die Gestalt des Menschen. Rom-Völker und weitere Fahrende tauchen vor den Toren der Städte auf und ziehen infolge durch ganz Europa, wie die Chroniken zahlreicher mittelalterlicher Städte belegen. 1420 kommt es zu einer ersten Konfrontation in Brüssel, 1427 folgt Paris, 1428 werden sie in Nijmegen gesichtet, 1444 stehen sie vor den Toren Bolognas, Forlis und Lwows, für 1447 ist ihr Erscheinen in Barcelona und für 1457 in Mailand belegt.1 Da sie nicht in kriegerischer Absicht kommen und nicht mit Gewalt Einlass in die Städte begehren, erwecken diese vagabundierenden Fremden vor allem Verwunderung, der durch zweierlei Deutungsmuster begegnet wird: Entweder werden die Fremden in Analogie zu der aus Ägypten flüchtenden heiligen Familie gesetzt und verehrt oder aber sie werden aufgrund ihrer Fremdheit und Freiheit als Seher und Späher gedeutet.2

      Das Interesse der städtischen Gesellschaften und ihrer Chronisten richtet sich vor allem auf die Art und Weise ihrer Repräsentation, auf ihre seltsame Kleidung, ihr befremdliches Verhalten. In ihren Einträgen wird weniger eine Andersheit reflektiert, denn eine Differenz konstruiert, die primär über Äußerlichkeiten zu Tage tritt, da sich weder Schrift noch Religion als Unterscheidungsmerkmale beiziehen lassen. Die ersten Chronisten bleiben in ihrem Urteil über diese Fremden indes neutral bis vage positiv. Sie betonen die von König Sigismund in einem Schutzbrief gewährten Sonderrechte der „Secanos“3 und vermessen das „gens ciganorum“4 vor der bekannten mittelalterlichen Ständeordnung und Hierarchie. Dieser entsprechen und entziehen sich die Fremden zugleich: Einerseits gibt es auch unter ihnen Fürsten und Grafen, Ritter und Fußvolk, andererseits wird ihr Umherschweifen mit dem Abfall vom Glauben und ihrem freizügigen Verhalten begründet. Der Blick in diese frühen Dokumente spiegelt somit ein ambivalentes Bild dieser Fremden respektive ihrer Einschätzung durch die Chronisten wider, was sich unter anderem damit erklären lässt, dass weder eine eindeutige geo- noch eine ethnographische Verortung und Identifikation dieser Fremden gelingt. Sie bleiben rätselhaft. Vielleicht sind sie Späher und Kundschafter des osmanischen Reiches, vielleicht Pilger aus Ägypten, die gezwungen sind, Buße zu tun – Mutmaßungen, die sich weder erhärten noch ausräumen lassen.

      Während sich in den folgenden hundert Jahren durch mündliche Überlieferung die Zeugnisse über das Auftauchen dieser Fremden verdichten und sich das Wissen über ihre Eigenschaften, ihre Wesensart und ihr Verhalten konkretisiert, so verlieren sich die wenigen Anhaltspunkte zu ihrer Verortung vollends. Die Fremden gelten nun als ein „Auswurf aller Nationen“, „‚erfahren‘ in allen Sprachen“, der „ringsumher in allen Provinzen“ Männer und Frauen in seine Gemeinschaft aufnimmt.5 „Damit setzt sich“, so Reimar Gronemeyer, der diese Quellen bereits in den 1980er Jahren zusammengetragen, übersetzt und kommentiert hat, „ein weitaus aggressiverer Ton gegenüber den Zigeunern durch, die nicht mehr als Fremde gesehen, sondern zu Kriminellen gestempelt werden.“6 Nicht verort- und klassifizierbar zu sein erweist sich als eine markante Dysfunktionalität im Austausch mit den spätmittelalterlichen Gesellschaften Europas, deren Subjekte sich mehr und mehr über geographische Spezifika ihres Lebensraums und sprachliche Eigenheiten ihrer Region zu definieren beginnen und deren Gemeinschaft sich mehr und mehr auf topologische Parameter gründet,7 – deren Begriff vom Menschen sich also zunehmend „nach dem Volk

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