Eros und Logos. Группа авторов
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Laß vns das Nabelkraut verschieben /
Das so süß / vnder deinen Schurtz.
Ja Knabenwurtz vnd Ständelwurtz /
Sprach sie / mir allzeit wol zu schlagen7
Demgemäß soll in den Fokus der folgenden Bemerkungen die Frage nach den Darstellungsmodalitäten und lyrischen Inszenierungsmodi des Sexuellen und Erotischen in der Dichtung des deutschen Barock gestellt werden. Herauspräparieren und bestimmen lassen sich dabei fünf Hauptkategorien, die in den Gedichten zum Ausdruck gelangen und die parallel dazu zueinander entweder im Widerspruch stehen oder in einen Dialog treten und somit auch das Gesamtbild und den Gesamteindruck vom „(un-)galanten“ Barock vervollständigen und erneut die innere polarisierende Antonymie der Epoche belegen.8 Dieses ‚Gespräch‘ wird nicht nur auf der Poetik-Ebene geführt, sondern vor allem auch auf der Rezeptionsebene, d.h. zwischen Autor, Text und Leser.9 Zu unterscheiden sind folgende thematische Schwerpunkte, auf die man im Weiteren zu sprechen kommt, um den lyrischen Konturen des triebhaften Erotischen im Barock gerecht zu werden, obwohl man sich stets dessen bewusst sein muss, dass die Vollständigkeit und Komplexität nur ein Schein ist, weil man nur einen kurzen Ausschnitt aus der barocken Sexualitätsdichtung präsentieren kann: 1) Occasio, 2) Liebe, 3) Kuss, 4) Wollust, 5) Homo eroticus.10
1. Occasio
Wie Dirk Niefanger argumentiert, wurde das Erotische erst im Barock entdeckt, was im Zusammenhang mit der Entwicklung der Körperpflege und der Körperkosmetik zu erklären ist.1 Die Kaprizierung auf die körperbetonte Auseinandersetzung mit dem eigenen Ich, mit dem Menschen, war laut Niefanger die simple Folge des „Prozesses der Zivilisation“2, ein Endresultat der Umwälzungen, die im Mittelalter beginnen, dann während der Reformation Anfang des 16. Jahrhunderts weiterverfolgt wurde. Die Nacktheit als Medium der eigenen Identität war kein Grund fürs Schämen, das man lieber verhüllen sollte, sondern ein Mittel zur Selbstwahrnehmung und Selbstkonstitution. Offen zur Schau gestellte Brüste oder Geschlechtsorgane zeugten weniger von der Transzendenz, vielmehr von der Diesseitigkeit.3 Dieses Phänomen des Hier-und-Jetzt war sowohl an den königlichen oder fürstlichen Höfen zu bemerken als auch im Bürgertum, das langsam emporkletterte, um Ende des 18. Jahrhunderts das Zepter in die Hand zu nehmen und mit den Schlagwörtern von liberté, égalité, fraternité für die Rechte der Mittelschicht gegen das patriarchalische Herrschaftssystem zu kämpfen. Im Barock ergatterte die Erotik eine „poetische Lizenz“; dieser Lizenz lag die „Kultivierung des menschlichen Zusammenlebens“4 zugrunde, dieses machte wiederum mehr oder weniger eine „Kommunikationsform“ aus.5 Sexualität wird als Form des Gedankenaustausches und als Form der manifestierten Freiheit des Körpers begriffen, der bis dato eingezwungen in Regelkorsetts keine Chance hatte herauszukommen. Das Entblößen und das erwähnte Verhüllen, diese skurrile Divergenz von offen und geschlossen, spiegelt sich in der ganzen Barockdichtung wider. Der barocken Metaphorik, meint Harry Fröhlich, gehe es nicht ums Verstecken, sondern um die „Dialektik von Verbergen und Enthüllen, das eigentliche Wesen der Metapher und der Erotik“.6 Anders gewendet, es geht ums Anziehen und Ausziehen, Ausziehen und Anziehen. In dieser bipolaren Ergänzungsstruktur von widersprüchlichen Komponenten, die eine Einheit bilden, in diesem Begehren der „Apologie der Lust“ kann man erste „Befreiungsversuche hin zu einer aufgeklärten Humanität entdecken“.7 Mit der Apologie verbindet sich die Philosophie der Lust, die im Barock eine doppelte war und durch die Gegensätzlichkeit von Wollust und Erotik getragen wurde. Als Wollust versteht man die momentane Triebbefriedigung, als Erotik die Sinnhaftigkeit und langanhaltende Sinnlichkeit der körperlichen Berührung.8 Auf den Punkt gebracht: Wollust ist Sex, Erotik ist zarter Sex mit Gefühlen. Auf diese Dualität rekurrieren direkt oder indirekt fast alle Barockdichter, die erotische Gedichte zu Papier brachten.
Mit einem konkurrierenden Dualismus, mit einer Ambivalenz, bekommt man es schon bei Martin Opitz’ Ach Liebste / laß uns eilen zu tun, in dem das Motiv der Occasio, der „rechten Zeit“9, nicht nur an das semantische Bedeutungskonvolut der Liebe, sondern vor allem an das Sterben, den Tod gebunden ist. Liebe wird als Rettungsanker vor dem Ableben verstanden. Das lyrische Ich, das sich als junger Mann identifizieren lässt, wendet sich mit einer Bitte an eine Frau, dass man sich endlich in die Arme fallen solle, denn die Zeit sei reif dazu und man habe keine Restzeit mehr: „Es schadet das verweilen / Uns beiderseit. / Der edlen Schönheit Gaben / Fliehn Fuß für Fuß“.10 Die Schönheit vergeht11, die Lust vergeht12, die Gefühle vergehen. Um diesem Vanitas-Gedanken zu trotzen, um der Verbleichung der „Wangen Zier“13 nicht zusehen zu müssen, um das Altwerden nicht zu erfahren, muss die Gelegenheit beim Schopfe gefasst werden, man muss die Occasio nützen und „[d]er Jugend Frucht“ genießen.14 Dieses Genießen der Jugend gesellt sich zum Carpe diem, d.h. genieße den Tag, lebe und lass leben, liebe und lass lieben, gib und nimm: „Wo du dich selber liebest / So liebe mich / Gib mir, dass, wann du gibest / Verlier auch ich.“15 Das sich Aneinander-Verlieren bedeutet zugleich ein Einander-Gehen.16
Liebe oder besser gesagt der Wunsch nach Liebe wird bei Opitz durch egoistische Denkmuster und egozentrisches Ich-Benehmen motiviert. Liebe ist da, man muss nur nach ihr greifen, sie drehen und wenden, sie anpassen. Durch solche sprachlich artikulierte Gewalteinwirkung lässt sich jedoch keine Liebesbeziehung generieren, sondern bloß ein Hauch von Liebe, eine Scheinliebe, denn Liebe ist nicht für alle da. Die Bittsprüche des jungen Mannes sind auch als Phantasiegebilde zu apostrophieren, als Wunschbilder, die in Erfüllung gehen können, aber nicht müssen.
In Rammsteins Zeilen wird Ähnliches thematisiert: „Ich mach‘ die Augen zu dann seh‘ ich sie / Ich sperr‘ sie ein in meine Fantasie / Ich mach‘ die Augen zu / sie wehrt sich nicht / Liebe ist für alle da / Nicht für mich“. Das Schließen von Augen, was paradoxerweise das Sehen erst ermöglicht, lässt sich auch auf den Konnex von Sprechen und Schweigen übertragen, den man im Gedicht Willst du mein Herz mir schenken von einem unbekannten Dichter beobachten kann:
Die Liebe muß bei beiden /
Allzeit verschwiegen sein, /
Drum schließ die größten Freuden /
In deinem Herzen ein! //
Behutsam sei und schweige /
Und traue keiner Wand, /
Lieb innerlich und zeige /
Dich außen unbekannt.17
Über das Liebesgefühl muss ein Mantel des Schweigens ausgebreitet werden, weil „Die Lust, die wir genießen, / Muß ein Geheimnis sein.“18 Auszulegen ist dieses anonym verfasste Gedicht als Gedicht der Übergangsphase zwischen dem Nicht-Sagen-Dürfen und dem Sagen-Können, zwischen der Dunkelheit des Gestern und der Helligkeit des Jetzt, bevor man aus dem „unglückseligen Gefängnis der Leidenschaften“ ausbricht.19
Dass die Gelegenheit zur Liebe genützt werden muss, ist auch bei Simon Dach zu erblicken. In seinem Brauttanz wird wie bei Opitz der „richtigen Zeit“ eine Relevanz beigemessen, die man nicht ungeachtet lassen kann:
Wer der Jugend Kerzen /
Trägt im frischen Herzen, /
Hat zu tanzen Lust; […]
Kinder, strebt nach Freuden, /
Niemand wird euch neiden, /
Nur der Ehrbarkeit /
Und der Zucht indessen /
Werde nicht vergessen; /
Lebt und liebt allzeit, /