Eros und Logos. Группа авторов

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Eros und Logos - Группа авторов Popular Fiction Studies

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eingehen.6 Nicht nur hat hier der Dichter eine weibliche Stimme gewählt, sondern zieht auch das Rollenspiel systematisch bis zum Ende durch, um ihre erotischen Erlebnisse vollständig im poetischen Gewand auszuformen. Wie sie berichtet, wartete ihr Geliebter bereits auf sie unter der Linde, dem klassischen Liebesbaum (so bereits bei Ovid), als sie sich verstohlen zur Wiese begab. Dort hatte er aus Blütenblättern und Gras eine Liebesstätte eingerichtet, wo sie sich beide miteinander vergnügten, wie die später daran Vorbeischreitenden deutlich am Eindruck, den ihre Körper hinterlassen haben, erkennen können. Erstaunlicherweise appelliert die Frauenstimme sogar an die Jungfrau Maria, deren Segen sie sich für diese Liebesbeziehung erwünschte (2. Strophe). Obwohl die Sängerin immer wieder darauf insistiert, dass es eine sehr private Affäre gewesen sei, und dass sie sich schämen würde, wenn andere davon erfahren würden, was durch den onomatopoetischen Refrain „tandaradei“ sehr eindringlich gespiegelt wird, erfahren wir doch nur zu deutlich, dass der Öffentlichkeit klar vor Augen geführt werden sollte, was hier geschehen war, denn „des wirt noch gelachet / inneclíche“ (III, 4–5).

      Die Betrachter spotten nicht, sie lachen nicht hämisch, und sie drücken keinen Zynismus aus. Sie freuen sich inniglich, dass Liebe stattfand, erfüllt und in vollständiger Harmonie, wie der Augenschein unverkennbar vermittelt. Obwohl wir nicht vernehmen, wie sich die zwei Liebenden zueinander verhielten oder was sie miteinander trieben, erweist sich die ganze Szenerie als höchst erotisch und glückserfüllt: „Bî den rôsen er wol mac, / tandaradei, / merken, wâ mirz houbet lac“ (III, 7–9).7 Genauso macht sich dieses Phänomen in der gesamten höfischen Literatur des hohen Mittelalters bemerkbar, ob wir die Troubadour­lyrik, den Minnesang, die Carmina Burana oder den Stil dolce nuovo berücksichtigen. Spielerisch wurde die sexuelle Anziehungskraft für erzieherische und sozialisierende Zwecke eingesetzt und damit gesellschaftlich funktionalisiert.

      Wie diese große Faszination an Erotik innerhalb einer Gesellschaft, die zu dem Zeitpunkt bereits weitgehend von der christlichen Kirche durchdrungen war, so tiefgreifende Wurzeln fassen konnte, entzieht sich unserem Verständnis, aber die europäische Dichtung bietet über die Jahrhunderte hinweg eindringliche Zeugnisse von der großen Bedeutung dieses Themas. Sowohl Wolfram von Eschenbach (Parzival, ca. 1205) als auch Dante (Divina Commedia, ca. 1320), sowohl Giovanni Boccaccio (z.B. Decameron, ca. 1350) als auch Geoffrey Chaucer (Canterbury Tales, 1400) stellten Liebesbeziehungen und -konflikte in den Mittelpunkt ihrer Werke, und jedesmal kommt auf sehr individuelle Weise zum Ausdruck, dass die Erotik als ein Katalysator von höchst komplexer Aussagekraft fungierte. Zur gleichen Zeit entstand die große Bewegung der europäischen Mystik, primär getragen von solchen Frauen wie Hildegard von Bingen (1089–1179), Mechthild von Magdeburg (gest. Ende des 13. Jahrhunderts), Marguerite de Porète (gest. 1310), Catarina di Siena (1347–1380), Julian of Norwich (ca. 1341–ca. 1416) oder Teresa da Ávila (1515–1582), die regelmäßig auf traditionelle Bilder von höfischen Liebebeziehungen zurückgriffen, um ihre göttlichen Visionen zu umschreiben.8 Erotik gewann hierbei eine ganz andere Bedeutung, insoweit als die physische Attraktion hin zu einer spirituellen führen sollte, womit Erotik zum Sprungbrett für religiöse Epistemologie umfunktioniert wurde.

      Wie Cezary Lipiński in seinem Beitrag über Mechthild deutlich macht, erwies sich dabei oftmals die erotische Ausdrucksweise als effektives Medium, um die visionäre Gotteserfahrung auf epistemologische Weise sprachlich umzusetzen. Gerade weil Mechthild unbändig danach strebte, die apophatische Erfahrung systematisch zu analysieren und praktisch für sich selbst umzusetzen, sah sie sich immer wieder dazu gedrängt, sorgfältig kategoriale Konzepte der Liebe an sich zu entwickeln und diese für den Weg der Seele zu Gott hin anzuwenden. Im Grunde würde es schwerfallen, in der volkssprachlichen Literatur des Mittelalters individuelle Werke zu finden, die nicht in einer oder anderen Art und Weise das Thema ‚Erotik‘ gestalten würden.

      Die jeweiligen Absichten und Ziele, die dabei verfolgt wurden, waren meist sehr unterschiedlich, ob religiös oder sexuell, aber das erotische Element an sich erweist sich geradezu als ubiquitär. Alle großen Sammelwerke mit Verserzählungen (fabliaux, tales, novelle, mæren) oder Prosatexten (Schwänke) sind überwiegend von erotischen Anliegen bestimmt, ohne dass eigentlich die Gefahr bestände, dass daraus plötzlich Pornographie oder Obszönität entstände, auch wenn wir Beispiele davon ebenfalls schon in der Literatur der Vormoderne finden können.9

      Die Gründe für dieses konsistente Phänomen lassen sich mühelos aufzählen, ohne dass wir jemals ganz erschöpfend damit zurande kämen. Die erotische Attraktion zwischen den Geschlechtern – im Falle der Homosexualität zwischen den gleichen Geschlechtern, was hier durchgängig so verstanden werden soll – hat stets noch das menschliche Leben bestimmt, denn ohne sie käme es kaum zur Fortpflanzung. Die Erotik wäre als das Vorspiel zu bezeichnen, worauf dann die Sexualität folgt, und Dichter aller Zeiten haben stets noch intensiv darauf Rücksicht genommen, was schon vielfach in Spezialuntersuchungen zur Sprache gekommen ist.10 Ein außerordentlich eindrucksvolles Beispiel aus der Romantik liegt uns mit Friedrich Schlegels Lucinde (1799) vor, wo die erotische Verführung der eigentlich sehr willigen Frau in höchst eindringlichen Dialogen vonstatten geht (vgl. dazu den Beitrag von Andrey Kotin). Im Vergleich zu den Gesprächen in Andreas Capellanus‘ De amore (ca. 1180–1190) gelingt es dem männlichen Sprecher, mittels seiner sprachlichen Strategien zum Ziele seiner Wünsche zu gelangen, die aber weit über dem Sexuellen darin bestehen, die Unterschiede zwischen Mann und Frau aufzuheben und im Erotischen die universal-göttliche Vereinigung zu erreichen, was explizit dem bürgerlich-realistischen Ethos zuwiderstrebte und für viele Zeitgenossen als äußerst skandalös erschien.

      Erotik und Sexualität spielten also sowohl im Barock als auch in der Romantik, sowohl in der Klassik als auch im Realismus gewichtige, wenn nicht zentrale Rollen. Wem wäre nicht Goethes Briefroman Die Leiden des jungen Werthers (1774) bekannt? Und von hier kann man mühelos zu Robert Musils Roman Mann ohne Eigenschaften (1930ff.) springen, oder auf den Bestseller Der Vorleser von Bernhard Schlinck (1995) eingehen. Die Welt, wie sie in den Romanen oder Dramen, in den Gedichten oder Balladen vor unsere Augen tritt, ist von Liebessehnsucht und Liebeserfüllung bestimmt.11 Das gleiche lässt sich genauso gut für die Literaturen anderer europäischer Länder konstatieren (vgl. Szczepan Twardochs Morphin, 2012), und der Sprung nach Indien oder Japan auf der Fährte nach dem selben Phänomen erweist sich dann als genauso mühelos.

      Zu fragen wäre aber sofort, ob es sich überall und zu allen Zeiten um dieselbe parallele menschliche Erfahrung handelt, ob wir also tatsächlich Gemeinsamkeiten bei der Auseinandersetzung mit dem Erotischen feststellen können. Worum handelt es sich bei Erotik an erster Stelle? Natürlich ändert sich dies von Mensch zu Mensch, von Gesellschaft zu Gesellschaft, von kultureller Epoche zur nächsten. Barockdichter haben auf ihre eigene Art das erotische Element in ihrer Lyrik eingesetzt und so dem Thema ihren eigenen Stempel aufgeprägt. Erotik in der Romantik war individuell anders als in der Klassik, und moderne Dichter des 20. und 21. Jahrhunderts bedienen sich neuer, idiosynkratischer Bilder und Interessen, um ihr erotisches Anliegen zu formulieren. Allen gemeinsam bleibt aber, dass die erotische Kraft das Bindeglied zwischen den Geschlechtern ausmacht und dass gerade das poetische Wort dazu dient, dem esoterischen, zugleich aber auch so physisch relevanten Phänomen Ausdruck zu verleihen.

      Wählen wir zwei scheinbar sehr weit auseinander liegende Beispiele zum Vergleich und zur Illustration. In einigen der Lieder Oswalds von Wolkenstein (1376/77–1445) vernehmen wir von Badefreuden, die er mit seiner frisch getrauten Frau Margaretha von Schwangau genießt. Obwohl das Lied Kl. 75 Wol auff, wol an offensichtlich mehr für den Privatgebrauch gedacht gewesen sein mag, gehört es trotzdem zu den öffentlich präsentierten Liedern, die in seinen beiden Prachthandschriften A und B (Pergament), später auch in der Papierkopie c, enthalten sind.12 Mehr noch als jemals zuvor sehen wir uns in eine höchst intime, zugleich extrem erotische Situation versetzt, denn das junge Ehepaar vergnügt sich in einer Badewanne, die offensichtlich auf einer Wiese aufgestellt worden ist. Nach einem intensiven, wenngleich immer noch topischen Natureingang, in dem die Vogelschar die frühlingshafte Umwelt bejubelt, melden sich Oswald und Margarethe zu Wort, die sich begeistert gegenseitig berühren und sexuell

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