Eros und Logos. Группа авторов
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Hans Castorp und Madam Clavdia Chauchat in Thomas Manns Der Zauberberg (1924) bzw. Ulrich und Agatha in Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften (1930–1943) hätten dem ohne weiteres zugestimmt, vor allem weil sie, wie Elisa Meyer in ihrem Beitrag bestätigt, durch ihre inzestuöse Beziehung eine neue Stufe der Erotik erzielen, die quasi religiös-sexueller Art zu sein scheint. Das Körperliche wird aber nicht ausgelebt, weil der sprachliche Austausch erst recht zur Intensivierung ihrer Gefühle füreinander beiträgt. Zugleich beobachten wir die Entwicklung von literarischen Reflexionen über transnormative erotische und sexuelle Beziehungen in den Werken neuester Autoren wie Matthias Hirth, Cornelia Jönnson und Jürgen Lodemann (vgl. dazu den Beitrag von Marta Wimmer).
In der polnischen Literatur, die den Ersten Weltkrieg behandelt, treten bemerkenswert viele Konfliktsituationen auf, in denen Eros mit Thanatos ausbalanciert werden muss, denn der Krieg droht stets noch, die traditionellen ethischen, moralischen und religiösen Bande aufzulösen, was angesichts des massenhaften Sterbens dazu führt, dass die Liebessehnsucht und das sexuelle Verlangen ungemein ansteigen (vgl. dazu den Beitrag von Paweł Zimniak). Die sexuelle Erfüllung, ob nun in Gedichten des 12. Jahrhunderts, in solchen der englischen Renaissance (John Donne) oder in Romanen des 20. Jahrhunderts thematisiert, erweist sich mithin als ein Signament menschlicher Existenz schlechthin. Der Chor an Stimmen, die ein Loblied auf die Liebe im poetischen oder narrativen Rahmen gesungen haben, reicht also von der frühesten Zeit bis in die unmittelbare Gegenwart.
Allerdings kann gerade Sexualität, also die physische Manifestation von Erotik, auch zum Zweck der Machtausübung eingesetzt bzw. missbraucht werden, wie es sich u.a. in Ernst Jüngers Roman Die Zwille (1973) zeigt, den Manuel Mackasare in seinem Aufsatz analysiert. Durchaus ähnlich wie in Heinrich Manns Professor Unrat (1905) thematisierte Jünger die Rolle von Sexualität als Symbolon eines zusammenbrechenden gesellschaftlichen Systems, das zunehmend von Technokratie beherrscht wird, aus dem eventuell nur die Asexualität des Helden Clamor zu retten vermag.
Welche tiefen und umfassenden Probleme die Unterdrückung von Erotik und Sexualität bewirken kann, hat bereits Frank Wedekind (1864–1918) besonders eindringlich in seinen Theaterstücken, Gedichten und theoretischen Reflexionen zum Ausdruck gebracht (vgl. dazu die Studie von Anja Manneck). Wie mühsam besonders homosexuelle Dichter und Autoren um Anerkennung kämpfen mussten, illustriert das Werk der schweizerischen Autorin Annemarie Schwarzenbach (gest. 1942) (vgl. dazu den Beitrag von Karolina Rapp). Wir können aber auch in den früheren Jahrhunderten eine Reihe von Beispielen finden, selbst wenn dort meist das Siegel der Verschwiegenheit nur schwer zu lüften ist. Inzwischen scheint aber sexuelle Identität freier zur Verfügung zu stehen, wie es die neueste Literatur vor Augen führt, in der sogar die ungehemmte Verfolgung von sexuellem Genuss jenseits traditioneller Geschlechterkategorien deutlich positiv gezeichnet wird (vgl. dazu den Beitrag von Marta Wimmer).
Über diesen großen, sich unablässig wandelnden Komplex reflektieren nun die Beiträger zum vorliegenden Sammelband durch wissenschaftliche Spezialuntersuchungen von konkreten Fällen, die aus den verschiedensten Jahrhunderten stammen und auf einer Tagung zum Thema „Eros und Logos: Sexualitätsnarrative in der deutschsprachigen Literatur“ vom 16. bis 17. November 2016 an der Universität Zielona Góra (Uniwersytet Zielonogórski), speziell am Institut für Germanistik (Instytut Filologii Germańskiej) in Zielona Góra, Polen, vorgestellt und diskutiert worden sind. Die Organisatoren, Wolfgang Brylla, Andrey Kotin und ich entwickelten während der Tagung und im Anschluss daran eine enge Kooperation über die Kontinente hinweg, deren Endresultat hiermit vorgelegt wird. Die Redaktion wurde zentral von mir übernommen, dies aber stets in enger Zusammenarbeit mit Brylla.
Bibliographie
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