Eros und Logos. Группа авторов
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wenne der endelose got die grundelosen selen bringet in die hoͤhin, so verlúret sú das ertrich von dem wunder und bevindet nút, das si ie in ertrich kam. Wenne das spil aller best ist, so muͦs man es lassen. So sprichet det bluͤjende got: »Juncfroͮ, ir muͤssent úch neigen.« So erschrikket si: »Herre, nu hast du mich hie so sere verzogen, das ich dich in minem lichamen mit keinem orden mag geloben, sunder das ich ellende lide und gegen dem lichamen strite.« (I, 2, 22)
Die hier geschilderte Erfahrung ist für die Seele prägend. Sie stellt den Ansporn für ihre groß angelegte Weltflucht als Ergebnis der Verwirklichung eines lebenspraktischen Programms, dessen Eckpunkte bereits im ersten Buch festgelegt sind, dar: „Swelch moͤnsch die welt úbersiget und sime lichamen allen unnútzen willen benimet und den túvel úberwindet, das ist die sele, die got minnet.“ (I, 1, 32)
Das schwierige Unterfangen bekommt im mystischen Idiom Mechthilds die Form eines erbitterten Kampfes gegen den die Liebe vergiftenden „hündischen Leib“ („huntlichen lichamen“ [II, 23, 116]), „der tote hunt, min lichamen“ [III, 5,170]). Er ist ein gefährlicher, bewaffneter „Feind“, der von Natur aus am Diesseits klebt, d.i. mit seinen Bedürfnissen die Kommunikation zwischen der Seele und der geistigen Welt beeinträchtigt oder gar vereitelt und mit seinen kleinen Freuden vom Wesentlichen ablenkt. Um seine störende Vitalität zu brechen, wird er permanenten Qualen unterzogen:
do sach ich minen lichamen an; do was er gewaffent sere uf mine arme sele mit grosser vollede der starken maht und mit vollekomner naturen kraft. De sach ich wol, das er min viant was (IV, 2, 236).
Einsichten in die beklemmende Grausamkeit der Praktiken jener übrigens bei Mechthild sehr reale Gestalt annehmenden Mortifikation vermittelt die Begine im vierten Buch:
Do sach ich oͮch miner sele wafen an; was dú here matter únsers herren Jhesu Christi. Da mitte werte ich mich. Do muͦste ich steteklich in grossen vorhten stan und muͦste alle mine jugent grosse schimeschlege uf minen lichamen schlan, das was: súfzen, weinen, bihten, vasten, wachen, besemenschlege und betten steteklichen an. Dis waren dú waffen miner sele, da ich den lip mit úberwant also sere, das bi zwenzig jaren nie die zit wart, ich were muͤde, siech und krank allererst von rúwen und von leide, da nach von guͦter gerunge und vom geistlicher arbeit und dar zuͦ manig swere siechtag von nature. Hie zuͦ kam dú gewaltige minne und beschaste mich se sere mit disen wundern, das ich es nit getorste verswigen (IV, 2, 236).
Der unerbittliche lebenslange Kampf gegen den eigenen Leib charakterisiert nur die edlen kühnen Seelen, während die „abgestumpften“ („stumpfen selen“ [II, 23]) selbstzufrieden in der Welt ihrer Körperlichkeit ruhen („Ich ruͦwen in der welte mines lichamen“ [II, 23, 116]), ohne jemals den Mut aufzubringen, sich in die Gewalt der „nackten Liebe“ zu begeben („das er sich ihr getoͤrre legen in die gewalt der nakkenden minne“ [II. 23, 116]), um Gott Treue zu erweisen, indem sie in Liebe seinem Geist folgen („Wiltu got rehte trúwe leisten, so soltu in siner liebin volgen sinem geiste“ [II, 23, 116]). Die Ausdauer im Kampf gegen die durch den Leib auferlegten Fesseln und die Unerschrockenheit im Sich-hinaus-Wagen auf das unbegrenzte Meer der göttlichen Liebe stellen die einzigen Wege dar, die wahre Freiheit, die kein Trugbild ist, zu erlangen. Sie setzen die Ablehnung der institutionalisierten, ritualisierten, an sich steifen und auf die Dauer jeglichen persönlichen Erlebnisses beraubten Formen der Gläubigkeit („Wiltu mit im wonen in edeler vriheit, so muͦstu e rumen diese wonunge der boͤsen gewonheit.“ [II, 23, 116]) voraus. Der von Zuhause in die relative Ungebundenheit des Beginenlebens geflüchteten Mechthild durfte gerade dieser Aspekt nicht nur besonders wertvoll, sondern vor allem einleuchtend vorgekommen sein. Letzten Endes, „[d]ie Welt wählen bedeutet Gott verlieren, Gott wählen die Welt verlieren“.15
Ein Umbruch in der Liebesauffassung Mechthilds tritt im zwölften Kapitel des vierten Buches ein.16 Die ihrem Charakter nach beinahe bacchantische Liebesverzückung (zum Beispiel: „Du hast mich gejagt, gevangen, gebunden und so tief gewundet, das ich niemer wirde gesunt“ [I, 3, 24]) der frühen Phase macht einer reiferen – was nicht bedeutet, ruhigeren17 –, dafür dunkleren Konzeption der Liebe mit der Integration des Leids als deren auffälligem Charakteristikum Platz. Schon etwas früher hatte sich die Seele dazu hinreißen lassen, aus Liebe zu Gott im Fegefeuer die Qualen länger zu ertragen: „Nu, lieber herre, swenne ich stirbe, ich wil durch dine liebi gerne noch dar inne qweln. Dis spriche ich nit von sinne, es heisset mich die minne.“ [IV, 2, 234]
Damals waren es v.a. anhaltende Gewissensbisse wegen der Sünden der frühen Jugend, die den Anlass dazu gaben, jetzt ist es das Bewusstsein einer prinzipiellen Unwürdigkeit des Menschen.
Mir smekket nit wan alleine got, ich bin wunderliche tot./ Dis smakes wil ich allerdikost gerne enberen, uf das er wunderlich gelobet werde; wand wenne ich unwirdiger mensche mit miner maht got nit kan geloben, so sende ich alle creaturen ze hofe und heisse si, das si got fúr mich loben mit aller ir wissheit, mit aller ir minne (IV, 12, 258, 260).18
So wendet sich die liebende Seele wiederholt an Gott mit der Aufforderung, sie immer tiefer fallen zu lassen, weil ihr die einzelnen Stufen der Freudlosigkeit und Verlorenheit immer noch nicht schlimm genug vorkommen. Am Ende muss sogar die Liebe geopfert werden, sodass der Seele nur noch das herzzerreißende Fernsein Gottes („dine vroͤmedunge“) übrig bleibt:
Eya selige gotz vroͤmdunge, wie minnenklich bin ich mit dir gebunden! Du stetigest minen willen in der pine und liebest mir die sweren langen beitunge in disem armen libe. (IV, 12, 264)
Erst dann erreicht sie, die verstanden hat, dass je tiefer sie sinkt, umso süßer ihre Existenz wird, das erwünschte Niveau („Mere ie ich tieffer sinke, ie ich suͤssor trinke“ [IV, 12, 264]). Die Wonne der unio mystica auf der einen Seite und der selbstquälerische Fall in die Gottesferne auf der anderen markieren die Ausdehnung der erotischen Dimension der Liebe, die sich hier – paradox genug – trotz der zu erwartenden Selbstvergessenheit und sinnesraubenden Ekstase unter striktem Ausschluss des Körpers entwickelt. Die Neuausrichtung der anfänglich liebesblinden Seele verläuft über die Erkenntnis des Ausmaßes der Aufopferungsbereitschaft der Liebe, die der Sohn Gottes der sündhaften Menschheit entgegengebracht hatte. Und weil jene per se nicht überbietbar ist, kann die Seele nur ihre Nachfolge, deren Ordnung im Gebot und Schema der Idee der imitatio Christi vorgegeben ist, antreten.
Ein Engpass in Mechthilds Programm der geistigen Minne ist die nicht auszuschließende Gefahr der Liebesverliebtheit der Seele, die sich mitunter erdreistet, den nach ihr schmachtenden Gott zurückzuweisen, um nur in die süßen Qualen der Gottesfremdheit und Gottesferne zurückgeworfen zu werden. Selbst der viel zitierte Grundsatz „Wiltu liep haben, so muostu liep lassen“19 könnte aus dieser Sicht, als eine Warnung vor dem völligen Eintauchen in die Wonne der alles um sich vergessenden unio mystica interpretiert werden. So bleibt das Risiko, dass die Liebe, die als der Weg zu Gott legitimiert wird, sich in das Ziel per se verkehrt, latent vorhanden.
Eines der Paradoxe des eigentümlichen Idioms Mechthilds ist der Versuch, die an sich ausschließlich geistig gedachte Vereinigung der liebenden Seele mit dem göttlichen Bräutigam mittels sprachlicher und ikonischer Instrumentarien darzustellen, die dermaßen mutige, körperlich-erotische Elemente und Anspielungen enthalten, dass in der Forschung zuweilen von einer „spirituellen Sexualität“20 die Rede ist.21 Dennoch legen etliche Forscher nahe, „Mechthilds Visionen trotz mancher Gewagtheit