Eros und Logos. Группа авторов
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Die vorliegende Forschung zum Cluster Erotik und Sexualität ist natürlich dementsprechend mittlerweile so umfangreich angewachsen, dass es absurd erscheint, auch nur den Versuch zu wagen, eine konzise Zusammenfassung der einschlägigen Literatur zu diesem Thema zu bieten. Sowohl im gesamten Mittelalter als auch in der Barockzeit, sowohl in der Romantik als auch im Realismus begegnen wir fortlaufend Bemühungen von Dichtern unter anderen, den Fragen, Anliegen, Hoffnungen oder der Sehnsucht nach erotisch-sexuellen Erfüllungen poetischen Ausdruck zu verleihen. Im vorliegenden Aufsatz soll es aber darum gehen, in dem Rahmen einer besonderen Gattung mehr Aufmerksamkeit zu widmen, weil wir hier ein wichtiges Übergangsphänomen identifizieren können, das recht gut die Transformation vom Mittelalter zur Renaissance bzw. Reformationszeit auf der Ebene des Privatlebens, d.h. innerhalb des Diskurses über Erotik, Ehelehren und Sexualität zu erklären vermag.4
Die Rede ist hier von den spätmittelalterlichen mæren, deren Ausgangspunkt bereits im Werk Des Strickers (erste Hälfte des 13. Jahrhunderts) zu finden ist, die im Laufe der Zeit immer größere Beliebtheit genossen und letztlich die Grundlage für die Entstehung des prosaischen Schwanks darboten, der in großer Zahl die öffentliche Unterhaltung seit dem 16. Jahrhundert bestritt, oftmals geprägt von Witz und Erotik, Satire und derbem Spott.5 Die meisten Werke wurden von uns fast ganz unbekannten Dichtern geschaffen, auch wenn wir öfters ihre Namen kennen. Wie populär sie wirklich gewesen sein mögen, können wir heute auch nicht mehr präzise einschätzen, denn der sehr wahrscheinliche Verlust von handschriftlichen Kopien hat dieser Kalkulation einen Riegel vorgeschoben. Aber die Überlieferung von einschlägigen Texten erweist sich insgesamt als sehr beeindruckend, und so manche der mæren lassen sich durchaus als Meisterwerke ihrer eigenen Art beweisen.6
Viele dieser Verserzählungen sind bisher schon das Objekt kritischer Analysen gewesen, während es mir hier nicht so sehr um die spezifischen Gattungsfragen oder inhaltlichen Aussagen geht, sondern darum, wie hier Erotik und Liebe gespiegelt werden und wie dieser Themenkomplex insgesamt dazu führte, dass intelligente Prozesse in die Wege geleitet werden können, die sich auf die individuelle Lebensbewältigung und das Arrangement mit der sozialen Struktur bzw. der Gesellschaft beziehen. Weiterhin soll dargestellt werden, wie stark einzelne Autoren der mæren darauf zielten, mittels ihrer ‚Liebesgeschichten‘ erkenntnisvermittelnd zu wirken, indem sie vor Augen führten, auf welche Weise das Medium Sprache dazu dienen konnte, um Verständnis davon zu entwickeln, wie religiöse, philosophische, ethische und moralische Aspekte im Leben zu bewältigen wären. Anstatt wie andere Forscher darauf zu insistieren, dass hier in dieser Gattung Elemente des Bösen, des Chaos und der Dekonstruktion stark zutage treten, was gelegentlich wohl der Fall sein mag,7 soll der Nachweis erbracht werden, dass über diese mæren ein fundamentaler Diskurs gepflegt wurde, wie die Erotik zum Einsatz gebracht werden konnte, um grundsätzliche Probleme in der Liebe, der Ehe und der Sexualität anzugehen und neuartig zu lösen bzw. zumindest kritisch zu umschreiben, um somit zur pragmatischen und glückserfüllten Lebensbewältigung beizutragen.
Die Vielfalt an diesen Verserzählungen ist ungemein groß, aber bei genauerer Hinsicht entdecken wir doch, dass insgesamt nur einige wenige wichtige Aspekte zur Sprache kommen. Ich konzentriere mich zunächst auf Dietrichs von der Gletze Der Borte, wende mich dann Ruprechts von Würzburg Die Treueprobe zu, um schließlich Heinrich Kaufringers Die Suche nach dem glücklichen Ehepar anzugehen. Es handelt sich jeweils um einen narrativen Versuch, das Verhältnis zwischen Mann und Frau innerhalb einer Ehebeziehung auszuloten und auf ironische Weise Missverständnisse, persönliche Eitelkeiten, Minderwertigkeits-komplexe, Angstzustände und Unsicherheiten zu diskutieren. Während die höfische Lyrik weitgehend allein aus männlicher Sicht nur solche Liebesbeziehungen aushandelte, die nicht ehelich bestimmt waren, und während die höfischen Versromane zwar auch Eheverhältnisse berücksichtigten, diese aber nur im Hintergrund behandelten, geht es bei sehr vielen spätmittelalterlichen mæren viel mehr um die Frage, wie das persönliche Verhältnis zwischen den Geschlechtern austariert werden konnte trotz zahlreicher Konflikte individueller und sozialer Art, wobei der jeweilige Erzähler stets die Intention verfolgte, sein (oder ihr?) Publikum zu unterhalten und intellektuell herauszufordern.8
Genauso wie in der Gegenwart erwies sich bereits in der Vormoderne die Ehe als ein Ort zahlreicher Konflikte zwischen den Geschlechtern. Ganz gleich, ob eine Ehe freiwillig geschlossen oder von den Eltern arrangiert wurde, so behandeln doch die mæren-Autoren das Verhältnis zwischen Mann und Frau durchwegs und konsistent als problemgeladen und schwierig, sei es, weil einer der Ehepartner unter Minderwertigkeitskomplexen leidet, sei es, weil die Kommunikation zwischen ihnen nicht reibungslos funktioniert, oder sei es, weil materielle Schwierigkeiten die guten Beziehungen zwischen den Partnern zu stören drohen. Dazu kommen oftmals Altersunterschiede, die Interessen von Außenstehenden, mithin Ehebruch, Gewaltausbruch etc. Natürlich beobachten wir allenthalben noch viele andere Konflikte, vor allem häusliche Gewalt, diverse Formen der Misshandlung, sexuelle Verführungen, Bedrohungen von außerhalb und, was ein kontinuierliches und überall wahrnehmbares Problem ausmacht, Missverständnisse, Eifersucht, Angst und Sehnsucht. Wenn man die Fülle von mæren genauer betrachtet, wirkt es schließlich geradezu erstaunlich, wie verwandt die Anliegen zu denjenigen sind, die uns heute weiterhin beschäftigen. Wir lachen und klagen mit den Protagonisten und können erstaunlich leicht nachvollziehen, warum es zu Konflikten kommt und warum sich die dann gebotenen Lösungsvorschläge als produktiv erweisen, d.h. sogar anwendbar für unsere eigene Welt.
Zwar sind all diese Verserzählungen durch die sie tragenden historisch-kulturellen Bedingungen geprägt, denn sie spiegeln eindeutig die Welt des europäischen Spätmittelalters wider, aber wir bedürfen nur weniger Übersetzungsanstrengungen, um schnell wahrzunehmen, dass auch diese literarischen Werke für die eigene Gegenwart von Relevanz sind und Bedeutung besitzen. Gerade weil sie sich alle durch einen gewissen Grad an Fremdheit auszeichnen, die aber nicht unüberwindliche Hürden ausmacht, vermögen sie selbst heute noch ausgezeichnet als literarische Medien zu dienen, um zeitlose Fragen anzugehen und kritisch zu behandeln.9
Obwohl wir uns hier auf deutschsprachige Beispiele beziehen, darf niemals vergessen werden, dass es sich um ein pan-europäisches Phänomen handelt, das stark beeinflusst, geprägt und gestaltet wurde durch so große Dichter wie den anonymen Verfasser der Gesta Romanorum (spätes 13. oder frühes 14. Jahrhundert), dann den Zisterziensermönch Caesarius von Heisterbach (Dialogus Miraculorum, ca. 1220) und den italienischen Renaissance-Gelehrten Giovanni Boccaccio (Decamerone, ca. 1351). Gerade letzter wurde stark in ganz Europa rezipiert, wie Geoffrey Chaucers Canterbury Tales (ca. 1400) und die Sammlung Cent Nouvelles Nouvelles (ca. 1450–1460) beweisen, und wie wir es zahlreich auch in deutschen mæren und dann Schwänken beobachten können.10
Viele andere Namen und Werktitel wären hier noch zu erwähnen, es genügt dies alles aber bereits, um deutlich zu machen, wie intensiv besonders im Spätmittelalter auf diesem literarischen Gebiet die Themen von Liebe, Ehe, Sexualität und dann natürlich viele andere damit zusammenhängende Problemen zwischenmenschlicher Art behandelt wurden. Der Diskurs jener Zeit appelliert weiterhin an uns heute, zwar nicht als eine direkte Antwort auf moderne Fragen oder Konflikte, dafür aber als ein relativ fremder, dennoch signifikanter Spiegel menschlicher Verhaltensformen.11 Allerdings beschränken sich weder Boccaccio noch Chaucer, weder Kaufringer noch Poggio Bracciolini – siehe auch Franco Sacchetti,