Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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So entstehe ein dialogischer Prozess, der Rückwirkungen auf das Selbstverständnis eines jeden Einzelnen habe und eine Veränderung des eigenen Vorverständnisses mit sich bringe. Die besondere Bedeutung des Einnehmens der Innenperspektive in diesem Prozess sei dadurch begründet, dass sie verhindere, dass der Andere im Verstehensprozess unter bestehende Wertvorstellungen subsumiert werde. Aufgabe des Unterrichts sei es, diesen Perspektivenwechsel anzuregen. Hierin sieht Bredella die Grundlage für den Einsatz von Literatur im Fremdsprachenunterricht, den er vorwiegend an historischen literarischen Texten illustriert. Der eingängige und auch in der Alltagssprache etablierte Begriff Perspektivenwechsel neigt jedoch zur Verdeckung der Tatsache, dass der beabsichtigte Wechsel mit dem gleichbleibenden Wahrnehmungsapparat erfolgt, in dieser binären, idealisierten Form also kognitionsbedingt kaum möglich ist. Zumal dann nicht, wenn der Lerner / Leser – wie auch bei den Deutungsmustern dargestellt – nicht bereits über das entsprechende Vorwissen verfügt. Bolscho (2005) verweist in diesem Zusammenhang auf die Begrenztheit der Definition von Eigenem und Fremden und führt die intrakulturelle Variationsvielfalt und Binnendifferenz als Gegenevidenz zu binären Fremdheitsmodellen an, wie sie in Arbeiten des Gießener Graduiertenkollegs Didaktik des Fremdverstehens angewendet wurden (Bredella, Christ & Legutke 2000; Bredella & Christ 1995 in Datta 2005; vergleiche auch Brumlik 2006 und Fäcke 2006). Auch würden gesellschaftspolitische Bedingungen der Fremdkulturen nicht thematisiert oder reflektiert (Fäcke 2006: 13). Dass der Lerner durch Kontrastierung verschiedene Perspektiven kennenlernen kann, ist unbestritten, aber ob er sich durch die reine Gegenüberstellung, also ohne den Einfluss seines Vorwissens, willkürlich in die Innenperspektive einer anderen Gesellschaft versetzen kann, ist fraglich (vergleiche Krusche 2002: 389). Es ist empirisch bisher nicht belegt, dass die theoretischen Konzepte in der Lehr- und Lernpraxis funktionieren. Es gibt wenige Studien aus dem Schul- und Studiumsbereich, die interkulturelle Lernziele einer empirischen Überprüfung unterziehen. Hierzu gehören die Arbeiten zur Einstellungsveränderung durch Austauschprogramme. Deren Ergebnisse aber lassen Zweifel daran aufkommen, ob die rein kontrastbasierten, ohne Vermittlungs- und Reflexionsbegleitung auskommenden Austauschprogramme das erreichen, was sie vorgeben. Insgesamt dokumentieren die Studien sogar eher gegenläufige Bewegungen: Ein Mehr an Kontakt und Beschäftigung mit der fremden Kultur führt oft zu einer Verstärkung bestehender Vorurteile und Stereotypen über die fremde Kultur, also einem erschwerten Zugang zur Innenperspektive und einer weiteren Verzerrung der Außenperspektive. Verzerrte Wahrnehmungen der eigenen Kultur sind ein ebenso häufig beobachtetes Ergebnis. Die Verstärkungen bestehender Vorurteile lösen sich unter Umständen erst in späteren Phasen auf, wie eine Forschungsübersicht und die empirischen Ergebnisse der deutsch-japanischen Studie in Sato-Prinz (2011 und Lerneinheit 7.3 in diesem Band) belegen. Durchgängig verweisen die Studien auf die Notwendigkeit guter Rahmenbedingungen und begleitender Vermittlungsprozesse für das Gelingen von Perspektivenwechseln und den Abbau verzerrter Wahrnehmungen (Webber 1996).
Brière (1986: 205) spricht hier von einem explizit interkulturellen Ansatz im Kulturkontakt:
The study of a foreign language does not, in itself, automatically offer a way out of ethnocentrism. It is a mistake to believe that contact with a foreign world automatically brings cultural understanding. On the contrary. As Laurence Wylie pointed out about a survey of some junior year abroad programs, ‘students who were somewhat suspicious of what they were about to experience in France returned francophobes. Those who had been curious and eager about their experience became ardent francophiles. Contact simply deepens the feeling you already have.’ […] An explicit intercultural approach is all the more essential […].
Unter guten Betreuungs- und Vermittlungsbedingungen, wie ihn der interkulturelle Ansatz fordert, stellt Medina (2008) positive Veränderungen in den Einstellungen von Austauschschülerinnen und -schülern bei Aufenthalten in Mexiko gegenüber ihrem Heimat- und dem Gastland sowie ein verändertes Verständnis ihrer eigenen kulturellen Identität fest. Auch Seebauer (2009) verzeichnet ähnliche Verhaltenstendenzen, kann aber keine signifikanten Änderungen vermerken. Coleman (1996) gehört dagegen zu den Skeptikern von Austauschprogrammen. Die Studie zeigt, dass viele Untersuchungen zu vermeintlich positiven Aspekten des Austauschs auf anekdotischer Evidenz basieren (Coleman 1996: 110). Laut Colemans Vergleichsstudie unterschiedlicher Jahrgänge kann davon ausgegangen werden, dass sogar circa 15 % der Studentinnen und Studenten, die im Ausland studieren, mit schlechteren Einstellungen zur fremden Kultur zurückkehren, als sie sie vor der Ausreise hatten. In Lerneinheit 7.3 in diesem Band stellt Manuela Sato-Prinz die neuesten Ergebnisse einer umfangreichen Studie zum Lern- und Veränderungsverhalten von Austauschstudentinnen und -studenten ausführlich dar und diskutiert die gängigen Vorstellungen von Internationalisierungsstrategien kritisch im Lichte dieser Ergebnisse.
Diese Entwicklung deutet jedoch nicht auf eine globale Verschlechterung der Einschätzungen mit zunehmender Kontakterfahrung hin, denn ehemalige Austauschstudentinnen und -studenten weisen auf einen vermehrten Wunsch nach zukünftigem beruflichen Bezug zu Deutschland hin. Es zeigt sich an der Art und Weise der Beschreibungen, dass die Austauschstudenten insgesamt ein differenzierteres Bild des Fremden entwickeln. Das nur auf vermittelten und nicht auf eigenen Erfahrungen beruhende und durch stereotype Annahmen geprägte Ausgangsniveau erweist sich als oft zu positiv besetzt. Sato-Prinz (2011 und Lerneinheit 7.3 in diesem Band) folgert in Anlehnung an Grünewald (2004), dass die Veränderungen mit zunehmendem Kontakt eine realistischere Einschätzung der fremden Kultur und – bedingt auch der eigenen – bewirken (siehe auch Budke 2003). In den Beschreibungen der Studenten offenbart sich allerdings keine allzu große Differenzierung des Eigenbildes durch den Kontrast zur fremden Kultur. Die Definitions- und Wahrnehmungskriterien werden demnach vor allem in Bezug auf das Bild der fremden Kultur verfeinert. Mit Markus und Kitayama (1991) kann also gefolgert werden, dass kulturspezifische und individuelle Faktoren zusammenwirken und konstitutiv – und zu einem gewissen Grade gegen äußere Einflüsse resistent – bei der Konstruktion des Selbst mitwirken:
It is important to note, however, that our initial observations lead us to believe that there is also substantial within-culture variation in the construal of the self. Thus, within each culture, there is likely to be a distribution of people ranging from those who are most concerned with independence to those who are most concerned with interdependence. Moreover, within each culture, there is also likely to be significant divergence in how the self is construed on the basis of gender, ethnicity, religion, region of the country, and according to historical and generational cohort. (Markus & Kitayama 1991: 20)
Die Vorstellung, einfacher Kontakt von Kulturen führe automatisch zu interkulturellem Verstehen, bedarf daher kritischer Betrachtung:
Contrary to popular belief, inter-group contact does not necessarily reduce inter-group tension, prejudice, hostility and discriminatory behavior. Yet one often hears politicians, church leaders and other public figures saying that if only people of diverse cultural backgrounds could be brought into contact with each other, they would surely develop a mutual appreciation of their points of view and grow to understand, respect and like one another. (Bochner 1982: 16)
Ein belastbarer Fortschritt lässt sich durch die postulierte Kontrastierung von vermeintlich Eigenem und Fremdem nicht verzeichnen, solange nicht die Bedingungen des kognitiven Apparates berücksichtigt werden. Lerneinheit 7.3 von Sato Prinz zeigt, wie dieser kognitive Apparat mittels Akkommodations- und Assimilationsprozessen die neu gemachten Erfahrungen in bestehende, mehr oder weniger verfestigte Bilder, Einstellungen und Verhaltensformen in Bezug auf die Ausgangs- und die Zielkultur restrukturierend integriert und dabei auch gegenläufige Veränderungen bewirkt, zum Beispiel in Bezug auf Generalisierungs- und Differenzierungsstrategien.
1.3.3