Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Den Weg zur Horizontverschmelzung als Kernelement der interkulturellen Hermeneutik betrachten die interkulturelle Sprachdidaktik und verwandte Ansätze als graduell bewältigbaren Prozess der Annäherung. An Modellen der sukzessiven Annäherung an das Fremde orientieren sich unter anderem die Lehrwerke Sichtwechsel (Hog, Müller & Wessling 1984), Typisch Deutsch? (Behal-Thomsen, Lundquist-Mog & Mog 1993) und Für- und Widersprüche (Roche & Webber 1995), die bemerkenswerterweise alle aus der gleichen Epoche stammen, aber keine Nachfolger gefunden haben. Ihre Fortsetzung finden die Ansätze der interkulturellen Sprachdidaktik in der stärkeren Fokussierung auf Aspekte der Transkulturation (Ehrhardt 2009; Reimann 2008; Rieger 2008; Engelbert 2008; Birk 2008; Brunnhuber 2008; Janich 2002; Agar 1994). Wie man sich den Annäherungsprozess vorstellen kann, illustriert das 5-Phasenmodell der interkulturellen Sprachdidaktik. Es bietet eine Orientierung für eine Vorgehensweise, die zu multiperspektivischem Lernen führen soll und mit mehr oder weniger unterrichtlicher Steuerung eingesetzt werden kann. Sein Ablaufschema liegt dem Lehrwerk Für- und Widersprüche (Roche & Webber 1995) zugrunde. Das Modell impliziert, dass die präsentierten Themen auf das Interesse der Lerner stoßen und somit authentische (für die Lerner relevante) Prozesse der intellektuellen Auseinandersetzung mit interkulturellen Thematiken auslösen, die die Ausgangskultur und -sprache der Lerner mitberücksichtigen. Über verschiedene didaktische Schritte lässt sich der Fremdheit erschließende Zugang (neben anderen) operationalisieren. Dabei ist eine unterrichtsmethodische Reduzierung oder Auflösung der Fremdheit weder Bedingung noch Ziel des Verfahrens.
Trotz verschiedener Ähnlichkeiten zu Bennetts Modell von interkultureller Kommunikation (1993) handelt es sich beim 5-Phasenmodell nicht um eine Ableitung davon. Der Zugang zum Fremdverstehen erfolgt nicht global, sondern in Teilbereichen, wie es für didaktische Verfahren üblich ist. Die Stufen des 5-Phasenmodells der interkulturellen Sprachdidaktik gestalten sich folgendermaßen:
Phase | Aktivitäten |
1. Aktivierungsphase | Formulierung der ersten Reaktionen auf das Thema Herstellung der Relevanz Aktivierung des Vorwissens |
2. Thematische Differenzierungsphase | Herausforderung oder Bestätigung eigener Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Lerner weitere Exploration |
3. Strukturelle Differenzierungsphase | Bearbeitung der Aufgaben des Themas anhand diverser Hilfestellungen |
4. Expansionsphase | Vervollständigung der thematischen Differenzierung Einbringen und Sammeln neuer Perspektiven Erweiterung der inhaltlichen Diskussion |
5. Integrationsphase | Erläuterung kontroverser Perspektiven Hervorhebung der sprachlichen Variation in unterschiedlichen Textsorten |
Tabelle 1.1: Die Stufen des 5-Phasenmodells
1 Die Aktivierungsphase (Vorentlastung) ermöglicht es den Lernern, ihre ersten Reaktionen auf das Thema einer Lerneinheit zu formulieren und zu ordnen sowie die Relevanz für sich herzustellen. Die wichtigsten sprachlichen und konzeptuellen Fragen, die bei der Durchführung der Aufgaben eine Rolle spielen könnten, werden bearbeitet, und Hilfen werden zur Verfügung gestellt. Vorwissen wird aktiviert, meist durch Assoziationen. Die Lerner können aktiv an der Findung und Formulierung des Themas beteiligt sein.
2 Die thematische Differenzierungsphase (in Form eines ersten Haupttextes, einer ersten Aktivität oder einer Sammlung von kürzeren Texten) gibt eine bestimmte Perspektive zum Thema wieder, die die Ansichten, Meinungen und Einstellungen der Lerner herausfordert oder bestätigt und damit zu weiterer Exploration führt. Das Thema und ein angemessener Behandlungsmodus werden somit gleichzeitig etabliert. Wichtige sprachliche Mittel zur Lösung der anstehenden Aufgaben werden zur Verfügung gestellt. Assoziatives Denken und Vergleichen werden gefordert und gefördert, um so Reflexionen auszulösen und zu ersten Schlussfolgerungen zu führen.
3 Die strukturelle Differenzierungsphase (Kontextualisierung / Spezialisierung) stellt verschiedene Hilfsmittel zur Bearbeitung der Aufgaben des Themas zur Verfügung: Informationsquellen (inklusive Internetrecherchen), Methoden, Techniken und Strategien für den vertieften Umgang mit dem Thema wie zum Beispiel Grammatik, Wortschatz und Lernstrategien. Auch diese Hilfsmittel werden interkulturell vermittelt und erarbeitet, und zwar, soweit möglich, mit thematischem Bezug auf die entsprechende Lerneinheit. Teile dieses Abschnittes können auch als „Auszeiten“ für grammatische oder strategische Vertiefungen arrangiert werden. Stärker strukturierte Formen des Denkens, wie das konzeptuelle (bedeutungsbezogene) und taxonomische (ordnende) Denken, treten dabei in den Vordergrund.
4 Die Expansionsphase vervollständigt die thematische Differenzierung in Bezug auf Information, Spezifik beziehungsweise Perspektive. Hier werden neue Perspektiven eingebracht und versammelt, um damit die (inhaltliche) Diskussion zu erweitern und um die bestehenden Perspektiven der Lerner weiter entwickeln zu helfen. Zusätzliche Vergleiche und Reflexionen werden initiiert. Deduktives Denken tritt hierbei in den Vordergrund. Das sprachliche Repertoire wird durch zusätzliche Begriffe und Strukturen verfeinert und entsprechend geübt.
5 In der Integrationsphase (Gegenüberstellung) wird das zuvor erreichte Diskussions- und Wissensniveau weiteren, auch deutlich kontroversen Perspektiven gegenübergestellt, und zwar nach Möglichkeit mit gleichzeitigem Blick auf die sprachliche Variation in unterschiedlichen Textsorten. Die sprachliche Formulierung der verschiedenen Perspektiven sollte mit Ausnahme der rezeptiven Fertigkeiten möglichst nicht über das sprachliche Niveau der Lerner hinausgehen. Die Lerner sollten die Materialien aber selbständig nutzen und ihre eigenen Ansichten mit dem entsprechenden Selbstvertrauen und der nötigen sprachlichen Sicherheit vertreten können. Der Grad des deduktiven Denkens soll dabei erhöht werden.
Die fünf Phasen werden durch zahlreiche Referenzmaterialien, also die Nutzung von Wörterbüchern, Grammatiken, Adressen, Internetquellen, weiteren Lesetexten und ähnlichem ergänzt, die für das selbständige Lernen nötig sind. Der Umfang der Phasen ist variabel. Er kann entsprechend den Bedürfnissen der Lerner und der Lernziele angepasst werden. Alle Phasen basieren auf bedeutungstragenden Beziehungen. Assoziative Denkformen werden zunehmend durch deduktive ersetzt, je weiter die Lerner in den Phasen fortschreiten. Das vierstufige Modell des interkulturellen Sprachunterrichts von Byram und Morgan (1994: 50) enthält ebenfalls systematisierte Didaktisierungsvorschläge (vergleiche auch Witte 2006) zur Progression im interkulturellen Unterricht).
Aus der Darstellung der verschiedenen kulturvermittelnden Ansätze werden unterschiedliche Schwerpunkte und Ziele deutlich. Neben traditionellen faktenorientierten und vorwiegend auf die Rekonstruktion denotativen Wissens ausgerichteten Verfahren, mit verschieden starker linguakultureller Orientierung, finden sich zunehmend Ansätze, die in unterschiedlichem Maße konstruktivistische Aspekte des Fremdverstehens berücksichtigen. Wie diese mit Prozessen der Transkulturation vereinbar sind, soll im folgenden Kapitel behandelt werden.
1.3.4 Zusammenfassung
In dieser Lerneinheit ging es darum, die Relevanz der interkulturellen Hermeneutik für die Sprach- und Kulturvermittlung kritisch zu reflektieren. Dabei zeigt sich, dass die wesentlichen Konzepte der Hermeneutik oft leichtfertig und nicht gut verstanden herangezogen werden, um didaktische Verfahren zu begründen. Die Begriffe das Eigene und das Fremde oder Perspektivwechsel und ähnliche signalisieren ein mangelndes Verständnis für die kognitive Umsetzbarkeit anspruchsvoller Lehrpostulate. In dieser Einheit haben Sie
die theoretischen Grundlagen der interkulturellen Sprachdidaktik und eine Reihe einschlägiger Referenzen kennengelernt;