Kultur- und Literaturwissenschaften. Группа авторов
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Die stereotype, deterministische Darstellung von Kulturen, die nicht erklärt, wie sich die Dimensionen oder Standards entwickeln, die nicht auf Binnendifferenzierung, Veränderbarkeit, Dynamik, Identitätsbildung und Gruppenzugehörigkeit eingeht, wird in den Kulturwissenschaften zunehmend kritisiert.
Dabei wird in der Regel eher implizit, ein essentialistisches und homogenisierendes Verständnis von ‚Kultur‘ bzw. ‚Kulturen‘ vorausgesetzt, wonach es sich bei ‚Kulturen‘ um reale, nach außen mehr oder weniger klar abgegrenzte und nach innen meist mehr oder weniger homogene, meist national oder ethnisch definierte Gruppen von Menschen handelt, die ‚objektiv‘ bestimmte Gemeinsamkeiten des Verhaltens, Wahrnehmens, Denkens und Fühlens ausweisen. […] Homogene Nationalkulturen, wie dieser Begriff sie unterstellt, hat es – zumindest in modernen Industriegesellschaften – wohl noch nie gegeben. (Altmayer 2006: 48)
Homogenisierung und Banalisierung kultureller Prinzipien versucht der Deutungsmuster-Ansatz mittels interpretativer Verfahren zu vermeiden. Als Grundlage dienen ihm dafür kulturelle Produkte aller Art, vor allem auch sprachliche.
1.2.5 Kulturelle Deutungsmuster
Das Konzept des DeutungsschemaDeutungsschemas geht zurück auf die sozialphänomenologische Wissensanalyse von Alfred Schütz (1932) und baut auf der Differenz von subjektiver und objektiver Perspektive auf. Die subjektive Perspektive bezieht sich auf die Konstruktion des Sinnverstehens des Subjekts, die objektive Perspektive stellt demgegenüber eine Konstruktion von sozialen Gesetzmäßigkeiten aus der Beobachterperspektive dar (Reckwitz 2008: 369). Die Unterscheidung der beiden Perspektiven dient als Grundlage einer Differenzierung verschiedener Konstellationen des Fremdverstehens. Hier unterscheidet Schütz, ob es sich um fremde Bewusstseinserlebnisse oder lediglich Handlungsobjektivationen handelt, ob sich das Fremdverstehen auf instrumentelles oder signifikatives Handeln richtet, in welchem räumlichen und zeitlichen Verhältnis sich Interpret und das zu Verstehende zueinander befinden und in welchem Handlungskontext die Verstehensakte zueinander stehen (Reckwitz 2008: 379ff). Situativität und Pragmatik der Perspektive spielen demnach eine entscheidende Rolle. Als zentrales Konzept gelten Deutungsmuster bei Oevermann (1979). In Oevermanns Verständnis geben Deutungsmuster den Rahmen für die Deutungsmöglichkeiten der Akteure, bringen aber Handeln nicht selbst hervor.
Der landeskundlich verdichtete Ansatz, Zugang zu anderen Kulturen über kulturelle Deutungsmusterkulturelles Deutungsmuster zu finden, manifestiert sich im Gegensatz zu dem subjektiven, von verschiedenen Faktoren abhängigen, dynamischen Charakter des Deutungsschemas vor allem in der Rekonstruktion einer objektivierbaren Perspektive aufgrund kultureller Erscheinungen. Unter kulturellen Deutungsmustern versteht man in der Landeskunde – anders als in der Sozialphänomenologie von Schütz – musterhaft verdichtete und im kulturellen Gedächtnis gespeicherte Einzelelemente des Wissens einer Gesellschaft. Im alltäglichen Sprachgebrauch, aber auch in anderen Medien und Registern werden Deutungsmuster aktiv. Altmayer (2010) geht davon aus, dass diese Muster in der Regel implizit und selbstverständlich als allgemein bekannt und akzeptiert vorausgesetzt werden können. Die Aufgabe kulturwissenschaftlicher Forschung bestehe demnach vor allem darin, die kulturellen Deutungsmuster zu rekonstruieren, sie auf die Ebene des Expliziten zu heben, sichtbar und damit auch lernbar zu machen (Altmayer 2010). Kulturelle Deutungsmuster weisen folgende Charakteristika auf. Sie
enthalten abstraktes und typisiertes Wissen über einen Erfahrungsbereich;
dienen dazu, neue Erfahrungen und neue Informationen zu den bestehenden Wissensstrukturen in Beziehung zu setzen;
sind durch Ablagerungen erfahrungsgesättigt, aber nicht durch individuelle, sondern kollektive Erfahrungen;
weisen eine gewisse Konstanz und Stabilität auf und werden immer wieder herangezogen;
sind nicht im kognitiven Apparat des Individuums verankert, sondern einer Sprach- und Kommunikationsgemeinschaft gemeinsam. (Altmayer 2004: 154)
Typisierungen, Konstanz und Stabilität der kollektiv gegebenen Muster geben jedoch keine echten Hinweise darauf, wie die Aktanten des gesellschaftlichen Konsenses Muster erzeugen und was die Ursachen der Abgeschlossenheit der Muster sein könnten. Begriffe wie Kommunikationsgemeinschaft suggerieren einen vagen Referenzrahmen, realisieren aber weder die Binnendifferenzierung von Gesellschaften noch die zunehmende Offenheit und Veränderbarkeit multikulturell geprägter Gesellschaften. Fremde, untypische Einflüsse bleiben ungeklärt oder sind aus den Deutungsmustern herauszufiltern. Zwar wird postuliert, dass Deutungsmuster veränderbar (vergleiche Lerneinheit 4.3 in diesem Band) und flexibel seien, aber wenn sie sich dem kognitiven Apparat des Individuums als Grundlage jeder Wahrnehmung und Wissensgenerierung entziehen, bleibt offen, wie die Änderung und Verarbeitung ohne kognitiv zu leistende Prozesse erfolgen könnte. Dieses Modell gibt kaum Hinweise auf die Prozesse der Wissensgenerierung, wie sie die Schematheorie liefert, und es verweigert sich explizit empirischen Zugängen.
Von hier aus aber gewinnt auch die Frage nach der Kultur einen völlig neuen Sinn: Als ‚kollektive Standardisierung‘ bzw. als Identifikationsangebot, das mir aus meiner Zugehörigkeit zu verschiedenen Kollektiven zur Verfügung steht, ist sie prinzipiell nicht aus einer distanzierten und vermeintlich ‚objektiven‘ Perspektive eines empirischen Beobachters, sondern allein aus der Perspektive eines verstehenden Nachvollzugs der von den beteiligten Subjekten selbst vorgenommenen Sinnzuschreibungen und Identitätskonstruktionen aus zugänglich. Damit aber sind nicht die empirischen Sozialwissenschaften, sondern die verschiedenen Ansätze eines interpretativen Paradigmas, von der Verstehenden Soziologie eines Max Weber oder Alfred Schütz über die hermeneutische Ethnologie eines Clifford Geertz bis zur Hermeneutik Gadamers und der Theorie des kommunikativen Handelns von Habermas die wissenschaftlichen Traditionen, auf die die kulturtheoretische Debatte auch im Fach Deutsch als Fremdsprache Bezug nehmen kann und muss. (Altmayer 2002: 8)
Für den Erwerb neuen Wissens, der Kern der Landeskundevermittlung ist, wäre der Deutungsmuster-Ansatz geeignet, wenn er Hinweise enthalten würde, wie sich ein Lerner ohne Kenntnis dieser Muster und ohne den nötigen – möglicherweise recht elaborierten – Sprach- und Konzeptapparat Zugang zu diesen fremden Mustern verschaffen kann. Dass sich diese aus den bildlichen, textlichen und anderen Produktionen „Kulturschaffender“ von selbst ergeben, ist wegen des Mangels an nötigem Wissen (gerade bei Sprachlernern) unwahrscheinlich. Die Gefahr ist also groß, dass sich kulturelle Deutungsmuster ähnlich wie die dargestellten Modelle des interkulturellen Trainings in der Umsetzungspraxis an vergleichsweise deterministischen, variantenarmen und veränderungsresistenten Vorstellungen einer nationalgeprägten Kultur orientieren. Vom fremden Lerner wird das Erkennen der objektiven Fremdheit im Sinne der von Lösch sogenannten AlienitätAlienität erwartet. Die Unterscheidung von Alienität und AlteritätAlterität – als der vom Individuum konstruierten Fremdheit – wird damit aufgegeben (Lösch 2005: 32f). Wierlacher (1985) versteht das Konstrukt Alterität als Deutungsmittel beziehungsweise Interpretament. Mit modernen konstruktivistisch-semiotischen Kulturkonzepten, wie sie etwa auch von Nünning und Nünning (2003) formuliert wurden, sind kulturelle Deutungsmuster folglich kaum in Einklang zu bringen. Wenn man Kulturen als subjektive Repräsentationen und dynamische Konstruktionen betrachtet, dann ist eine Vermittlung von Sprache und Kultur impliziert, die nicht durch die Präsentation denotativer Fakten oder die Rekonstruktion kohärenter, mehr oder weniger fixierter Muster bewerkstelligt werden kann. Denn
[…] culture is not an object to be described, neither is it a unified corpus of symbols and meanings that can be definitely interpreted. Culture is contested, temporal, and emergent. Representation and explanation – both by insiders and outsiders – is implicated in this emergence. (Clifford 1986: 19)
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