Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie. Группа авторов

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Lockdown, Homeschooling und Social Distancing – der Zweitspracherwerb unter akut veränderten Bedingungen der COVID-19-Pandemie - Группа авторов

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50), entstehen aus einer Vielzahl von Wahrnehmungen über Sprachen und deren Sprecher*innen. Alle beteiligten Akteur*innen, von den Bildungspolitiker*innen bis hin zu den Lehrkräften, sind immer schon durch gesellschaftlich vorherrschende Wissensbestände über natio-ethno-kulturell-linguale (Nicht-)Zugehörigkeit(en) geprägt und positionieren sich aktiv oder passiv dazu (vgl. Füllekruss/Dirim 2020: 79). Lehrer*innen befinden sich aus dieser Perspektive im Zentrum komplexer sprachpraktischer und sprachenpolitischer Prozesse (vgl. Menken/Garcia 2017: 211); und sie sind, wie die Forschung zeigt, ebenfalls zu einem beträchtlichen Maß daran beteiligt, Integration und Inklusion in Bildungsinstitutionen zu ermöglichen oder zu verhindern (vgl. Fettes/Karamouzian 2018).

      Die Bandbreite der Praktiken und die spezifischen Mechanismen an Schulen, aus denen die tatsächlich realisierte Sprachenpolitik in den Unterrichtspraktiken resultieren, ist bis jetzt noch unbekannt (Menken/Garcia 2017: 220), und die überaus heterogene Gruppe von Schüler*innen, die als „neu zugewandert“ kategorisiert werden (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 13), befindet sich im Brennpunkt sprachenpolitischer Auswirkungen und multilingualer Spracherwerbsprozesse. Die Sichtweise von Language Policy als Zusammenspiel der Aspekte Sprachmanagement, Sprachpraktiken und Sprachideologien (vgl. Spolsky 2017) erlaubt es, Language Education als Sprachmanagement zu sehen: Management in dem Sinne, dass jemand, der Autorität hat oder zumindest beansprucht, mit der Absicht handelt, die Sprachpraktiken eines Individuums zu beeinflussen oder zu verändern, zum Beispiel seine Sprachkenntnisse zu erweitern (vgl. Spolsky 2017: 5).

      Hier setzt unser Beitrag an, welcher den Fokus auf die Lehrkräfte richtet. Während der COVID-19-Pandemie 2020/21 waren Lehrkräfte damit konfrontiert, ihre Unterrichtsorganisation passend zu den jeweiligen landespolitischen Vorgaben auf die besonderen Bedürfnisse der neu zugewanderten Schüler*innen abzustimmen. Wie Lehrkräfte in Vorbereitungsklassen mit der komplexen Gemengelage sprachenpolitischer Vorgaben umgehen, wie sie sich diese aneignen und umsetzen, wurde bislang im deutschsprachigen Raum kaum untersucht; wie sich die durch die COVID-19-Pandemie bedingten Veränderungen auf ihren Schulalltag in der Vorbereitungsklasse auswirken, wurde bislang nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch im öffentlichen Diskurs kaum thematisiert.

      Im Rahmen unserer qualitativ-rekonstruktiven Studie zu Language Education Policies im Kontext der Bildung mehrsprachiger neu zugewanderter Schüler*innen in Baden-Württemberg wurden mit Lehrkräften in Vorbereitungsklassen an Grundschulen und weiterführenden Schulen episodische Interviews geführt. Diese wurden nach GAT (vgl. Selting et al. 2009) transkribiert, um eine mikrosprachliche Feinanalyse (vgl. Kruse 2015: 475) im Sinne des integrativen Basisverfahrens (vgl. Kruse 2015) zu ermöglichen. Weitere, insbesondere narrative Analyseverfahren (vgl. Bamberg/Georgakopoulou 2008; Goodwin 2016), wurden als methodische Analyseheuristik für die Feinanalyse integriert, und die Interpretation auf der Folie der kritischen Language Policy-Forschung (z.B. Wiley/García 2016) reflektiert. Dabei wird aus der „Panoramaperspektive“ in die „Nahperspektive“ gewechselt, um „die aus der Ferne wahrnehmbaren Konturen verlässlicher zu erkennen und punktuell genauer zu erkunden“ (Meng 2001: 15).

      Die Analyse von vier episodischen Interviews, die im Dezember 2020 und Januar 2021 entstanden und jeweils ca. 90 Minuten dauerten, bietet einen Einblick, wie die Lehrkräfte mit Vorgaben, Herausforderungen und gestalterischen Spielräumen während der Pandemie umgehen. Der Erhebungszeitpunkt erlaubt einen Rückblick auf die erste Schulschließung im Frühjahr 2020 sowie auf die Phase der teilweisen Schulöffnungen im Sommer und Herbst bis hin zu Aktivitäten, um sich auf die drohende erneute Schulschließung im Januar 2021 vorzubereiten. Es wird sichtbar, wie sich die Lehrer*innen selbst positionieren, welche Rollen sie sich im Prozess der Ausgestaltung des Unterrichts zuschreiben, welche Praktiken und Strategien sie entwickeln, wie sie diese legitimieren und welche (sprach-)ideologischen Positionen sie dabei rekonstruieren. Es wird sichtbar, wie sie damit die konkrete Ausgestaltung der Bildungsvorgabe beeinflussen, „neu zugewanderten“ Kindern die Schulsprache in einem Maß zu vermitteln, dass sie an der jeweiligen Schule in den Regelunterricht integriert werden können.

      2 Schulische Rahmenbedingungen für Sprachförderung und Vorbereitungsklassen in Baden-Württemberg

      Bundesweit liegen verschiedene schulorganisatorische Modelle zur Beschulung neu zugewanderter Schüler*innen vor, die sich zwischen den Polen eines submersiven Modells des Unterrichts in der Regelklasse ohne spezifische Deutschförderung bis hin zu einem parallelen Modell mit Unterricht in speziell eingerichteten Klassen bewegen; zwischen diesen Polen gibt es stärker integrative Varianten von Regelklassen mit zusätzlicher Sprachförderung sowie teilintegrative Varianten, in denen die Schüler*innen in eigenen Klassen beschult werden, aber anteilig bereits am Unterricht der Regelklasse teilnehmen (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 44). Inzwischen zielen alle schulorganisatorischen Modelle darauf ab, einen schnellstmöglichen Übergang in das Regelsystem zu ermöglichen. Wie die politischen Rahmenvorgaben der Länder zur Schulorganisation dann im Detail umgesetzt und konkretisiert werden, obliegt den Schulen (vgl. Massumi/von Dewitz 2015: 44). Die konkreten Rahmenbedingungen dafür unterscheiden sich je nach Bundesland und die tatsächliche praktische Umsetzung ist wiederum je nach Schule unterschiedlich.

      Die erste Sichtung von sprachenpolitisch relevanten Dokumenten zeigt, dass auf Baden-Württemberg bezogen die „Verwaltungsvorschrift des Kultusministeriums über die Grundsätze zum Unterricht für Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen an allgemein bildenden und beruflichen Schulen“ vom 1. August 2017 eine zentrale Rolle in Sprachmanagement-Prozessen spielt. Sie bildet die rechtliche Grundlage für Sprachfördermaßnahmen, VKL (Vorbereitungsklassen) und VABO (Vorqualifizierungsjahr Arbeit/Beruf mit Schwerpunkt Erwerb von Deutschkenntnissen) und konkretisiert die Rahmenbedingungen landesspezifisch. Die Vorgaben darin sind zunächst sehr offen:

      Kinder und Jugendliche mit nichtdeutscher Herkunftssprache und geringen Deutschkenntnissen besuchen im Bereich der allgemein bildenden Schulen die ihrem Alter und ihrer Leistung entsprechende Klasse der in Betracht kommenden Schulart. Sofern dies aufgrund mangelnder Kenntnisse der deutschen Sprache nicht möglich ist, nehmen sie an besonderen Sprachfördermaßnahmen teil. Sprachförderung kann dabei stattfinden in eigens gebildeten Klassen (Vorbereitungsklassen), in einem Kurssystem oder durch sonstige organisatorische Maßnahmen (zum Beispiel Teilungsstunden, Förderunterricht) der Schule (Ministerium KJS 2017a: 4).

      Maßgebend „für die Einrichtung und Klassenbildung“ ist „der Organisationserlass in der jeweiligen Fassung“: „Die Vorbereitungsklasse wird als Jahrgangsklasse oder als jahrgangsübergreifende Klasse geführt“ (Ministerium KJS 2017a: 6). Der genannte Organisationserlass (Verwaltungsvorschrift des Ministeriums für Kultus, Jugend und Sport zur Unterrichtsorganisation und Eigenständigkeit der Schulen) weist für das Schuljahr 2020/2021 für Grundschulen z.B. folgende Punkte aus: Ab einer Mindestschüler*innenzahl von 4 können Sprachförderkurse oder eine „nachgehende” Sprachförderung eingerichtet werden (Teiler bei 16), für diesen Kurs erhält die Schule „im Rahmen der zur Verfügung gestellten Stellen” je Gruppe bis zu vier Lehrerwochenstunden zugeteilt. Ab 10 Schüler*innen kann eine Vorbereitungsklasse gebildet werden (Teiler 24). Darüber hinaus erhalten die zuständigen Schulaufsichtsbehörden für jede genehmigte Vorbereitungsklasse an Grundschulen zwei Lehrerwochenstunden, die sie den Grundschulen „bedarfsgerecht“ zuweisen können (vgl. Organisationserlass 20/21).

      Trotz der eingangs in der Verwaltungsvorschrift formulierten Offenheit zeigt eine genauere Analyse, dass der Schule bei einer Anzahl von Schüler*innen zwischen 10 und 20 durch die Einrichtung von Vorbereitungsklassen mehr Ressourcen in Form von Unterrichtsstunden zugehen, als wenn sie Sprachförderkurse bilden. Ob die Vorbereitungsklassen eher parallel oder stark teilintegrativ geführt werden, liegt in der Hand der Schulen bzw. der Schulleitung oder beauftragten Lehrkraft. Aufgrund dieser spezifischen Zuteilung der Ressourcen ist es unter bestimmten Umständen für die Schulen lohnender, Vorbereitungsklassen zu bilden. Insgesamt wird die Arbeit in Vorbereitungsklassen durch das Fachportal Integration – Bildung – Migration des Landesbildungsservers deutlich unterstützt: Die Dokumente, die die Rahmenbedingungen der Vorbereitungsklassen

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