Bruder Tier. Karl König
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Die beiden Höhepunkte des Pinguindaseins
Während dieser Periode an Land wird der Pinguin zur Menschenkarikatur. Er verfällt sogar einer regelmäßig auftretenden Erkrankung: Der Mauserung. Diese ist zwar ein Charakteristikum des gesamten Vogelgeschlechts, tritt aber meist nur bei Wasservögeln so auf, dass während einiger Wochen eine völlige Flugunsicherheit vorhanden ist. Schwäne, Enten und Gänse werfen alle Schwungfedern gleichzeitig ab. Sie verbergen sich im Dickicht der Ufer und Sümpfe, bis ihnen die Körperbedeckung, die ihnen das Fliegen zurückgibt, wieder nachgewachsen ist. Die meisten anderen Vögel mausern in einer weniger drastischen Form. Die alten Federn werden allmählich abgeworfen und schrittweise durch die neuen ersetzt. Die davon Ergriffenen schauen dann oft armselig aus, können aber fliegen und fressen.
Der Pinguin jedoch wird bei der Mauserang richtig krank. Er kann dann für mehrere Wochen keinerlei Nahrung zu sich nehmen. Denn wie andere Vögel das Fliegen, so verliert er durch den Wechsel des Federkleides die Fähigkeit zu schwimmen. Kearton erzählt, dass die Pinguine, die er beobachten konnte, regelmäßig im Dezember mausern. Sie spüren das Herankommen dieser Erkrankung; denn in den vorhergehenden Tagen fressen sie besonders viel, um ein wenig Vorrat zu haben:
Sie gleichen Weihnachtsmastgänsen … werden fetter und fetter, bis eines Tages das erste, unverkennbare Zeichen des Mauserns eintritt. Von diesem Augenblick an ist alles mindestens sechs Wochen lang grauestes Elend.14
Die Kraft zum Tauchen und Schwimmen ist verloren gegangen. Die Nahrungssuche hört auf, der Vogel verlässt seinen Nistplatz und kampiert irgendwo im Freien. Fleckenweise fallen über den ganzen Körper hin die Federn aus:
Tausende von Pinguinen kann man so auf einem dieser freien Plätze engversammelt stehen sehen und einer sieht immer kläglicher aus als der andere.
Die ganze Insel ist dann bald fußtief mit Federn bedeckt und dazwischen stehen die hungernden Jammergestalten.
Am Ende der Mauserkrankheit sind die Pinguine so mager geworden, dass sie zu leicht zum Tauchen sind. Und nun beginnen sie die Kiesel des Strandes zu verschlucken, um die nötige «Tauchschwere» zu erreichen:
Man kann sie nun die Küste entlang wandern und einen Kiesel nach dem anderen prüfen sehen, wobei sie manche liegen lassen (die wahrscheinlich zu groß sind oder nicht glatt genug, um sich schlucken zu lassen), während sie andere hinunterschlingen, bis sie genügend Ballast an Bord genommen zu haben glauben. (Kearton)
Jetzt fängt der Pinguin wieder an, ein Fisch zu werden. Er muss Steine essen, um das zu erreichen. Denn als Vogel, der er nach der Mauserung geworden ist, fehlt ihm die genügende Erdendichte, um ins Wasser tauchen zu können. Deshalb verschluckt er die Kiesel, verhärtet und beschwert sich und wird zum Wassertier. Die Zeit der Mauserung gab ihn, der dabei fasten und leiden musste, dem Vogelgeschlecht wieder zurück. Die harten Steine ziehen ihn hinein ins Wasser.
Fragt man nach den Höhepunkten des Pinguinlebens und nach den markanten Symptomen seiner Existenz, dann sind es zwei besondere Erlebnisse, die jedem Pinguin beschert sind. Das eine hängt wohl mit der eben beschriebenen Mauserung zusammen. Der Zustand der Not, des Unwohlseins und des Fastens gemahnen ihn an jene dunklen Zeiten, in welchen er sein Vogelsein vertan hat und zum Fisch geworden ist. Dafür ist ihm eine jährliche Buße auferlegt, die alle Wasservögel tragen müssen. Ist es nicht bemerkenswert, dass der Pinguin sich gerade dann nicht zurückzieht und im Dunkel seiner Nesthöhle diese Zeit übersteht? Er sucht die Gemeinschaft seiner Genossen, als spürte er, dass geteiltes Leid nur halbes Leid sei.
Bald darauf aber isst er Steine und tritt dadurch wieder in die «Pinguin-Sünde» ein, wird ein Fisch, beginnt zu träumen und zieht hinaus in die Wasser des Meeres.
Der andere Höhepunkt ist der Anblick des neu gelegten Eies. Alle Beobachter erzählen, mit welcher Erregung und welchem Erstaunen beide Eltern das Ei begrüßen; wie sie es hin- und herrollen und von allen Seiten betrachten und sich gar nicht genug daran tun können. Keimt in ihnen etwas herauf, das sich ahnend mit dem vergleichen lässt, was Rudolf Steiner einmal über die Gestalt des Eies geäußert hat? Er sagte:
Das Ei ist nichts anderes, als das wirkliche Abbild des Kosmos … und die Philosophen sollten nicht spekulieren, wie die drei Dimensionen des Raumes sind, denn wenn man nur richtig weiß, wo man hinzuschauen hat, so kann man überall die Weltenrätsel anschaulich dargestellt finden. Dass die eine Weltenachse länger ist als die beiden anderen, dafür ist ein anschaulicher Beweis das Hühnerei; seine Grenzen, die Eierschalen, sind ein wirkliches Bild unseres Raumes.15
Vielleicht wacht eine Ahnung dieses Wissens im Empfinden der Pinguin-Eltern auf. Sie erdämmern sich diese Anschauung. Dadurch aber entzündet sich in ihnen die Kraft, dieses Ei nun mit aller Hinneigung und instinktiver Pflege auszubrüten, da es ihnen dieses tiefe Erlebnis vermittelt hat. Obwohl sie so bedauernswert und lächerlich aussehen, verbirgt sich die Größe und Tragik allen Daseins unter diesem Narrenkleid. Sie sind schon Menschenvorfahren, die Pinguine, nur ist bei ihnen alles verzerrt und verschoben. Denn jede Tragödie hat auch ihr Satyrspiel; und so hat das Menschenwerden im Pinguindasein seine Clownerie.
Vom Sinn der Pinguinexistenz
Wenn noch immer in Brehms Tierleben zu lesen ist, dass man nicht viel Aufhebens von dem Nutzen machen kann, den die Pinguine den Menschen bringen, dann ist das eine sehr armselige Art der Betrachtung. Denn die Frage lautet vielmehr: Was ist der wahre Sinn ihrer Existenz?
Sofort aber muss man dann daran denken, dass diese Gruppe von Vögeln einen Kontinent bewohnen, der völlig menschenleer geblieben ist. An den Randgebieten der Arktis lebt noch der Eskimo. Die Antarktis aber, vom Meer umgeben, ist eine völlig menschenleere Landschaft. Die Lebensbedingungen sind so unwirtlich und bedrohlich, dass Menschen nur unter größten Opfern einige Zeit dort existieren können. Der Pinguin aber hat den Schritt gewagt, die dunkle Einsamkeit und Kälte der Antarktis mit seinem Dasein zu durchdringen. Das allein ist eine Jahr für Jahr sich neu vollziehende Heldentat. Besonders die Adelie- und Kaiserpinguine besiedeln die schnee- und eisbedeckten Hochflächen des Südpols. Tragen sie damit nicht ein Stück Erdenschicksal in diesen so verlassenen Bereich des Erdgestirns? Und wenn die Pinguine, nach vollzogenem Brutgeschäft, wieder ins Meer zurückgehen, dann schwimmen sie hinaus nach allen Seiten; zu den Falklandinseln bei Südamerika, zum Kap von Südafrika, nach Neuseeland, nach Tasmanien und bilden so eine lebendige Verbindung zu den von Menschen bewohnten Gebieten. Die Pinguine binden den antarktischen Kontinent an die übrigen Erdgebiete, indem sie jährliche Botschafter zwischen beiden sind. Das sind keine Staatsverträge und territorialen Ansprüche, die sie verbreiten. Sie tragen die Kunde vom Dasein des Menschen auf Erden in die polaren Regionen.
Vielleicht wird eine nähere Kenntnis der wenigen Gattungen existierender Pinguine es einmal ermöglichen, sie den verschiedenen Arten der Menschenrassen zuzuordnen, sodass sie dadurch ein Schattenbild der ganzen Menschheit darstellen, das auf dem und um den antarktischen Kontinent herum existiert. Sie, die in vielen Zügen den Menschen karikiert wiederholen und nachahmen, tragen sein Bild in die äußersten Grenzen des Erdendaseins hinein.
Einstmals