Bildung und Glück. Micha Brumlik

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Bildung und Glück - Micha Brumlik

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Willens zu konstruieren, der als hypothetische Größe postuliert werden muß, aber empirisch nicht nachweisbar ist. Anlaß dieser Operation ist die Konstruktion moralischen Handelns als pflichtgemäßen Handelns, als des Entsprechens einer weil formalen, deshalb unbedingt geltenden Norm:67 „Es ist von der größten Wichtigkeit in allen moralischen Beurteilungen, auf das subjektive Prinzip aller Maximen mit der äußersten Genauigkeit Acht zu haben, damit alle Moralität der Handlungen in der Notwendigkeit derselben aus Pflicht und aus Achtung fürs Gesetz, nicht aus Liebe und Zuneigung zu dem, was die Handlungen hervorbringen sollen, gesetzt werde. […] Es ist sehr schön, aus Liebe zu Menschen und teilnehmendem Wohlwollen ihnen Gutes zu tun, oder aus Liebe zur Ordnung gerecht zu werden, aber das ist doch nicht die echte moralische Maxime unsers Verhaltens, die unserm Standpunkte, unter vernünftigen Wesen, als Menschen, angemessen ist.“68

       Kants Unbehagen an dieser Lösung ist nicht zu übersehen und wird von ihm redlicherweise wieder und wieder artikuliert: „Wie kann Vernunft eine Triebfeder abgeben, da sie sonst jederzeit nur eine Richtschnur ist und die Neigung treibt, der Verstand nur die Mittel vorschreibt? Zusammenstimmung mit sich selbst. Selbstbilligung und Zutrauen. Die Triebfeder, die mit der Pflicht verbunden werden kann, aber niemals an deren Stelle gesetzt werden muß, ist Neigung oder Zwang.“69

       Die ursprüngliche Lösung des Problems sollte darin bestehen, die Menschen dazu anzuhalten, sich in sinnvoller Weise als freie Wesen zu denken, um so zumindest einen Anreiz zu schaffen, sich so moralisch wie möglich, genauer müßte man sagen: sich wenigstens moralanalog zu verhalten. Kants klassische Lösung dieses Problems, nämlich eine zugleich empirische wie nicht leidenschaftliche Motivation für die Beachtung moralischer Gebote zu finden, bestand im Postulieren des Gefühls der „Achtung“ – ein Gefühl, das einerseits Wirkung des richtigen Verständnisses des moralischen Gesetzes sei und andererseits Ursache zu dessen Befolgung: „Achtung fürs moralische Gesetz ist also die einzige und zugleich unbezweifelte moralische Triebfeder, so wie dieses Gefühl auch kein Objekt anders, als lediglich aus diesem Grunde gerichtet ist. Zuerst bestimmt das moralische Gesetz objektiv und unmittelbar den Willen im Urteile der Vernunft; Freiheit, deren Kausalität bloß durchs Gesetz bestimmbar ist, besteht aber eben darin, daß sie alle Neigungen, mithin die Schätzung der Person selbst auf die Bedingung der Befolgung ihres reinen Gesetzes einschränkt.“70

      Diese Lösung gestattet es einerseits, eine in sich konsistente Theorie moralischer Regeln aufzustellen, verbietet es jedoch andererseits, die Frage nach ihrer Lehrbarkeit, Lernbarkeit und vor allem Anwendbarkeit zu stellen. Entsprechend klingen Kants Auskünfte zur Möglichkeit einer sittlichen Erziehung durchaus realistisch: „Ob aber der Mensch nun von Natur moralisch gut oder böse ist? Keines von beiden, denn er ist von Natur gar kein moralisches Wesen; er wird dies nur, wenn seine Vernunft sich bis zu den Begriffen der Pflicht und des Gesetzes erhebt. Man kann indessen sagen, daß er ursprünglich Anreize zu allen Lastern in sich habe, denn er hat Neigungen und Instinkte, die ihn anregen, ob ihn gleich die Vernunft zum Gegenteile treibt. Er kann daher nur moralisch gut werden durch Tugend, also aus Selbstzwang, ob er gleich ohne Anreize unschuldig sein kann.“71

      Unter diesen Bedingungen setzt auch Kant auf eine Bildung der Gefühle, wenn er fordert, Kindern richtige Gründe aufzustellen und sie begreifbar und annehmbar zu machen. Die Bildung der angemessenen Triebfedern zu moralischem Verhalten besteht in einer gezielten, argumentativen Verfeinerung basaler Affekte: Kinder „müssen lernen, die Verabscheuung des Ekels und der Ungereimtheit an die Stelle der des Hasses zu setzen; innern Abscheu, statt des äußern vor Menschen und der göttlichen Strafen, Selbstschätzung und innere Würde, statt der Meinung der Menschen, – innern Wert der Handlung und des Tun, statt der Worte, und Gemütsbewegung, – Verstand, statt des Gefühls, – und Fröhlichkeit und Frömmigkeit bei guter Laune, statt der grämischen, schüchternen und finstern Andacht eintreten zu lassen.“72

      Die auf Kant folgende Moralphilosophie traute dieser Sublimationspädagogik bzw. der in ihr enthaltenen Zivilisationstheorie nicht und war bemüht, die Triebfedern der Moral in genau jenen „Gefühlen“ zu finden, die nach Kants Begriff der Moral mit ihr nichts zu tun haben konnten. An dieser Stelle setzen dann eine Reihe quasi naturalistischer Versuche ein, die entweder – wie der Kantianer Schopenhauer – eine natürliche Anlage zum Mitleid, oder – wie die unterschiedlichen Utilitarismen – einen Hang zur Luststeigerung postulieren, von psychischen Instanzen, die plausibilisieren sollen, warum Menschen nicht nur moralisch handeln sollen, sondern auch können.

       Auf den ersten Blick erscheint uneinsichtig, warum ausgerechnet eine Theorie der Tugenden das mit Kants deontologischer Zweiweltenlehre gestellte Problem besser lösen können soll als teleologische Lehren wie Utilitarismus oder Mitleidsethik. In einem nämlich sind sich deontologische und teleologische Lehren einig: daß es bei einer Theorie der Moral um eine Theorie des Handelns aus allgemeingültigen, normativen Prinzipien geht, während doch eine Theorie der Tugenden sich vor allem für persönliche Haltungen und partikulare Lebensentwürfe zu interessieren scheint. Handlungen und ihre Kriterien hier, Haltungen und ihre Ziele dort – scheidet die Theorie der Tugend mit dieser Grundentscheidung nicht von Anfang an als eine Kandidatin zur Begründung einer Moral aus? Im Gegenteil: Eine Theorie der Tugenden kann zur Begründung einer Moral und Schließung jener Lücke, die Kant hinterlassen hat, deshalb etwas beitragen, weil sie vor einem von beinahe allen modernen Moraltheorien ängstlich gemiedenen Problem nicht zurückweichen muß, nämlich der Frage, warum Menschen überhaupt moralisch sein sollen. Diese Frage wird sowohl im Utilitarismus als auch in den meisten kantianischen Moralen – mit Ausnahme von John Rawls’ Theorie der Gerechtigkeit – entweder agnostisch beantwortet oder unter Sinnlosigkeitsverdacht gestellt.73 So weist etwa der radikale Utilitarismus diese Frage als sinnlos zurück bzw. glaubt, über Moral nur mit solchen Menschen debattieren zu können, die schon moralisch sein wollen, während die transzendentalpragmatische Diskursethik ein gleichsam naturalistisches Konzept sprachlich vermittelter Sittlichkeit aufbietet, das die philosophische Frage entschärft bzw. mögliche Immoralisten konsequent pathologisiert.74 Dieser Preis für die Lösung einer philosophischen Grundsatzfrage scheint mindestens dann zu hoch, wenn noch nicht alle philosophischen Lösungen ausgeschöpft sind. Zu diesen nicht ausgeschöpften Lösungsversuchen gehört eine Theorie der Tugend, die mit der scheinbar partikularen, existentiellen Frage beginnt, was für ein Mensch ich im Kreise meiner Mitmenschen sein, als wer ich aufgrund welcher Eigenschaften anerkannt und geachtet sein will. Diesen Ausgangspunkt hat Kant ausdrücklich abgelehnt. In einer kritischen Untersuchung zu den unauslotbaren empirischen Motivationen (scheinbar) moralischen Handelns kommt er zu dem Schluß, daß „man doch in keinem Beispiel mit Gewißheit dartun kann, daß der Wille hier ohne andere Triebfeder, bloß durchs Gesetz, bestimmt werde, ob es gleich so scheint; denn es ist immer möglich, daß insgeheim Furcht vor Beschämung, vielleicht auch dunkle Besorgnis anderer Gefahren, Einfluß auf den Willen haben möge.“75

      Beschämung, Furcht oder die Erfahrung, mißachtet worden zu sein,76 ist zwar ein Ergebnis moralisch verpönter Verhaltensweisen, darf aber gleichwohl nicht zum Motiv des eigenen, moralischen Handelns werden. Sich an derartigen Gefühlen zu orientieren hieße, sein Handeln an anderen denn vernunftgemäßen Prinzipien auszurichten.

      Im Unterschied dazu nimmt die Theorie der Tugend als Preis für die Möglichkeit, die Frage, warum Menschen moralisch sein sollen, beantworten zu können, Abstriche an einem absoluten Autonomieprinzip sowie einer Lehre vom reinen Willen hin. Diese Abstriche dürften um so eher zu akzeptieren sein, als auch die kantianischen Theorien der Moral – namentlich die Transzendental- bzw. Universalpragmatik von Apel und Habermas,77 die sich in dieser Hinsicht einig sind – mit ihrer Wendung zur Intersubjektivität einander anerkennende und sich auch affektiv begegnende Individuen in den Mittelpunkt stellen. Eine auf Intersubjektivität beruhende Theorie der Moral muß darauf verzichten, lediglich das Verhältnis des einsamen Subjekts zu einem ihm wie auch immer zugänglichen Moralprinzip ins Zentrum zu stellen, und wird die im Lauf der Sozialisation gebildete Moralität als Ergebnis von Anerkennungsakten verstehen, die allemal affektiv getönt sind.78

      Entgegen

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