Weiterwohnlichkeit der Welt. Группа авторов

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Debatten der Gegenwart.

      Ziel dieses Bandes ist es, die so unterschiedlichen und doch unauflöslich miteinander verbundenen Facetten des Werkes von Hans Jonas zusammenzuschauen und auf diese Weise ein interdisziplinäres Gespräch zwischen Wissenschaftsgeschichte, Philosophie, Ethik, Geschichtswissenschaft, Religionsgeschichte, Theologie und Judaistik über die intellektuellen Herausforderungen anzuregen, die sein Denken auch für das einundzwanzigste Jahrhundert in sich birgt. Dabei vermitteln die ganz unterschiedlichen Perspektiven auf Jonas’ Denken, die sich in den einzelnen Beiträgen widerspiegeln, nicht nur einen Eindruck von dessen Reichtum und Vielfalt. Sie lassen zugleich erkennen, daß auch in Zukunft nicht mit einer einlinigen Rezeption zu rechnen ist. Die in einzelnen Beiträgen aufscheinenden konträren Sichtweisen – ob nun mit Blick auf die religionsgeschichtliche Bewertung des Phänomens der Gnosis, die Bedeutung Heideggers für Jonas’ Philosophie, die Tragfähigkeit des „Prinzips Verantwortung“ für die konkreten gesellschaftlichen und ethischen Probleme der Gegenwart oder die Relevanz jüdischer Existenz im zwanzigsten Jahrhundert und jüdischer Traditionselemente für das Verständnis der ethischen wie religionsphilosophischen Reflexion des Philosophen – widerstreben dem Versuch, eine verbindliche Lesart zu etablieren. Sie machen das Buch vielmehr zur Grundlage einer offenen, fruchtbaren Diskussion über Jonas’ philosophischethisches Vermächtnis und die wichtigen Themen, mit denen er sich in seinen Arbeiten auseinandersetzte. Ungeachtet unterschiedlicher Perspektiven und Bewertungen gehen jedoch alle Beiträge von der Prämisse aus, daß Jonas’ Thesen, Anregungen und Provokationen von solch drängender Aktualität sind, daß es sich lohnt, sie nicht nur im inneren Kreis der Fachwissenschaft zu diskutieren, sondern einer breiten Leserschaft zugänglich zu machen und ihnen zu weiterer Wirksamkeit zu verhelfen. Wenn es diesem Buch gelänge, erneut auf Hans Jonas aufmerksam zu machen, zur Lektüre seines Werkes anzuregen und Interesse für die damit angesprochenen historischen, gesellschaftspolitischen und ethischen Diskurse zu wecken, wäre jedenfalls ein wichtiger Teil seiner Zielsetzung erfüllt.

      Die Entstehung des Bandes wäre undenkbar gewesen ohne die spontane Zusage der darin versammelten Autorinnen und Autoren, in ungewöhnlich kurzer Zeit vielfach neue, originelle Beiträge zu verfassen und in diesem Kontext zur Diskussion zu stellen. Ihnen ist daher in erster Linie herzlich zu danken. Dank gilt in nicht geringerem Maße Axel Rütters und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Philo Verlags, die sich ebenso spontan wie entschlossen des Projekts angenommen und für sein rechtzeitiges Erscheinen eingesetzt haben. Dank gebührt nicht zuletzt Stephan Lahrem für sein engagiertes, zuverlässiges und professionelles Lektorat, das die Zusammenarbeit an diesem Buch zu einem echten Vergnügen gemacht hat.

      Für die Herausgeber

      Christian Wiese

I. Der Philosoph im zeit- und geistesgeschichtlichen Kontext

      Christian Wiese

       Abschied vom deutschen Judentum. Zionismus und Kampf um die Würde im politischen Denken des frühen Hans Jonas

      1903 in Mönchengladbach im Milieu des liberalen jüdischen Bürgertums geboren, gehörte Hans Jonas zur Generation jener jungen „postassimilatorischen“ Juden, die in der Zeit kurz vor oder nach dem Ersten Weltkrieg trotz selbstverständlicher sozialer und kultureller Integration in Deutschland neu mit ihrer jüdischen Identität konfrontiert wurden und aus dem Empfinden der bleibenden Differenz zur nicht-jüdischen Mehrheitsgesellschaft heraus so etwas wie eine religiös-kulturelle oder nationale „jüdische Renaissance“ verkörperten.1 Er wuchs in einem Umfeld auf, in dem das Jüdische weniger in der Erfahrung alltäglicher religiöser Praxis als vielmehr in dem Willen zur Bewahrung des Judentums und in einem kollektiven Zusammengehörigkeitsgefühl zum Ausdruck kam. Als Jugendlicher wurde er Zeuge der patriotischen Begeisterung der jüdischen Gemeinschaft zu Beginn des Ersten Weltkrieges, die eng mit der Hoffnung verbunden war, der Beweis der Zugehörigkeit zur „Schicksalsgemeinschaft“ des deutschen Volkes werde zur endgültigen Anerkennung der bürgerlichen Gleichberechtigung der Juden beitragen. Wenig später erlebte er jedoch die tiefe Desillusionierung, die mit der antisemitisch motivierten „Judenzählung“ 1916 und der präzedenzlosen Welle antijüdischer Verleumdung und Gewalt im Übergang vom wilhelminischen Kaiserreich zur Weimarer Republik einherging, und wandte sich daher schon früh zionistischen Überzeugungen zu. Die von heftigen ideologischen Streitigkeiten begleitete Abgrenzung vom Vater, dem Vorsitzenden des örtlichen Zweiges des „assimilatorischen“ Centralvereins deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens (C.V.), in dem antizionistische Polemik ebenso selbstverständlich war wie die „Abwehrarbeit“ gegen den Antisemitismus, mag dabei eine gewisse Rolle gespielt haben.2 Prägend für das politische Selbstverständnis des jungen Hans Jonas war jedoch vor allem das frühzeitig ausgeprägte „Bewußtsein eines Außenseitertums“, die Erfahrung, trotz aller Integration eine stets von judenfeindlicher Entlarvung bedrohte „Sonderexistenz“ zu führen: „Jede Spur von Antisemitismus“, so stellte er rückblickend fest, „bestärkte mich darin, daß wir Fremde sind.“3 Aus dieser Zeit jugendlicher Identifikation mit nationaljüdischen Ideen rührte das tiefverwurzelte Empfinden für die Gefährdung der Würde der jüdischen Bürger her, das Jonas’ politische Wahrnehmung schärfte. Im Gegensatz zur Mehrheit der deutschen Juden vertraute er nicht darauf, daß es sich bei dem zu Beginn der Weimarer Republik aufbrandenden Judenhaß um eine vorübergehende Erscheinung handelte, sondern teilte die Auffassung Theodor Herzls oder Leon Pinskers, derzufolge der Antisemitismus nur durch „Selbstemanzipation“, die stolze Bejahung jüdischer Identität, und letztlich durch die Schaffung einer jüdischen Heimstätte in Palästina überwunden werden könne. Als Schüler hegte Jonas in dieser ideologischen Aufbruchszeit „dreams of glory“, wie er später nicht ohne Selbstironie bekannte – Heldenträume, die ihm eine herausragende Rolle bei der Befreiung der Juden aus dem immer stärker von rechtsradikalen Bewegungen bedrohten Deutschland einräumten:

      „In der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, als in Deutschland Verbände wie der Stahlhelm und die Nationalsozialisten aufkamen (die man zu Beginn noch nicht so sehr ernst nahm), aber auch die aggressiv antisemitischen sogenannten Freikorps, da habe ich mir schon gedacht, daß wir Juden in Deutschland direkt physischen Attacken ausgesetzt sein würden. Ich habe mir dann vorgestellt, wie wir uns, im Schießen ausgebildet und mit Waffen versehen, in unseren Häusern verschanzen und dem bewaffneten Angriff dieser Judenfeinde Widerstand leisten würden. Das war ein Traum, aber jedenfalls leistete man Widerstand: ‚Nur nicht einfach wehrlos sein!’ Gleichzeitig ging es darum, sich auf diese Weise Achtung zu erringen. Als sich dann mein Zionismus entwickelte, war mir sofort klar, daß diese Strategie bestenfalls eine vorübergehende Sache sei und daß es in Wirklichkeit darauf ankam, nach Palästina auszuwandern. Ich stellte mir vor – und das war mein letzter dream of glory, denn dann wurde ich genügend Realist, um auf solche Träume zu verzichten –, daß ich mich an der Spitze einer bewaffneten jüdischen Armee, die sich in den verschiedenen Gegenden der Galut gebildet hatte, begleitet von Frauen und Kindern, durch ein feindliches Europa auf dem Landweg über den Bosporus durch Kleinasien bis nach Palästina durchschlagen würde. Ich sah mich in diesem Traum als Heerführer dieses Restes der jüdischen Verzweifelten, die sich nach schrecklichen Verfolgungen selbst retteten und nun im Land ihrer Väter ankamen, und ich war einigermaßen erstaunt, als ich Jahre später las, daß das auch der Jugendtraum von Ferdinand Lassalle war! Genau derselbe, daß er als der Führer eines bewaffneten jüdischen Zuges Palästina für einen jüdischen Staat erobern würde.4 Ebenso wie ich erfreulich erstaunt war, als ich viel später, nämlich erst vor wenigen Jahren, las, daß der Jugendheld von Sigmund Freud Hannibal war,5 und zwar aus demselben Grund, aus dem Hannibal in meiner Schulzeit auch mein großer Geschichtsheld war – der große semitische Feldherr, der es den ‚Ariern’ aufs Dach gegeben hatte, der gezeigt hatte, daß man mit den ‚Semiten’ nicht einfach so umspringen kann.“6

      In die Zeit seiner Hinwendung zum Zionismus und der Aktivitäten in der jüdischen Jugendbewegung,

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